Zündfunke, 15.04.14

Schon gestern, liebe Hörerinnen und Hörer, habe ich darauf hingewiesen, dass unsere anglikanischen Mitchristen diese stille oder Karwoche genannte Woche vor Ostern die holy week, die heilige Woche, nennen. Das hat sicherlich seinen Grund in der Ballung von christlichen Schwerpunktthemen, wie wir gestern bereits gehört haben, die aber eben auch ganz und gar menschlich bedeutsame sind: Tod und Leben, Streit und Versöhnung, Schuld und Sühne, Gemeinschaft und Trennung. Was ist daran nun heilig oder besonders heilig?
Der Begriff heilig ist ja durchaus nicht unumstritten. Wer sich selbst heilig vorkommt, ist in der Regel ein unangenehmer Zeitgenosse. Wem nichts mehr heilig ist, ist es in gleicher Weise. Merken wir es? Das Heilige ist einerseits ein Begriff mit schalem Beigeschmack, vor allem, wenn ein Mensch sich selbst dieses Prädikat zueignet oder gerne zueignen lässt. Und andererseits bezeichnet es einen ganz besonderen Wert, auf den wir nicht gerne verzichten möchten. Aber was ist nun in dieser Woche so besonders heilig?
Der Gründonnerstag mit der Gefangennahme Jesu, der Verhaftung eines Unschuldigen, einem mit Falschaussagen behafteten Verhör und menschenverachtender Folter? Eher doch wohl das ganz und gar besondere Mahl am Abend, das hinweist auf grenzüberschreitende Gemeinschaft der Menschen mit Gott und unter einander. Aber auch das ist nicht ohne Schattenseite. Beim Teilen von Brot und Wein wird der Verräter entlarvt und die tragische Judasgeschichte, die in der Geschichte der Menschen sich immer wiederholt hat und mit dem Begriff des Judaskusses als Zeichen für Hintergehen und Verraten von Freunden sprichwörtlich wurde.
Was ist daran heilig?
Und erst der Karfreitag. Der schwere Gang aus der Stadt hinaus zum Schandhügel Golgatha. Das Zusammenbrechen unter untragbarer Last. Die Spottrufe der Feinde und deren Claqueure. Die zu erleidenden Schmerzen, die Einsamkeit, das Verlassensein von Gott und Mensch. Was, ja was ist daran heilig?
Ich habe einmal gelernt, dass alles heilig ist, was zu Gott gehört. Ja, liebe Hörerinnen und Hörer, das gilt in der Tat für diese Woche mit ihren großen Themen, ihren tragischen Ereignissen auch dem schrecklichen Geschehen, das uns in die tiefsten Abgründe menschlichen Denkens, Empfindens und Handelns Einblick gewährt. Und das, in der Tat, gerade das gehört nun zu Gott. Er begibt sich in die tiefsten Tiefen des Menschseins hinein, und nun ist ihm nicht Menschliches mehr fremd. Die holy week, die heilige Woche zeigt uns den zutiefst solidarischen Gott. Und damit haben unsere anglikanischen Mitchristen einen besonders zutreffenden Begriff für diese Woche gewählt: The holy week, die heilige Woche.

Johann Weingärtner, Pfr. Der Evangelischen Gemeinde Teneriffa Nord

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Erstellt am: 14.04.2014 19:29 Uhr

Predigt am Palmsonntag 2014 in Puerto de la Cruz

Philipper 2, 5-11
5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:
6 Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
7 sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
8 Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
9 Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
11 und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Liebe Gemeinde,
Vielleicht geht das ja gar nicht anders. Vielleicht muss man, wenn es um Christus geht, ein Lied auf ihn singen, einen Hymnus. Und einen solchen habe ich eben vorgelesen. Die urchristliche Gemeinde hat ihn gesungen. Die Melodie kennen wir nicht. Und eine neue zu schreiben, dazu fühlte ich mich nicht in der Lage. Das ist auch nicht gerade meine Kompetenz, Lieder zu dichten. Aber ein solches auf den Christus Gottes, der doch so ganz und gar Mensch war, das würde mir schon gefallen.

Und so habe ich danach gesucht. Nicht unbedingt nach Melodien. Mir ist auch nicht bekannt, dass eine auf diesen Christushymnus geschrieben worden ist, etwa so wie auf das Magnifikat der Maria. Manchmal kommt man der Form des Lobpreises ja schon mit einem Gedicht nahe. Ein solches fand ich in der Tat. Eine kleine Kostprobe: Die Textzeile, die ihm zugrunde liegt lautet: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein.

