Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis (23.06.)

L II: Gal 3, 26-29 / Ev: Lk 9, 18-24
Schwestern und Brüder!

Wie wird wohl die Bundestagswahl im September ausgehen? Bleibt Frau Merkel Bundeskanzlerin oder wird sie von Herrn Steinbrück abgelöst? Was meinen Sie? Keine Bange, Sie müssen jetzt hier nicht Ihre politische Überzeugung kundtun, denn das wäre wahrscheinlich auch viel zu wenig repräsentativ, um daraus wirklich eine wissenschaftlich vertretbare Prognose zu erstellen. Aber solche oder ähnliche Umfragen werden uns die nächsten Wochen vor der Wahl wohl beständig begleiten.

Nun können wir das für die große Politik ja durchaus verstehen. Aber ist es nicht mehr als verwunderlich, dass im eben gehörten Evangelium auch Jesus eine solche Umfrage startet? „Für wen halten mich die Leute?“, hören wir ihn hier fragen und mir geht durch den Kopf: Warum tut er das? Wobei mir durchaus bewusst ist, dass eine solche Frage recht unterschiedlich gestellt werden kann. Was ich damit meine? Nun, eine Frau, die mit einem Mann flüchtig flirtet und von ihm dann auf sein Hotelzimmer eingeladen wird, die kann pikiert sagen: „Für wen oder was halten Sie mich eigentlich?“ Oder wie oft werde ich von Menschen hier gefragt, ob ich ihnen nicht Arbeit vermitteln könnte. Das führt dann bei mir auch oft zu der Aussage: „Was glauben Sie denn, wer ich bin?“ Oder ich erinnere mich an die Aussage eines Mannes, der – nicht gerade seriös wirkend – einen höheren Geldbetrag leihen und nach ein paar Tagen zurückbringen wollte. Auf die Frage, ob er das denn tatsächlich könne, antwortete er entrüstet: „Für wen halten Sie mich denn?“
Spüren Sie es? All diesen rhetorischen Fragen ist die Gegenwehr gemeinsam; die Zurückweisung falscher Erwartungen oder auch ungebührlicher Unterstellungen. Ich glaube aber schon, dass man genau dies im Blick haben muss, wenn man verstehen will, weshalb Jesus diese Frage: „Für wen halten die Leute mich?“, stellt. Denn ganz offensichtlich hatte es auch Jesus mit falschen Erwartungen und irrigen Meinungen zu tun. Wir dürfen nicht vergessen: Dieser Frage an die Jünger geht die wundersame Brotvermehrung mit der Speisung der Fünftausend voraus. Im Anschluss daran zog sich Jesus ja in die Stille und die Einsamkeit zurück und vielleicht sind ihm da im Gebet oder auch der Meditation Zweifel gekommen. Zweifel dergestalt, dass er sich fragt: Wer bin ich denn für die Menschen? Und daraus resultiert dann seine Frage an den Freundeskreis: „Für wen halten mich die Leute?“
Genau genommen ist das nun keine demoskopische Meinungsumfrage, wie ich das eingangs erwähnt habe. Denn solche Meinungsumfragen im Blick auf Politiker und Parteien, sollen ja nur Aufschluss darüber geben, wie beliebt oder unbeliebt diese bei den Wählern sind. Aber Jesus will ja nicht beliebt sein. Er will als der verstanden und erkannt werden, der er ist. Er will nicht der große Zampano sein, auf den die Leute ihre vordergründigen Wünsche oder auch Bedürfnisse richten können. Keine Reinkarnation der Propheten Elia oder Johannes des Täufers, die ja beide recht gewalttätig ihre Gottesbotschaft kundtaten.
Vielleicht stellt er diese Frage auch, weil ihm bewusst ist, dass da noch ganz andere, weniger ehrenhafte Meinungen über ihn im Umlauf sind. Einige sehen in ihm einen Unruhestifter; für andere ist er ein „Fresser und Säufer“; wieder andere halten ihn für einen Scharlatan, der mit dem Teufel im Bunde ist; andere sehen in ihm den „Freund der Zöllner, Huren und Sünder“ oder einfach einen Verächter und Übertreter des mosaischen Gesetzes. Das alles ist in der Bibel nachzulesen und das alles nimmt Jesus in Kauf, solange es eben nicht seine eigenen Freundinnen und Freunde sind, die ihn falsch einschätzen. Denn das bedrückt ihn am meisten: Dass auch sie eigensüchtige Erwartungen hegen und eigene Machtinteressen im Sinn haben. Oder wie sonst ist es zu erklären, dass sie um eine Karriere an seiner Seite streiten und die Frage aufwerfen, wer von ihnen der größte sei?
All diese Erfahrungen und Gedanken stecken also hinter der Frage Jesu: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Klingt da aber nicht auch etwas von dem mit, was die eingangs erwähnten Beispiele an Gegenwehr gezeigt haben? So nach dem Motto: „Bin ich dazu da, um euch Macht und Ansehen zu verschaffen? Glaubt ihr im Ernst, dass ich eure Rivalitäten, eure Animositäten  und Rangstreitigkeiten gutheiße? Und du, Simon Petrus, hältst du mich vielleicht nur deshalb für den Messias Gottes, weil du damit Größe und Macht, Herrschaft und Anerkennung verbindest? So wie die meisten im Volk, die nichts davon wissen wollen, dass der Messias leiden und sterben muss, um seine Sendung wirklich zu erfüllen? Für mich ist es da kein Wunder, dass es da im Evangelium heißt: „Doch er verbot ihnen streng, es jemand weiterzusagen.“
