Predigt zum 3. Fastensonntag 2014 (23.03.)

Schwestern und Brüder!
„In alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war die Schönste. Nahe bei dem Schlosse des Königs lag ein großer, dunkler Wald, in dem unter einer alten Linde ein Brunnen war. Wenn nun der Tag recht heiß war, ging das schöne Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Brunnen, und wenn es Langeweile hatte, nahm es eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder auf; das war sein liebstes Spielwerk…“
Kommt Ihnen die Geschichte bekannt vor? Genau, es ist die Geschichte vom Froschkönig. Wir wissen: eine goldene Kugel fällt in den Brunnen, das Kind ist untröstlich und ein Frosch erbarmt sich seiner. Aus der Tiefe des Brunnens holt er die Kugel ans Tageslicht. Allerdings eilt das Kind davon, ohne weiter auf den Frosch zu achten und vor allem: ohne sein Versprechen einzulösen, den Frosch mitzunehmen und mit ihm Tisch und Bett zu teilen.
Wie die Geschichte weitergeht? Plitsch platsch und auf einmal steht der Frosch vor der Tür. Dem Kind wird angst und bange, doch der König, ihr Vater, besteht darauf, dass das gegebene Wort eingehalten wird. Als der Frosch dann tatsächlich im Bett neben dem Mädchen schlafen will, wird er von ihr wütend an die Wand geklatscht – und: entpuppt sich als verhexter Königssohn. Jetzt also ist er erlöst. Dieses Wort kommt tatsächlich vor: erlöst. Das Mädchen wird erlöst und der Königsohn wird erlöst. So wird in diesem Märchen der Gebrüder Grimm die Sehnsucht angesprochen, zurückzubekommen, was einstmals verloren war. Es spricht von der Sehnsucht, dass ein Versprechen verlässlich eingehalten werden soll; und davon, einen Fluch zu überwinden. Aber: es ist ein Märchen – ganz anders also als unser Evangelium. Bei Johannes ist nichts verhext, aber doch vieles verkorkst. Mit einem Schluck Wasser fängt hier die Erzählung an und am Ende steht die Fülle des Lebens. Dazwischen aber geschieht Begegnung – oder auch: es findet eine Liebesgeschichte statt. Hören wir einfach mal, was die Frau am Brunnen in einem fiktiven Brief an Ihre Freundin geschrieben hat:
„Liebe Hannah, gestern ist mir etwas so seltsames passiert, dass ich es Dir unbedingt erzählen muss, weil ich es selber noch nicht so recht begreifen kann. Vielleicht kannst Du mir ja helfen, es besser zu verstehen. Du weißt ja, dass ich immer um die Mittagszeit zu unserem Jakobsbrunnen gehe, um mein Wasser zu holen. Ich weiß, es ist blöd, dies in der sengenden Mittagshitze zu tun. Aber morgens, wenn all die anderen Frauen da sind, fühl ich mich nicht wohl. Ich kann ihre Blicke oft nicht mehr ertragen. Für sie bin ich nichts anderes als eine Ehebrecherin, eine Sünderin – ein Flittchen. Was soll ich denn auch mit ihnen reden? Sie haben ja Recht. Ich habe es noch nie geschafft, eine gute Ehe zu leben. Irgendwie hab ich immer die falschen Frösche geküsst – und keiner hat sich in den verwandelt, mit dem ich in die Zukunft hätte gehen können und auch wollen. Ja, ich bin immer an die Falschen geraten; aber das ist ein anderes Thema.
Jetzt pass auf: Gestern war es eigentlich so wie immer. Aber als ich außerhalb des Dorfes auf die staubige Landstraße einbog, sah ich von weitem einen Mann am Brunnen sitzen. Am liebsten hätte ich gleich wieder kehrtgemacht und wäre heimgegangen, weil ich ja allein sein wollte. Aber ich brauchte das Wasser, weil ich schon seit Stunden keines mehr hatte. Also fasste ich mir ein Herz und ging weiter. Als ich dann noch ein Stückchen näher dran war, sah ich, dass dieser Mann ein Jude war. Kannst dir das vorstellen? Ich allein mit einem Juden am Brunnen! Das hatte mir grade noch gefehlt. Ich wußte ja auch gar nicht, wie er auf mich als Samariterin wohl reagieren würde. Du weißt ja selbst, was die Juden von uns halten. Für die sind wir doch nur der Abschaum der Gesellschaft.
Ich beschloss für mich so zu tun, als sei er gar nicht da. Und ich hatte mir vorgenommen: Wenn er anfängt mich zu beschimpfen, dann reagiere ich einfach nicht. Also ging ich zielstrebig zur Winde und schaute den Mann gar nicht an. Als ich aber den Krug hinablassen wollte, kam es mir so vor, als spürte ich seinen Blick auf mir. Ganz intensiv. Und das Eigenartige: es war mir gar nicht unangenehm. „Gib mir bitte zu trinken,“ sagte er. Ich traute meinen Ohren nicht. Wie kann er denn als Mann, mich, eine Frau um etwas bitten? Wie kann er, ein Jude, mich – eine Samariterin, eine Ungläubige – ansprechen? Normalerweise beobachten mich Männer doch nur aus den Augenwinkeln oder mit diesem bestimmten lüsternen Blick, mit dem sie Frauen immer anschauen, wenn sie das Eine wollen. Und: Normalerweise bin ich’s gewohnt, dass man über mich spricht. Aber der sprach mich an. Deshalb hab ich mich gefragt: Wo ist das Fettnäpfchen, in das ich jetzt gleich treten werde?