Er war wie Gott,
sah aus wie Gott
und hielt sich doch
nicht fest an Gott,
so wie ein Dieb den Beutel Geld
ganz fest in seinen Händen hält.

Luther hat fast ein wenig vornehm übersetzt: Er hielt es nicht für einen Raub. Wenn man genau übersetzt, ist damit in der Tat die Verhaltensweise eines Diebes umschrieben, der mit Gewalt nach einem Beutel mit Wertsachen greift, ihn an sich reißt und ihn begierig festhält.
Das hätte er, Jesus, ja mit seiner göttlichen Würde tun können.

Da war doch die Stimme vom Himmel bei seiner Taufe gewesen, die da sagte: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Das hätte er doch machtbewusst ausnutzen können. Das taten zu seiner Zeit in der römisch – hellenistischen Welt ja viele so genannte Göttersöhne, die durch das Land zogen, sich selbst ihrer göttlichen Qualitäten priesen, daraus Einfluss und vor allem auch Geld machten.

Nein, Jesus Christus tut das nicht. Das unterscheidet ihn von all denen, die das religiöse Spektakel unter seinen Zeitgenossen treiben. Und wenn Menschen Zeichen und Wunder als Beweis seiner göttlichen Herkunft von ihm forderten, dann lehnte er oft ab, ging einfach seinen Weg, denn:

Er war wie Gott,
sah aus wie Gott
und hielt sich doch
nicht fest an Gott,
so wie ein Dieb den Beutel Geld
ganz fest in seinen Händen hält.

Und nun fährt Paulus, nachdem er dargestellt hat, was Jesus Christus nicht tat, fort mit dem, was er an dessen Stelle gesetzt hat:
Sondern er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Sich entäußern, das ist ein schwieriges Wort. Was meint es? Tritt da einer aus sich selbst heraus? Fährt er gar aus seiner Haut? Und wenn Ja, in welch eine andere fährt er hinein? Eugen Roth hat einen solchen Prozess einmal so beschrieben:
„Oft führ man gern aus seiner Haut./ Doch wie man forschend um sich schaut,/ erblickt man ringsum lauter Häute,/ in die zu fahren auch nicht freute.“

Ob es den Christus gefreut hat, aus seiner göttlichen Haut zu fahren, und dann, ja dann wohin?
Wieder lasse ich den zeitgenössischen Nachdichter dieses paulinischen Christushymnus zu Worte kommen. Er überträgt die lutherische Übersetzung dessen, was die Entäußerung des Christus meint, in folgende Zeilen:

Was an ihm Gott war,
ließ er von sich
und wurde Mensch
wie du und ich
mit Hunger, Durst und Traurigkeit
mit Schmerz und Tod, mit Angst und Leid.
„Ich will so sein“,
sagt er, „wie ihr.
Doch will ich das tun,
was Gott will.
Mein Leben soll sein Leben sein.
Will er den Tod, so sterbe ich.“
(Hier ruft Paulus dazwischen:)
Und Jesus ist ja wirklich am Kreuz gestorben.