Mit dem Messias-Bekenntnis und dem Messias-Titel waren damals viel zu viele unterschiedliche und vor allem falsche Erwartungen verbunden. Damit aber will Jesus nichts zu tun haben. Und deshalb setzt er dem ganzen noch eine kalte Dusche obendrauf: „Wer mein Jünger sein will, verleugne sich selbst. Er nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Das ist sein Weg – und es ist auch der unsrige. Nicht herrschen, sondern dienen. Nicht bei allen beliebt und anerkannt sein wollen, sondern den Weg seiner Überzeugung gehen, auch wenn man damit in den Augen vieler Zeitgenossen keinen Blumentopf gewinnen kann. 
Machen wir uns nichts vor: Unserer Kirche weht ein kräftiger Wind ins Gesicht und das nicht erst seit dem Aufkommen der Missbrauchsfälle vor knapp drei Jahren. Wenn wir heute hier rausgehen und die Passanten fragen würden: „Was halten sie von der Kirche“, dann würden wir häufig wahrscheinlich nur ein belangloses Achselzucken ernten oder vielleicht auch die ein oder andere unflätige Antwort enttäuschter Menschen erhalten. Von Menschen, die sich in dieser Kirche nicht mehr heimisch fühlen, weil sie sich als wiederverheiratete Geschiedene nicht mehr dazugehörig fühlen; weil sie als laisierte Priester keine Dienste mehr leisten dürfen; weil sie als engagierte Frauen doch nur zu Diensten zugelassen werden, die zweitrangig sind und…und…und.
Was aber könnte denn nun die Aufgabe der Kirche von heute sein? Ich für meinen Teil möchte behaupten: die oft unausgesprochenen Fragen und Sehnsüchte unserer Zeit aufspüren. Deutlich machen, dass alle Fragen unserer Zeit etwas mit dem christlichen Glauben zu tun haben. Wir müssen neue Antwortversuche riskieren, die die Menschen von heute erkennen und spüren lassen, dass sie mit ihren Bedürfnissen und Hoffnungen in dieser Kirche ernst genommen werden. Und – wir sollten die Geschichte und die Geschichten um Jesus so erzählen, dass man entdecken kann: Sich an ihm und seinem Verhalten zu orientieren, das könnte unserem manchmal so oberflächlichen Leben eine neue Tiefe und eine ganz neue Qualität geben. Ich möchte Ihnen nur ein paar Beispiele nennen: Viele leiden heute darunter, dass unsere Gesellschaft immer mehr von Egoismus geprägt ist und vom Bestreben danach, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Dahinter steht für mich die Frage nach Mitmenschlichkeit und Solidarität. Ein Blick auf das Leben Jesu könnte da ganz neue Perspektiven eröffnen. Oder viele sind unzufrieden damit, dass ihr Leben nur noch von Stress und Hektik geprägt ist – so stark, dass sie nicht mehr zu sich selbst kommen. In dieser Unzufriedenheit melden sich die Hoffnung nach einer größeren Gelassenheit und der Wunsch, nicht nur an der eigenen Leistung gemessen zu werden. Könnte da nicht das Gottvertrauen Jesu ein heilsames Gegenmittel sein?
Zwei Beispiele dafür. Was und wie Kirche heute sein kann. Wie sie auf jeden Fall nicht sein soll, das hat mir eine der bekannten Penauts-Karikaturen mit dem Jungen Lnius und dem Hund Snoopy deutlich gemacht. Sie besteht nur aus zwei Bildern. Da zeigt der kleine Linus ein Schild mit der Aufschrift: „Christus ist die Antwort!“ Und auf dem zweiten Bild sieht man den Hund Snoopy mit einem Plakat: „Und was war die Frage?“ Prägnanter kann man nicht zum Ausdruck bringen, was viele heute behaupten, dass nämlich die Kirche mit ihrer Botschaft an den Alltagsfragen der Menschen vorbeilebt, dass sie Antworten auf Fragen gibt, die keiner gestellt hat. Deshalb gilt: Wir dürfen uns nicht mit stereotypen Antworten und leeren Glaubensformeln zufrieden geben, sondern müssen immer wieder neu definieren, wer Christus für uns ist. Nur dann bekommen die Menschen von heute einen Zugang zu ihm und nur so lebt Kirche das, was ihr Auftrag ist.
So möchte ich schließen mit dem Bekenntnis, welches ich mir von Lothar Zenetti zu Eigen gemacht habe: „Wer ist Jesus für mich? Einer, der für mich ist! Was ich von Jesus halte? Dass er mich hält.“ Amen. 

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Erstellt am: 24.06.2013 12:09 Uhr

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