Doch nichts dergleichen. Vielmehr sagte er ganz unvermittelt, dass er mir etwas zu geben hätte. Lebendiges Wasser, von dem man angeblich keinen Durst mehr bekommen würde. Stell Dir das mal vor. Das wäre doch der Hammer. Ein Wasser, das nicht mehr ausgeht und mir all diese beschwerlichen Wege ersparen würde. Ohne groß nachzudenken hab ich spontan gesagt: „Ja, Herr, gib mir dieses Wasser!“ Und schon im Sagen viel mir auf: Weshalb nenne ich ihn eigentlich „Herr“? Das hab ich doch noch nie zu einem Mann gesagt. Aber irgendetwas an ihm hat mich fasziniert.
Und jetzt pass auf, es kommt noch besser! Dieser Mann sagte mir doch glatt meine ganze Lebensgeschichte auf den Kopf zu! Sprach von meinen fünf gescheiterten Beziehungen – und dass auch die jetzige Partnerschaft im Grunde schon wieder vorbei sei… Liebe Hannah, ich kann dir nicht beschreiben, wie es mir in diesem Moment ergangen ist. Was der Mann da zu mir gesagt hat, das hat mich bis in den letzten Winkel meines Herzens getroffen. Ich weiß nicht, ob ich es Dir richtig schildern kann; aber es hat mich so berührt, so bewegt – und vor allem: Es hat mich in keinster Weise verletzt. Ich hab mich vor ihm überhaupt nicht bloß gestellt gefühlt und ich habe mich auch nicht geschämt. Ich habe immer nur gedacht – und denke es immer noch: er hat ja Recht. So sieht mein Leben aus. Immer wieder versuche ich mit all meinen Sinnen, Begierden und Sehnsüchten meine Gefühle auszuleben, aber es klappt nicht. All meine Beziehungskisten sind irgendwie immer an der Oberfläche geblieben. Sicherlich: es gab auch schöne Momente – ohne Zweifel. Aber wenn ich ehrlich bin, dann haben alle das Gegenteil von dem bewirkt, was ich wollte. Ich wollte ein Zuhause und bin an den Rand gedrängt worden. Ich wollte Gemeinschaft und Partnerschaft – und bin immer einsam geblieben. Oh ja, wie Recht er doch hat.
In diesem Moment schaute ich in den Brunnen. Ich sah mein Gesicht auf der Wasseroberfläche und gleichzeitig, wie tief der Brunnen ist. So tief, dass ich nicht auf den Grund schauen kann. Da schoss es mir durch den Kopf: Dieser Mann da, der kann mehr sehen als mein oberflächliches Gesicht, als meine äußere Erscheinung. Der sieht tiefer – bis zu meinem Grund. Ich muss es einfach noch mal sagen, weil ich es selbst noch gar nicht so recht begreife: Es hat gut getan und tut noch immer gut, dass mir einer auf den Grund geschaut hat. Hinter mein Gesicht. Dass einer gesehen hat, wie viel Durst und Sehnsucht da ist – aber auch wie viel an Wunden und Enttäuschungen. Der Mann hat dann auch in den Brunnen geschaut. Und wie sich unsere Blicke auf der Wasseroberfläche begegneten, da kam in mir etwas in Bewegung. Da spürte ich plötzlich wieder so etwas wie Le-
bensmut oder auch eine neue Lebendigkeit in mir.
Was hatte er noch einmal von diesem lebendigen Wasser gesagt? Dass ich
ihn bitten könne und dann könne er es mir geben? Hatte er es mir nicht schon gegeben? Hannah, ich weiß es nicht. Aber ich spüre jetzt, dass ich die Möglichkeit habe, mein Leben zu ändern. Und da freu ich mich drauf. Außerdem habe ich das ganz große Verlangen, allen weiterzuerzählen, was mit mir geschehen ist. Dir, meiner lieben Freundin, und auch den Menschen im Dorf. Ob er wohl der Messias ist? Was meinst du? Ich nehme Dich in den Arm und bleibe Deine…“
Ein fingierter Brief – sicherlich! Aber das Ereignis, es ist wahr. Und: Es kann sich täglich neu ereignen – in Ihrem und in meinem Leben. Es ereignet sich überall dort, wo es uns gelingt, uns anzusehen und anzunehmen, so wie wir sind, ohne uns zu verurteilen und anzuklagen; wo wir uns trauen, nach einer Zeit der Trauer, des Scheiterns und auch nach Irrwegen, einen Neuanfang zu machen. Es ereignet sich dort, wo wir bereit sind, alte Einstellungen und Meinungen zu verlassen und uns einer neuen Einsicht zu öffnen. Genauso wie die Samariterin. Ihr ist kein Märchenprinz vor die Füße gefallen – und die Beziehung zu ihrem jetzigen Mann muss sie noch klären, keine Frage. Aber sie hat ihre Selbstachtung wieder, ihre Menschenwürde ist wieder hergestellt. Deshalb muss man sich auch nicht wundern, dass sie letztlich ihren Krug am Brunnen stehen lässt und einfach zurück ins Dorf rennt, um den anderen von ihrer Veränderung zu erzählen. So wird ausgerechnet sie – von vielen sonst als „schwarzes Schaf“ des Dorfes betrachtet – zur Zeugin und Bekennerin für Jesus.
Mit einem Schluck Wasser fängt die Erzählung an und mit der Fülle des Lebens hört sie auf. Dazwischen aber findet Begegnung statt – oder auch: eine Liebesgeschichte. Amen!