Heute Vormittag waren meine Frau und ich in La Laguna, um die Palmsonntagsprozession von der großen renovierten Kathedrale aus mitzuerleben. Es ist schon faszinierend, wie tief Frömmigkeit in einem Volk verwurzelt sein kann. Und dann sahen wir den Prozessionszug. Zunächst einige würdige Damen und Herren. Danach die Blaskapelle. Und dann kam eine Gruppe von Kindern, wie die anderen auch mit Palmenzweigen in den Händen, wie wohl auch seinerzeit beim Einzug in Jerusalem. Dann aber folgte im Zug der auf einem festlichen Wagen angebrachte der Esel mit Jesus darauf. Als ich dies sah, kam Widerwillen in mir hoch, ja sogar ein Anflug von Übelkeit. Jesus gekleidet wie ein hochwürdiger Potentat mit Purpurmantel und Strahlenkrone. Nein, liebe Gemeinde, so ist er nicht in Jerusalem eingezogen! Er trug das Gewand des Wanderpredigers aus Nazareth mit dem Staub der Straße daran. Deshalb ritt er ja auch einem Esel und nicht auf einem prachtvollen Pferd.
Warum können wir Menschen es so schwer ertragen, dass Gott sich so erniedrigt? Wollen wir den Christus, so wie Paulus ihn in unserem Bibelwort beschreibt, nicht? Ist er uns unerträglich? Oder wollen wir ihn so erniedrigt nicht, weil uns selbst die Teilhabe an Macht und Hoheit im weltlichen wie kirchlichen Bereich gleichermaßen lieber ist, als der beschwerliche Gang auf unteren Wegen in den Fußspuren der Machtlosen und Geknechteten, der Schuldigen und von Leid und Not Geplagten? Jesus ist diesen Weg gegangen bis zum bitteren Tod am Kreuz zwischen zwei Verbrechern. Da erlebt er seine Erhöhung, so wie er es bei Johannes sagt: Wenn ich erhöht werde von der Erde….. Und damit meinte er, welchen Tod er sterben würde. Der am Kreuz hängende Christus ist der erhöhte. Und wenn er später als der neben Gott thronende Weltenrichter geschildert wird, dann trägt er stets die Spuren des Kreuzes an sich oder wird als Lamm, das für andere geopfert wird, geschildert. Das ist der biblische Befund, liebe Gemeinde. Und der darf um Gottes und der Menschen willen nicht verfälscht werden.

Allerdings, so erstrebenswert ist das wahrlich nicht gewesen, die göttliche Existenz zu verlassen und in die menschlich allzu menschliche Haut zu fahren. Und dies alles, liebe Gemeinde, ist bei Jesus Christus eben nicht nur graue Theorie, die er seinen Zeitgenossen in flammenden Reden in die Ohren bläst. Nein, er praktiziert das. Er propagiert nicht nur den Weg nach unten, er geht ihn. Wo finden wir ihn denn? Welche menschlichen Existenzen haben es ihm besonders angetan?

Ich sehe ihn bei den Aussätzigen. Jene Kranken, die von einer Seuche befallen sind, die bei anderen nur Ekel hervorruft und sie auf Distanz gehen lässt. Er scheut sich nicht in die Siedlungen der Aussätzigen zu gehen, nicht einmal Berührung vermeidet er, die doch Ansteckung hervorrufen kann. Ausgrenzung auch auf die Gefahr eigener Infektion – das mag man auch übertragen verstehen – das ist nicht seine Art.

Ich sehe ihn in zweifelhafter Gesellschaft. Er isst und trinkt mit Sündern und Huren – so wird ihm vorgeworfen. Der gute Ruf, das ist nicht sein erklärtes gesellschaftliches Ziel. Vielmehr, das Rufen und manchmal nur halblaute Bitten von Menschen wahrzunehmen, die in einer unheilvollen Verquickung von Schuld und Schicksal ins Abseits geraten sind, das ist seine Art und dem geht er nach. Und indem er deren Nähe nicht scheut, ermöglicht er Gemeinschaft. So bringt er verkorkste Biographien wieder auf die Reihe, es ereignet sich im wahrsten Sinn Schalom: Heil und Heilung des Leibes und der geschundenen Seele.

Ich sehe ihn bei den Leidenden und Traurigen, die über Verlust und Minderung der Lebensqualität zu klagen haben. Er begegnet dem Trauerzug des Todes mit dem Zug des Lebens und des Trostes. Und am Ende erscheint er als der Lebendige den in Verzweiflung und Resignation erstarrten Jüngern mit dem Gruß des Friedens.

Der am Kreuz erhöhte Jesus ist der Christus. Und auch dann noch, wenn die Bibel ihn als zur Rechten Gottes als Weltenrichter sitzend beschreibt, trägt er immer noch die Nägelmahle des Gekreuzigten an seinem Leib. Er wird beschrieben als das Lamm – ein Opfertier – dem alle Würde und Herrlichkeit gebührt. Gott, der Mensch wird ganz und gar, der und der allein sorgt dafür, dass wir als Menschen in der Nähe Gottes sein dürfen, eben, weil er uns so nahe gekommen ist.
Der gestern war, ist heute gegenwärtig und wir morgen und in Ewigkeit derselbe. Eigentlich kann man sein Lob nur singen. Tun wir es nach dem mit dem Lied:

1. Jesus Christus herrscht als König,
alles wird ihm untertänig,
alles legt ihm Gott zu Fuß.
Aller Zunge soll bekennen,
Jesus sei der Herr zu nennen,
dem man Ehre geben muß.

