Holland -In Barcelona gilt der 7. November 1893 als Tag des Schreckens. Damals warf ein Anarchist zwei Bomben ins Liceu, den Musiktempel der Bourgeoisie. Der Ort des Attentats war mit Bedacht gewählt, denn das Liceu galt als katalanische Walhalla, wo man den Klängen des vergötterten Richard Wagner lauschte. Der Schriftsteller Josep Pla bemerkte damals, die Oper werde bei jeder Aufführung von einem «Meer voller Juwelen» überschwemmt. Derartige Ereignisse verdeutlichen die Zerrissenheit von Barcelona um 1900. Das katalanische Fin de Siècle war eben nicht nur die Zeit des süsslichen, Modernisme genannten Jugendstils und der dekorativ organisch geformten Bürgerhäuser am Passeig de Gràcia, es war ebenso die Zeit der Arbeiterstreiks, der Plünderungen, Barrikadenkämpfe und Kirchenverwüstungen.
Anzeige. Es ist das grösste Verdienst der zurzeit im Van-Gogh-Museum Amsterdam zu sehenden Ausstellung «Barcelona 1900», den katalanischen Modernisme in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zu präsentieren -als umfassenden künstlerischen Aufschwung, aber auch als elitäre Bewegung, die sich von den sozialen Konflikten der Grossstadt fernhielt. So baute Antoni Gaudàden Parc Güell weit oberhalb Barcelonas, damit sich der steinreiche Tuchfabrikant Eusebi Güell in den luftigen Höhen das städtische Chaos sprichwörtlich vom Leib halten und dabei die schöne Aussicht geniessen konnte. Auch Domènech i Montaner trotzte dem Grossstadtmoloch, indem er das Hospital de Sant Pau als verspielte Pavillon-Landschaft im Grünen wie ein Gartenreich errichtete. Auch die Künstler galten als Verächter Barcelonas. Claudio Hoyos malte die Mittelmeermetropole in den Fängen Satans, eines Monsters mit schwarzen Flügeln und furchterregenden Augen. Santiago Rusiñol zog es ins beschauliche Küstenstädtchen Sitges, wo er eine Künstlergemeinschaft gründete. Andere machten sich nach Paris auf, ins Zentrum der Avantgarde. Dort eiferten sie den französischen Vorbildern nach und malten die Strassenszenen von Montmartre in impressionistischer Manier. Nur die Nachwuchskünstler um Pablo Picasso blieben in Barcelona, trafen sich regelmässig im Café «Els Quatre Gats» und studierten die Alltagsszenen von Barcelonas verruchter Altstadt. Nicht umsonst gehören die Bilder des jungen Picasso zu den aufregendsten Werken von Barcelonas Fin de Siècle.
Bis 20. Januar 2008 im Van-Gogh-Museum Amsterdam. Katalog: Barcelona 1900. Hrsg. Teresa-M. Sala (Ausgaben in niederländischer, englischer und französischer Sprache). 196 S., € 29.95.
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Erstellt am: 20.11.2007 00:12 Uhr