Infos unter:

Erstellt am: 24.03.2014 09:59 Uhr

Zündfunke, 23.03.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Viel Geld, so lautet die irrige Meinung vieler Zeitgenossen, bedeutet auch viel Freiheit. Ein Gedanke, den man immer und immer wieder aufschnappen kann. Und warum? Weil viele so denken. Doch diese Sichtweise ist absolut falsch, erhebt jemand Einspruch, der es eigentlich wissen muss. Es handelt sich um keinen geringeren als Michael Chodorkowskij, der einmal einer der reichsten Männer Russlands war und der als Kreml-Kritiker viele Jahre in Haft saß und erst vor wenigen Monaten freigekommen ist.
Als Chef des riesigen Ölkonzerns Yukos gehörte ihm ein Vermögen von sage und schreibe 15 Milliarden Euro. Bis er 2003 verhaftet wurde und bis Dezember 2013 in verschiedenen russischen Gefängnissen einsass. Steuerhinterziehung wurde ihm angelastet, aber seine Verurteilung war politisch motiviert.
Jetzt also ist er frei und wie viel Geld ihm geblieben ist…man kann nur munkeln. In der Haft hat er viel über sein Leben nachgedacht und dabei auch einen bemerkenswerten Brief geschrieben, der in einer großen russischen Zeitung veröffentlicht wurde. Der ehemalige Milliardär hatte darin eine Botschaft vor allem für junge Menschen: Macht nicht den gleichen Fehler wie ich und denkt: viel Geld ist gleich viel Freiheit! Viel Geld lähmt die kreativen Kräfte im Menschen. Was im Leben wirklich zählt, das sind Gefühle und Ideen.
Ob diese Botschaft ankommt, ist schwer zu sagen. Für mich ist es ein Anlass, sich daran zu erinnern, was die christliche Tradition zu diesem Thema zu sagen hat. Die Theologen des Mittelalters waren der Meinung, dass Besitz insoweit frei macht, als der Mensch Güter braucht, um überhaupt leben zu können. Jeder Besitz aber, der über das zum Leben Notwendige hinaus ging, gehörte ihrer Meinung nach nicht mehr dem Einzelnen persönlich, sondern sollte wie ein gemeinsames Gut betrachtet werden, d.h., es sollte den Notleidenden zugute kommen. Das klingt heutzutage ein wenig verstaubt. Doch mir fällt jener etwa 50 jährige Mann ein, der sich vor Jahren sehr schwer tat, seinen Lottogewinn in Höhe von 9,1 Millionen Euro anzunehmen. Er hatte einen interessanten Beruf, eine Wohnung und ein Auto, also alles, was man so zum Leben braucht. Doch er hatte Angst, dieser gewaltige Geldsegen könnte sein Leben völlig durcheinander bringen. Nach langem Zögern nahm er daher zwar die 9,1 Millionen Euro an, spendete sie aber in voller Höhe einer gemeinnützigen Stiftung. Ein unverständliches Verhalten für jemanden, für den viel Geld auch viel Freiheit bedeutet. Nachvollziehbar aber für einen Menschen, für den Freiheit gerade darin besteht, das mit anderen zu teilen, was man über das Lebensnotwendige hinaus besitzt.