2. Fürstentümer und Gewalten,
Mächte, die die Thronwacht halten,
geben ihm die Herrlichkeit;
alle Herrschaft dort im Himmel,
hier im irdischen Getümmel
ist zu seinem Dienst bereit.

3. Gott ist Herr, der Herr ist Einer,
und demselben gleichet keiner,
nur der Sohn, der ist ihm gleich;
dessen Stuhl ist unumstößlich,
dessen Leben unauflöslich,
dessen Reich ein ewig Reich.

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Erstellt am: 14.04.2014 19:27 Uhr

Zündfunke, 14.04.14

Liebe Hörerinnen und Hörer,
mit dem gestrigen Palmsonntag begann die Stille Woche, oder die Karwoche. Sie ist geprägt vom Gründonnerstag, an dem wir an die Einsetzung des Abendmahls erinnert und dem Karfreitag, an dem die Kreuzigung und der Tod Jesu uns vor Augen gestellt werden. Unsere anglikanischen Mitchristen reden von der Holy Week, der heiligen Woche. Und wer die Deutschen Zeitungen auf der Insel liest oder gelesen hat, der fand und findet eine ganze Seite mit Hinweisen auf Veranstaltungen, Gottesdienste und Prozessionen der verschiedenen christlichen Kirchen zu den genannten Anlässen.
Trotz mancher Tendenzen, die eher für eine sich entkirchlichende Gesellschaft sprechen, haben die genannten besonderen Tage im Kirchenkalender wohl auch oder immer noch eine besondere Anziehungskraft. Weshalb?
Vielleicht weil es in dem Geschehen von Gründonnerstag und Karfreitag und dem darauf folgenden Osterfest um die elementarsten Dingen unseres Lebens geht:
Um Tod und Leben.
Um Gemeinschaft und Trennung.
Um Streit und Versöhnung.
Auch und gerade Schuld und Vergebung.
Diese Themen machen diese Woche bedeutungsschwer. Und eigentlich kann sie nur Gleichgültigen, die lieber das Oberflächliche lieben, und die wesentlichen Inhalte des Lebens damit verdrängen, gleichgültig sein. Ich lade Sie in dieser Woche bis hin zum Ostersonntag mit meinen Zündfunken ein, uns diesem Wesentlichen und manchmal wohl auch schwer zu begreifenden Elementen des Lebens anzunähern. Die Stille Woche braucht wohl die Zeiten der Stille, wenn wir nicht im Lärm ersticken wollen. Der Begriff Karwoche leitet sich vom althochdeutschen Wort Kara her, das so viel meint wie Kummer und Klage. Wir müssen auch den Kummer und die Klage zulassen können: Über die Welt, in der wir leben und in der so viel in Unordnung ist. Wie müssen Menschen, besonders wohl auch die Christen in Syrien und der Ukraine und anderswo diese Woche erleben und gestalten? Grund zu Kummer und Klage mehr als genug.
Aber es geht auch um ganz persönlichen Kummer und daraus resultierende Klage. Wohin mit schwer Erlebten aus vergangenen Tagen? Wohin mit eigenem Versagen und zu verantwortender Schuld? Wohin mit einer vielleicht gekränkten und aufgescheuchten Seele?
Auf diese Fragen antwortet Johann Sebastian Bach in einer seiner großen Passionen: Nach Golgatha! Kann das, liebe Hörerinnen und Hörer, der Ort der Entlastung sein oder werden?
Wir werden sehen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gute Woche.

Johann Weingärtner, Pfr. Der Evangelischen Kirchengemeinde Teneriffa Nord

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Erstellt am: 14.04.2014 19:26 Uhr

Familienoper

Ópera de Tenerife stellt einen neuen Operntag für die Kleinsten vor, das heißt: für das gesamte Publikum, um in der Familie die Liebe zur Musik zu wecken. Es wird die Adaption des Werkes von Massanet „Don Quijote“ geboten, die von einer konkreten Episode des
Lebens des geistreichen Ritters handelt. Ein Abenteuer, das er zusammen mit seinem Schildknappen, den faulen Sancho Panza erlebt, um die Ehre seiner Dame Dulcinea wieder herzustellen.
Vom 26. bis zum 27. April 2014 im Auditorio de Tenerife (Santa Cruz).

