Zündfunke, Mittwoch 12.09.12

Einen wunderschönen guten Morgen, liebe Schwestern und Brüder!
Es war einmal ein Baumstamm, entastet, geschält, abgelagert und kräftig gewachsen. Der fragte sich, was wohl seine Bestimmung in dieser Welt sei. Da sah er viele andere Baumstämme auf einem Stapel beieinander liegen. „Was ist eure Bestimmung in dieser Welt?“ fragte der Baumstamm.

„Wir gehen über den Fluss, von einem Ufer zum andern. Drüben vereinigen wir uns mit vielen unserer Art, und es erstehen große Bauten, eine ganze Stadt.“
„Oh“, sagte der Baumstamm, „das gefällt mir. Das möchte ich auch tun. Das soll auch meine Bestimmung sein“. Und er legte sich zu den anderen auf den Stapel.
Als nun die Bauleute kamen und die Baumstämme auf ihre Karren luden, sprachen sie zueinander: „Wir sollten zunächst eine Brücke über den Fluss bauen, damit es leichter wird, die Baumstämme hinüber zu bringen.“ Da der Fluss breit war, so mussten sie in seiner Mitte einen Brückenpfeiler errichten und wählten dazu unseren Baumstamm aus. Sie rammten ihn mitten in das Flussbett und legten Planken auf seinen Nacken, so dass sie nun die anderen Baumstämme hinüberfahren konnten. Die Baumstämme sagten zu ihrem Kameraden, der im Wasser stand. „Wie gut, dass es dich gibt. Du hältst die Verbindung zwischen uns. Das ist sehr wichtig!“
Der Baumstamm aber sah das ganz anders: „Was ist denn nur ein Brückenpfeiler?“, fragte er. „Die anderen errichten zusammen einen Bau, eine Stadt, ich aber stehe hier in der Mitte des Flusses, allein, gehöre zu keiner Seite und bekomme nasse Füße.“ Und der Baumstamm weinte.
Die Jahre vergingen. Die Stadt wuchs, und die Brücke wurde mit der Zeit ausgebaut. Sie lag nun nicht länger am Rande, sondern mitten in der Stadt. Steine türmten sich um den Baumstamm, und aus dem Brückenpfeiler wurde eine kleine Insel.
Auf dieser Insel im Fluss erbauten die Menschen ein Haus. Es war kein gewöhnliches Haus, sondern ihr Rathaus. Jetzt kamen viele Baumstämme, die gemeinsam den Bau stützen.
Alles aber ruhte auf dem alten Baumstamm. Er war zwar nicht mehr sichtbar, aber doch auch Teil des Ganzen. Er war zum Fundament geworden. Und so dachte er manches Mal: „Vielleicht war es ja doch meine Bestimmung in dieser Welt, ein Fundament zu sein, auf dem andere bauen können, und beharrlich standhalten“. Und er sah mit einem Lächeln auf seine nassen Füße.

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Erstellt am: 12.09.2012 14:14 Uhr

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