Infos unter:

Erstellt am: 24.03.2014 09:57 Uhr

Einladung zur Präsentation des neuen Natur-Reiseführers

Teneriffa: Blaue Finken · Blütenpracht
Natur-Reiseführer für eine faszinierende Vulkaninsel im Kanarischen Archipel von Horst Wilkens und Ulrike Strecker
Der Consejo Regulador de Vinos de Abona lädt hierzu ein. Die Veranstaltung findet am Dienstag, den 25. März um 17:00 Uhr im Gebäude des Consejo in El Porís de Abona, Arico, Calle Martín Rodríguez, 9 statt. Die Teilnahme ist kostenlos und eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Das Programm ist in Deutsch und Spanisch, gemütlich bei einem Glas Wein und kleinen Snacks werden außerdem Dias gezeigt.

Infos unter:

Erstellt am: 22.03.2014 12:42 Uhr

Zündfunke, 22.03.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Verehrte Schwestern und Brüder, heute beginne ich meinen Zündfunken in meiner Muttersprache: „Oh wenn i no scho liege dät – sait sel alt Weible wo am Bettrand sitzt“. Alles klar, ich weiß, das muss jetzt für alle Nichtschwaben unter uns ganz dringend übersetzt werden: „Oh wenn ich nur schon liegen würde, sagt jenes alte Weiblein, das am Bettrand sitzt.“
Was sich zunächst noch ganz lustig anhört, dieser schmerzlich lange Weg vom Sitzen auf der Bettkante zum Liegen im Bett, hat doch einen recht ernsten Hintergrund. Dieser Spruch stammt von alten Bauersfrauen aus meiner schwäbischen Heimat, die geplagt von jahrzehntelanger Feldarbeit in gebückter Haltung solche Rückenprobleme haben, dass sie nur schwer vom Sitzen ins Liegen kommen. Und da es mir diese Woche um Körperhaltungen geht, komme ich um das Liegen einfach nicht herum.
Vielleicht liegen Sie ja gerade, wenn Sie diese Sendung hören und bestenfalls können Sie sich noch einmal wohlig umdrehen. Liegen hat mit Wohligkeit zu tun, mit Ruhe, Entspannung und Lust. In der Bibel ist Liegen der Ausdruck dafür, wenn Frau und Mann miteinander schlafen. Liegen kann aber auch eine Last sein. Wenn man schlaflos wach liegt und sich von einer Seite auf die andere wälzt und einfach nicht in den ersehnten Schlaf kommen kann. Liegen kann eine Last sein, wenn man durch Krankheit ans Bett gefesselt ist, Wochen, Monate oder gar Jahre im Bett liegen muss. Dann braucht es eine unvorstellbare Geduld bei den Menschen, die Liegen müssen und bei den Menschen, die sie pflegen. Liegen ist die bedeutsamste Körperhaltung. Sitzen, gehen, stehen – das ist normal, das ist Alltag. Aber das Liegen, wenn es nicht mit dem Schlafen oder dem Zärtlichkeitsaustausch mit einem anderen Menschen verbunden wird, das deutet auf eine Ausnahmesituation, ja oft auf eine existentielle Situation hin, wenn bei einem Unfall die Menschen am Boden liegen. Aber das gilt nicht nur in Notsituationen; nein, liegen tut man an allen Knotenpunkten des Lebens: bei der Zeugung, bei der Geburt und beim Sterben. Am Beginn des Lebens, wenn es ernst, schön oder wichtig wird im Leben und am Ende des Lebens: wir liegen. Und da hat das Liegen zwar auch mit Ruhe zu tun, aber nicht mit der des Ausruhens, sondern mit einer Ruhe, die außerhalb aller Geschäftigkeit liegt. Eine Ruhe, die die Bedeutung der Situation spüren lässt, ihre Zeitlosigkeit. Eine Ruhe, die den Menschen  zu sich selbst bringen, aber auch auf sich selbst zurückwerfen kann. Das Liegen an den Knotenpunkten des Lebens zeigt die Größe des Menschen an und zugleich wie klein er noch ist. Es zeigt seine Hilfsbedürftigkeit aber auch seine Würde. Wenn er liegt und sich geborgen weiß. Beim Lieben und Leiden, im Leben und im Tod. 