Infos unter: www.auditoriodetenerife.com

Erstellt am: 13.04.2014 17:17 Uhr

Zündfunke, 13.04.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Es gibt im katholischen Kirchenjahr nur einen Tag, verehrte Schwestern und Brüder, an dem uns in einem Gottesdienst gleich zwei verschiedene Evangelien vorgetragen werden – das ist der heutige Palmsonntag, mit dem die Heilige Woche – die Semana Santa – die Karwoche beginnt. Schon oft bin ich da auch von Mitfeiernden gefragt worden: Ja, muss das denn sein? Kann man es nicht beim Jubel zu Beginn der Karwoche belassen? Weshalb muss
denn an diesem Tag auf den Jubel auch noch sofort die Leidensgeschichte folgen?
Zugegeben: Es ist eine mehr als berechtigte Frage, an der auch ich lange herum überlegt habe. Doch zwischenzeitlich ist mir klar und bewusst geworden: Der Palmsonntag ist und bleibt ein Tag voller Widersprüche. Ein Tag, der uns zeigt, wie das Leben eben oft so ist. Ein Tag, der uns mitunter auch die Abgründe unserer eigenen Herzen erschreckend und schonungslos ans Tageslicht fördert.
Zunächst ist da ja die Begeisterung, die dem heutigen Sonntag auch seinen Namen eingebracht hat. Mit Palmzweigen in den Händen rufen die Menschen laut: „Hosanna! Gesegnet sei der, der da kommt im Namen des Herrn, der Königs Israels!“Doch dann die Wende, die Umkehr, der radikale Widerspruch. Jene, die da gerufen hatten: „Hosanna, dem Sohne Davids!“, die riefen nur wenig später: „Wir haben keinen anderen König als den Kaiser. Weg mit ihm, kreuzige ihn.“ Ja, so ist der Mensch. So sind auch wir manchmal, ob wir das nun wirklich wahrhaben wollen oder nicht. Heute so – morgen so. Der Palmsonntag, ist er vielleicht sogar ein Spiegelbild meiner selbst?
Wir feiern Palmsonntag – den Tag voller Widersprüche. Den Tag, der uns in den Spiegel schauen lässt. Wie oft schon riefen auch wir: „Hosanna“, waren wir von jemandem oder etwas begeistert – und wie schnell haben wir uns davon wieder losgesagt; haben wir Menschen fallen lassen, die uns anscheinend so wichtig waren. Wie das Volk, wie Petrus, Judas und Pilatus – so sind auch wir oft. Sich dessen bewusst zu werden, das kann dieser Tag der Widersprüche bewirken. Von daher ist es gut, dass wir den Palmsonntag feiern, genau in der Form, wie wir es gewohnt sind. Mit dem Evangelium, das uns das „Hosanna“ vor Augen führt, aber auch der Leidensgeschichte, die es ins Gegenteil verkehrt.

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Erstellt am: 13.04.2014 16:35 Uhr

Zündfunke, 12.04.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
„Warum?“ fragt mich eine Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde, verehrte Hörerinnen und Hörer. „Warum ich?“ Verlassen zu werden ist schlimm, wer von uns empfindet das nicht so. Wie schnell sind wir da dabei zu fragen: „Warum?“, „warum nur?“ und dann versucht man das Leben zur Rede zu stellen. Man will in irgendeiner Weise verstehen oder auch verstehen lernen, wie es denn überhaupt so weit kommen konnte.
Nur – gibt es wirklich eine zufrieden stellende Antwort auf diese Frage nach dem Warum? Die meisten Antworten, die ich kenne, die sind diesbezüglich alles andere als hilfreich: „Weil ich nicht mehr so jung und attraktiv bin.“ „Weil ich zu abhängig war“. „Weil ich ihr oder ihm nicht gegeben habe, was sie oder er gebraucht hätte.“ Und dann die vielleicht schlimmste aller Schlussfolgerungen: „Weil ich nicht mehr liebenswert bin.“ Wer da ankommt und stehenbleibt, der gefährdet sich selbst. Denn was bleibt einem dann noch?
Deshalb: Mit der Warum-Frage kommen wir nicht weiter. Sie ist rückwärts gerichtet und will das Geschehene ungeschehen machen. Aber vielleicht ist das ja genau ihr eigentlicher Sinn: Dass wir erkennen: Nichts auf der Welt lässt sich rückgängig machen. Es gibt unzählige Gründe, warum sich die Dinge so entwickelt haben, wie sie nun sind. Für manches bin ich mitverantwortlich, für anderes nicht und dann kommt immer noch eine Portion Schicksal mit hinzu.
Was immer auch war, Gott will, dass wir leben. Vor Gott sind wir immer liebenswert, denn wahre Liebe stellt keine Bedingungen und hört auch nicht auf. Deshalb bleibt Gott bei uns, auch wenn wir nicht wissen, wohin es gehen soll, Schritt für Schritt, auf der Suche nach einer Antwort. Nach einer richtigen Antwort. Dabei hilft es sehr, den Blickwinkel zu wechseln, und zwar von der Frage „Warum?“ zu der Frage „Wozu?“. Denn
auf die Frage: „Warum gerade ich?“ gibt das Leben keine Antwort. Wohl aber auf die Frage: „Wozu?“. – „Wozu ist mir das passiert? Was soll ich begreifen oder lernen? Welchen Sinn soll ich in dieser Situation erkennen oder erfüllen?“ Und ich bin ganz sicher: keiner von uns ist allein, wenn wir uns auf den Weg machen, um herauszufinden: „Wozu ist mir das passiert?“

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Erstellt am: 12.04.2014 16:20 Uhr

Zündfunke, 11.04.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Es gibt so viele Ärgerlichkeiten im Alltag, verehrte Hörerinnen und Hörer, die einem zusammengenommen das Leben ganz schön vermiesen können. Und hat man sich erst einmal so richtig darauf eingeschossen, dann nimmt man auch tatsächlich nur noch das Schlechte wahr. Da hat zum Beispiel der Bus eine wesentliche Verspätung, und schon wird geknurrt:
„Kann der denn nicht einmal pünktlich sein? Der ganze Tag ist mir verdorben!“ Oder da wartet jemand stundenlang beim Arzt. Das ist dann die Erfahrung, die zählt, da mag die Diagnose noch so beruhigend und die Behandlung noch so zufrieden stellend gewesen sein; aber nein, das Warten ist als Negativstimmung maßgebend.
Das Gute nehme ich also einfach als selbstverständlich hin, aber das Unangenehme, das lasse ich so schnell nicht mehr los. Im Gegenteil: Da könnte ich mich so richtig reinstei-gern! Aber warum nur? Ich mache mir doch damit nur das Leben schwer. Dieser Tage habe ich aus heiterem Himmel eine SMS von einer Bekannten aus Deutschland erhalten. Da war zu lesen: „Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limonade draus.“ Das steht nicht in der Bibel – aber der Spruch gefällt mir; schnell bedanke ich mich dafür und denke darüber nach. Also ich verstehe den Spruch so: Es liegt an mir, einer unangenehmen Situation etwas Gutes abzugewinnen. Die Frage ist nur – wie?
Es geht wohl nur so: Ich muss den Hebel umdrehen, dass ich mich nicht mehr als Opfer fühle: Opfer der Situation, der Umstände, von anderen Menschen, sondern dass ich selbst die Situation in die Hand nehme. Ich kann entscheiden, aus der Rolle des Opfers hinauszutreten. Und ich kann mich fragen: „Was mache ich jetzt mit dieser Situation? Wie will ich damit umgehen? Wenn ich in der Stadt mal wieder auf jemanden warten muss oder sich irgendjemand verspätet, dann kann ich doch genauso gut in ein Café gehen, die Zeit nutzen um etwas zu lesen oder einfach die Zeit als eine freie und geschenkte Zeit genießen , anstatt ärgerlich immer nur auf die Uhr zu schauen und meinen Blutdruck inHdie höhe zu treiben. Und anstatt sich im Wartezimmer beim Arzt blau und grün zu ärgern, könnte man die Zeit für Besorgungen nutzen und mit der Sprechstundenhilfe eine neue Uhrzeit aus-machen.
Gott hat uns doch mit einem Verstand gesegnet, der klare Entscheidungen treffen kann: schaue ich nur immer auf die saure Zitrone oder sehe ich die vielfältigen Möglichkeiten, etwas aus ihr zu machen, sogar was Süßes. „Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limonade draus.“ Ich wünsche Ihnen und mir – trotz Fastenzeit – viel Limonade in den nächsten Wochen und Monaten.