Infos unter:

Erstellt am: 22.03.2014 12:10 Uhr

Zündfunke, 21.03.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Ende vergangenen Jahres wurde in vielen Fernsehsendungen des einhundertsten Geburtstages von Willy Brandt gedacht. Dabei wurde immer und immer wieder auch ein Bild eingeblendet, das um die Welt ging. Es war der 7. Dezember 1970, mitten im Kalten Krieg. Willi Brandt besucht Polen und legt in Warschau vor dem Mahnmal für die Opfer des jüdischen Ghettoaufstandes einen Kranz nieder. Er ordnet die Schleifen, wie das Politiker immer so machen, tritt einen Schritt zurück – und plötzlich geht er auf die Knie. Kniet nieder auf dem nassen Asphalt – im Bewusstsein der Größe der Schuld und der Verbrechen, die die Deutschen im so genannten Dritten Reich begangen hatten.
„Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare“ – heißt es. Und Willi Brandts Kniefall in Warschau war die Übersetzung seiner Bitte um Vergebung. Es geht mir um Körperhaltungen in dieser Woche und das Knien ist die außerordentlichste und unzeitgemäßeste aller Körperhaltungen. Und warum? Weil sie über Jahrhunderte als Zeichen der Unterwerfung und Demütigung missbraucht wurde. Früher vor Kaisern, Königen oder Päpsten, heute vor menschenverachtenden Geiselnehmern, die ihre Gefangenen vor den Augen der Welt niederknien lassen.
Das Knien ist für viele, zumeist aufgeklärte Menschen in der westlichen Hälfte der Erdkugel, eine unzeitgemäße Körperhaltung, weil sie sich zu selbstbewusst, ja vielleicht zu stolz fühlen für diese Geste, die doch auch für eine tiefe Demut steht. Knien ist die radikalste und deshalb auch am meisten religiöse Körperhaltung. Radikal weil an die Wurzeln, ans Eingemachte, ins tiefste Innere gehende Geste. Deshalb darf Knien nie Zwang sein. Niemals von außen auferlegt sein. Sonst wird aus der Demut eine Demütigung. Knien darf nur freiwillig sein oder spontan, so wie bei Willi Brandt, wenn man sich der übergroßen Schuld oder der Macht des Schicksals bewusst wird. Oder wenn man, wie ich es bei Unfällen oder plötzlichen Todesfällen erlebt habe, neben den Verletzten oder Verstorbenen einfach nicht anders kann als niederknien. Knien ist eine zutiefst menschliche und auch sehr würdevolle Körperhaltung. Weil sich der Mensch kleiner macht, bewusst kleiner macht, wenn er die Größe Gottes ahnt. Oder unbewusst kleiner macht, wenn er die Größe eines Geschehens spürt. Knien kann eine sehr schöne Körperhaltung sein, weil sie den Menschen im tiefen Bewusstsein seiner selbst zeigt: klein, begrenzt und verletzlich, aber zugleich konzentriert, aufrecht und würdevoll.  