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Erstellt am: 12.04.2014 16:12 Uhr

Zündfunke, 10.04.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Verehrte Schwestern und Brüder, vor Prüfungsangst zitternd sagte der junge Mann: „Ich glaube, ich mache alles falsch“. Dabei lernt er immer sehr gut und bekommt beste Noten. Er sagt: „Wenn ich richtig an Gott glauben würde, dann würde ich doch nicht so eine Angst haben. Ich glaube halt einfach zu wenig.“ Und dann erzählt er, was in seiner Familie immer wieder gesagt wird: Wer nur fest genug an Gott glaubt, der hat keine Angst, ist nicht traurig und bewältigt ganz leicht alle nur erdenklichen Schwierigkeiten.
Schön wäre das, kann ich dazu nur sagen. Aber so einfach ist es leider nicht mit dem Leben. Und so einfach ist es auch nicht mit dem Glauben, bei Gott nicht. Dazu genügt mir ein Blick und da lese ich eben etwas ganz anderes. Nehmen wir zum Beispiel Jesus. Er weint bittere Tränen, als sein Freund Lazarus gestorben ist. Er bekommt eine Mords-Wut auf die Tempelhändler und schmeißt sie aus demselben hinaus. In der Nacht vor seinem Tod überfällt ihn Todesangst, die er nur mit Mühe durchstehen kann. Und in seiner Sterbestunde glaubt er sich von Gott verlassen. Die Geschichte Jesu zeigt mir: Glaube und Angst, Wut oder Trauer schließen sich wahrlich nicht aus.
Und in meinem Leben? In meinem Leben ist das kein Haar anders. Ob Prüfungsangst oder Trauer, solche Grenzsituationen sind für jeden Menschen schlimm, ob gläubig oder nicht. Kein Gebet und kein Glaube kann sie erst einmal lindern. Aber wenn ein Mensch an Gott glaubt, so wagt er zu hoffen. Glauben heißt nämlich, auf Hilfe hoffen. Hoffen, dass am Ende des Dunkels wieder ein Licht sichtbar wird. Hoffen, dass Gottes Liebe auch mir gilt. Hoffen, dass ich durchhalten kann, weil Gott mir zu Seite steht. Glauben – das kann heißen: darauf vertrauen, dass alles ein gutes Ende findet, trotz der Not, die vielleicht im Moment riesig ist.
Ich bin sicher: Es ist gut, Gott gegenüber auch Wut und Verzweiflung auszudrücken. Er kann ruhig wissen, wie schwer die Situation gerade ist. Er soll wissen, wenn einer sich überfordert fühlt. Auch wenn es „nur“ durch große Prüfungsangst ist. Die geht durch Beten zwar nicht einfach weg, aber sie lässt sich mit Gebeten oft besser aushalten. Und ich glaube: Gott lässt niemanden im Stich, der ihn um Hilfe bittet.

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Erstellt am: 10.04.2014 20:42 Uhr