Infos unter:

Erstellt am: 22.03.2014 12:08 Uhr

Zündfunke, 20.03.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
In einem Lied des britischen Rock-Musikers, Bassisten und Sängers „Sting“ heißt es: „A gentleman will walk, but never run“. Frei übersetzt heißt das so viel wie: Ein Gentleman, also ein vornehmer Herr, der geht, er rennt nicht.
Gehen, das ruhige Gehen also als ein Ausdruck von Vornehmsein, von Gelassenheit und Würde. Es geht mir ja in dieser Woche um Körperhaltungen. Wobei das Gehen genau genommen ja gar keine Körperhaltung ist, sondern vielmehr ein körperlicher Ausdruck durch Bewegung. Doch auch am Gehen lassen sich interessante menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen ablesen. In der Kirche rennt man zum Beispiel nicht. Das musste ich den Kindern in den Kommuniongruppen immer erst mal beibringen. Und warum? Weil dort, wo der liebe Gott wohnt, so meine Erklärung, Ruhe und Stille sein sollen. Und weil die Menschen, die zu ihm beten, nicht gestört oder gar erschreckt werden sollen. Politiker, Menschen mit Macht oder solche, die sich ganz wichtig finden, die gehen auch ganz langsam. Manche scheinen dabei so von ihrer eigenen Bedeutung beeindruckt zu sein, dass sie sich schon fast nicht mehr fortbewegen können.
Ganz anders ist da das Spazierengehen. Da bestimmt man selbst das Tempo. Allein, wenn man in die Natur möchte, den Kopf freibekommen oder die Gedanken ordnen. Oder beim Spaziergang zu zweit, im Gehen ein Problem lösen oder einfach beim Reden die Beziehung pflegen. Gehen ist immer auch ein Schlüssel für menschliche Beziehungen. Nicht umsonst heißt es ja auch – „die gehen miteinander“ – wenn junge Leute eine Liebesbeziehung miteinander eingegangen sind.
Und nicht zuletzt hat das Gehen auch im religiösen Leben eine wichtige Bedeutung. Zu sehen in Prozessionen, in den Wegen beim Gottesdienst, wenn zum Beispiel der Altar umschritten und mit Weihrauch verehrt wird. In der Liturgie der orthodoxen Christen ist noch viel mehr Bewegung als in unseren katholischen oder den evangelischen Kirchen. In der orthodoxen Liturgie gehen die Menschen rein und raus aus dem Gottesdienst und hin und her in der Kirche, wenn sie zum Beispiel die Ikonen küssen oder Kerzen anzünden.
Und schließlich ist das Gehen auch eines der zentralen Worte und eigenen Verhaltensweisen Jesu. Er ging im wahrsten Sinne des Wortes auf die Menschen zu. Und weil ihm das selbst wohl viel Kraft gekostet haben muss, ging er auch immer wieder von den Menschen weg – in die Einsamkeit, auf einen Berg oder in die Wüste. Und wenn er Menschen geheilt hatte, sagte er meistens:… und jetzt geh’ nach Hause. Ich hab mir sagen lassen, dass es im Griechischen „eis ta idia“ heißt, also so viel wie „geh in das dir eigene. Geh’ zu dir selbst zurück, zu dem, was dich ausmacht. Also sei dir treu und geh’ zu Dir nach Hause!“

Infos unter:

Erstellt am: 22.03.2014 12:06 Uhr

Zündfunke, 19.03.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Heute unterbreche ich meine Gedanken über Körperhaltungen in dieser Woche, denn heute feiern wir einen Festtag. Das Fest des Heiligen Josef. Dieser war mir schon als Kind überaus sympathisch; denn der Josefstag war zu meiner Grundschulzeit noch schulfrei und von daher besonders herzlich willkommen.
Josef ist ja aus den Erzählungen über die Geburt und die Kindheit Jesu nicht wegzudenken. Er hat in den entscheidenden Momenten das Richtige getan, um Maria und das Kind zu schützen. Aber sein Bild verliert sich im Dunkeln. Historisch wissen wir überhaupt nichts von ihm. Und dennoch spiegeln sich tiefe menschliche Erfahrungen in den biblischen Texten.
Der Jesuitenpater Alfred Delp, der im Widerstand gegen Hitler war und im Februar 1945 hingerichtet wurde, hat im Gefängnis über Josef eine Betrachtung geschrieben. „Der Mann im Schatten; der Mann am Rande“ sei er gewesen. Aber auch „der Mann der schweigenden Hilfestellung und Hilfeleistung“. Dauernd habe Gott „mit neuen Weisungen “ in sein Leben eingegriffen. Dabei mag sich Josef durchaus ein anderes, ein geborgenes Leben vorgestellt haben, sagt Delp, aber er wurde „in die Ungeborgenheit des Zweifels, des belasteten Gemüts, des gequälten Gewissens“ geschickt, auf „die zugigen und windoffenen Straßen … des unwirtlichen fremden Landes“. Die „dienstwillige Bereitschaft“, so Delp, sei Josefs Geheimnis.
„Dienstwillige Bereitschaft“: Das mutet  fremd an. Es widerspricht unserem berechtigten Wunsch, unser Leben so zu gestalten, wie wir selbst das für sinnvoll halten. Aber, fragt Delp, ist das nicht unser Verhängnis, dass wir den Lebenssinn nach unseren Maßstäben konstruieren wollen? Ja dass wir Gott „in die Grenzen und Schranken unserer Nützlichkeit“ einsperren und ihn nur insoweit anerkennen, als er uns in unseren eigenen Vorstellungen bestätigt? Die „dienstwillige Bereitschaft“ des Josef – könnte das nicht bedeuten: offen zu sein für das Unwägbare des Lebens, für Überraschungen, auch wenn sie manchmal schmerzlich sind? Könnte es nicht bedeuten, die unlösbaren Fragen auszuhalten; einfach zuzugeben, dass wir vieles nicht verstehen? Und könnte es nicht auch bedeuten, in den dunklen, rätselhaften Seiten des Lebens den verborgenen, rätselhaften Gott zu ahnen? Offen zu bleiben für den, der uns auch in der Leere und Dunkelheit zusagt: „Ich bin da“? Josef, den Gott immer wieder in  das Fremde, Unbekannte geschickt hat – von ihm sagt Delp: Er „ist der Mann, der ging“. Er verkörpert das Bild eines glaubenden, vertrauenden Menschen. Ich gratuliere allen, die seinen Namen tragen, heute zu ihrem Namenstag.

Infos unter:

Erstellt am: 22.03.2014 12:04 Uhr

Zündfunke, 18.03.14

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Für mich ist das häufig ein recht interessanter, manchmal aber auch ein kniffliger und nicht selten mühsamer Moment: der Augenblick des Aufstehens. Den Moment also, in dem ich die Bettdecke zurück schlage und meinen Körper von der Horizontalen in die Vertikale bringe. Aufstehen, das hat etwas mit Willen und mit Kraft zu tun. Manches Mal sicher auch mit Lust, wenn etwas Schönes ansteht und dann aber auch wieder mit Last, wenn es schwer fällt – an Leib oder Seele.
Aufstehen, ins Stehen kommen – um Körperhaltungen geht es mir in dieser Woche. Und ich sage Ihnen: Wenn es einem dann morgens gelungen ist zum Stehen zu kommen, dann zeigt einem die Körperhaltung oft schon, wie es einem geht. Wie es so mit einem steht. Manche stehen gebückt, wie von einer Last gedrückt. Manche steif und gerade als hätten sie einen Stock verschluckt. Ein guter Stand zeugt von Festigkeit, von Stärke und Haltung. Das gilt übrigens nicht nur beim Militär, wo eine Haltung annehmen, so etwas wie ein Ausdruck von Konzentration und Disziplin ist. Martin Luther‘s innere Haltung war zum Beispiel unumstößlich, indem er sagte: „Hier steh’ ich und ich kann nicht anders.“ Einfach und klar in deutliche Worte gefasst.
Stehen ist aber auch ein Zeichen des Respekts und der Ehrerbietung. Als Schüler mussten viele von uns früher immer noch aufstehen, wenn der Lehrer ins Klassenzimmer kam. Und die Standing Ovations bei den Oscar-Verleihungen sind oft ein berührendes, aber manchmal auch ein rührseliges Ritual. Stehen tut man, wenn es wichtig wird: zum Ja-Wort bei der Hochzeit oder bei einem gemeinsamen Gebet. Worte, die gemeinsam und im Stehen zu Gott gesprochen werden, zeigen wie wichtig diese Worte sind. Sie zeigen die Verbundenheit der Menschen, die beten und sie zeigen ihre Ehrfurcht vor Gott.
Gemeinsames Stehen ist aber auch ein schönes Zeichen des Zusammenhalts. Ich habe das einmal bei einem Fußballspiel erlebt. Aus Wut über die rassistischen Sprüche eines Gegenspielers bei einem Freizeitturnier, der einen meiner türkischen Mitspieler mehrfach mit unflätigen Aussagen beleidigt hatte, säbelte ich diesen Gegenspieler einfach um. Ich weiß, das ist auch nicht die feine englische Art. Aber als der Gegenspieler dann auf mich losgehen wollte, da stellten sich viele aus meiner Mannschaft vor mich und bildeten wie einen Schutzring um mich. Weder da noch danach hat mir dieser Gegenspieler etwas getan. Und rassistische Sprüche habe ich fortan bei diesem Turnier auch keine mehr von ihm gehört. Solche und andere Erfahrungen des Zusammenstehens können einem helfen auch allein standhaft zu sein, sich gerade zu machen und der Welt selbstbewusst und offen zu begegnen. 