Zündfunke, 09.04.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
„Lass dich mal ansehen!“ Wer so etwas sagt, verehrte Schwestern und Brüder, der oder die zielt auf das Äußere; die- oder derjenige will Kleidung, Haare, das Gesicht eines anderen Menschen sehen. Wohl kaum würde man so etwas sagen, wenn man das Innere eines Menschen beurteilen wollte. Dies geschieht eher im Stillen. Dabei wenden viele von uns viel Zeit und Energie auf, um zu Ansehen zu gelangen. Damit meine ich gar nicht mal das, was Staatsmännern, Professoren oder anderen Prominenten entgegengebracht wird. Es geht auch um mehr als den „guten Ruf“; es geht darum respektiert und gemocht zu werden.
Manche leisten viel, sie schuften und arbeiten oft rund um die Uhr, um zu mehr Ansehen zu gelangen. Sie investieren so viel in das Gerenne um mehr Ansehen, dass sie oft genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie beabsichtigen. Ihnen ist der innere Druck anzumerken, sie machen sich lächerlich.
„Mach dich nicht lächerlich“, das würde wohl auch Gott sagen, spräche er zu diesen Menschen. Mach dich nicht lächerlich, denn wenn’s nach mir geht, brauchst du das gar nicht. Ich beurteile nicht nach dem Ansehen der Person; du musst dir meine Zuneigung nicht erleisten, erkaufen oder was auch immer! Sei vielmehr so wie du bist, denn ich hab dich so ins Herz geschlossen, wie du bist.“ Das ist wirklich die Grundaussage des christlichen Glaubens.
Wie schön wäre es doch, wenn mehr Menschen diese Botschaft genau so hören und ihr trauen könnten. Das würde den Rücken stärken, Rückgrat geben und Personen entstehen lassen, die in sich stehen und allein schon deswegen das Ansehen ihrer Mitmenschen garantiert bekämen. Schön wäre es, aber leider sieht die menschliche Realität oft ganz anders aus. Und wenn in unserer Welt keine Erfahrungen von Wertschätzung gemacht werden, dann hat’s natürlich auch Gott mehr als schwer; denn dann fällt sein Wort auf unfruchtbaren Boden und stößt auf taube Ohren. Dabei wäre alles so einfach.
Ein kleines Rezept, Menschen zu Ansehen zu verhelfen, fand ich bei Paul Celan. Dort heißt es: Manche Menschen wissen nicht, wie wichtig es ist, dass sie einfach da sind. Manche Menschen wissen nicht, wie gut es ist, sie nur zu sehen. Manche Menschen wissen nicht, wie viel ärmer wir ohne sie wären. Manche Menschen wissen nicht, dass sie ein Geschenk des Himmels sind. Sie wüssten es – würden wir es ihnen sagen.

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Erstellt am: 10.04.2014 20:39 Uhr

Zündfunke, 08.04.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
In einem Buch habe ich den Satz gelesen, verehrte Schwestern und Brüder: „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“. Stimmt – oder nicht? Denn vieles in unserem Leben macht ja wirklich erst im Nachhinein Sinn: Da ist zum Beispiel ein Mann, der auch nach zwei langen Jahren immer noch so um seine Frau trauert, dass er kaum mehr lebensfähig, geschweige denn arbeitsfähig ist. In seiner Verzweiflung sucht er einen Seelsorger auf. Dieser hört sich alles sehr genau an: wie eng sie war, die Beziehung der Eheleute und wie leer und sinnlos sich sein Leben deshalb nun anfühlt. Dann stellt er dem Mann eine Frage: „Was wäre gewesen, wenn statt Ihrer Frau Sie zuerst gestorben wären?“
Der Mann ist entsetzt. „Das wäre noch viel schlimmer gewesen. Denn genau das war immer die allergrößte Angst, die meine Frau hatte; das hat sie mir oft gesagt.“
Der Mann blickt nachdenklich vor sich hin. Schließlich nickt er: „Ja, nun sehe ich etwas, das mir die ganze Zeit entgangen ist: Wenn schon einer von uns gehen musste, dann ist es so herum besser. Dann ist ihr wenigstens das, was ich durchmache, erspart geblieben.“
Die Frage des Seelsorgers hat ihn wieder in Berührung mit seinen Gefühlen gebracht: er spürt die Liebe zu seiner Frau und um ihretwillen kann er die Trauer ertragen. „Liebe ist stark wie der Tod“ sagt das Hohe Lied (HL8, 6). Sie ist das größte Geschenk Gottes. Jetzt aber hat der Mann dem Tod etwas entgegenzusetzen: „Du kannst mir den Menschen nehmen, doch über meine Liebe zu diesem Menschen hast du keine Macht.“ Mit dieser Erkenntnis kann der Mann weiter leben. Sie ändert zwar nichts an seinem Verlust, aber sie ändert etwas an seiner Einstellung zum Leiden: Wenn man weiß, wozu man leidet, lässt es sich leichter tragen. „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“ – das allerdings kann nur jede und jeder für sich selbst tun.
Es ist ein großer Unterschied, ob ein Hinterbliebener zu so einer tröstlichen Erkenntnis gelangt, oder ob jemand anderes ihm das sagt. Gut gemeinte Deutungen: „Wer weiß, was deiner Frau alles erspart geblieben ist…“ helfen Trauernden nicht. „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.“ Ich allein kann mein Leben deuten. Aber dabei können mir andere helfen – weniger mit Antworten, als mit einer klugen, behutsamen Frage.

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Erstellt am: 08.04.2014 19:51 Uhr