Infos unter:

Erstellt am: 22.03.2014 12:03 Uhr

Stiftungsarbeit gegen weibliche Genitalverstümmelung

Aus kulturellen oder religiösen Gründen und besonders viel in Afrika und dem Nahen Osten verbreitet, ist die weibliche Genitalverstümmelung. Die oft stümperhafte Entfernung von Gewebe an den Genitalien von Frauen ist eine Praxis, die ernste physischen und psychischen Folgen für die betroffenen Frauen haben.
Da die Kanaren, wegen ihrer Nähe und Beziehung mit dem afrikanischen Kontinent, eine der spanischen Regionen mit den meisten potenziellen Opfer dieser Form sind, hat man eine Stiftung zwischen der Universität Wassu und Universität Barcelona (UAB) hergestellt. Eine der Autoren, Amalia Gomez, sagt, dass auf den kanarischen Inseln mehr als 11.000 Menschen leben, die aus Ländern, in denen FGM praktiziert wird stammen. Die meisten von ihnen kommen aus dem Senegal, Mauretanien, Nigeria, Guinea-Bissau, Conakry und Ghana. Innerhalb dieser Gruppe schätzt die Stiftung, daß es auf den Kanaren heute etwa 3.860 potenzielle Opfer gibt, die entweder bereits beschnitten sind oder sind in großer Gefahr befinden, das unmenschliche Ritual über sich ergehen lassen zu müssen.
In dieser großen Gruppe von Betroffenen, befinden sich mindestens Eintausend Mädchen unter 14 Jahren. Es wird aus kulturellen Gründen getan, es hat mit Tradition zu tun, es wird als ein Übergangsritus angesehen, sagte Amalia Gomez.
In diesem Sinne arbeitet nicht nur Stiftung Wassu an Forschung und Lehre, sondern erarbeitet auch ein spezifisches Präventionsprojekt in Gambia. Wir haben Untersuchungsergebnisse, die zeigen, dass vielen Frauen, die einer weibliche Genitalverstümmelung unterzogen wurden, nicht nur an gravierende Folgen bei ihrer eigenen Gesundheit leiden, sondern auch, das Babys unter fetalen Stress leiden, so ein Sprecher.

Eine Studie, die von einer spanischen Agentur, die Bevölkerungsdaten und Zahlen auswertet, schätzt die potenzieller Opfer, im Falle von Ländern wie Gambia oder Mauretanien, auf über 80 % der gesamten weiblichen Bevölkerung.
Es ist ein Verbrechen, eine Verletzung, definiert und durch das Strafgesetzbuch sanktioniert. Die Täter können mit bis zu 12 Jahren Gefängnis rechnen und haben keine Möglichkeit zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

Infos unter:

Erstellt am: 19.03.2014 12:36 Uhr