Andrea Bolz, deutschsprachige katholische Gemeinde, Puerto de La Cruz
Einen wunderschönen guten Morgen, liebe Schwestern und Brüder!
Es ist schon lange her, als Schotten und Engländer den Norden der irischen Insel eroberten und die Einheimischen vertrieben. Die Fremden gehörten der anglikanischen und presbyterianischen Kirche an, die Einheimischen aber der römisch-katholischen Kirche. Die Einheimischen bekamen das karge Land, wurden immer ärmer, fühlten sich unterdrückt, viele Rechte wurden ihnen nicht gewährt.
Irgendwann flammte dann der alte Konflikt wieder auf – kein Glaubenskrieg, sondern ein Krieg zwischen sozial benachteiligten und Bessergestellten, zwischen Ohnmächtigen und Mächtigen, zwischen Schwachen und Stärkeren. Und in diesem Krieg waren alle Mittel recht, sich gegenseitig zu bekämpfen. Es war Johnny O’Sheer, der ausersehen worden war, eine Bombe zu legen. Die Welt sollte wieder einmal auf die ungelösten Probleme aufmerksam gemacht werden. Er packte die Bombe sorgfältig in die Tasche und fuhr mit dem Bus zum Bahnhof. Nun gab es kein Zurück mehr. In der Halle war viel Betrieb. Menschen kamen und gingen. Johnny ging in der Halle umher und suchte mit flackerndem Blick nach dem richtigen Platz. Die Bombe sollte zentral genug stehen, um großen Schaden anzurichten, musste aber gleichzeitig vor verfrühter Entdeckung sicher und getarnt sein. Als er den rechten Platz gefunden hatte, ging er hinunter auf die Toilette um den Zeitzünder einzustellen, vorsichtig und exakt, wie er es bei der Partisanenausbildung gelernt hatte. Als er wieder hinaufkam, war das Menschengewimmel noch größer geworden. Da entdeckte er einen alten Mann. Wohl ein Bettler. Einer, der wie er auf der anderen Seite des Lebens stand. Der hatte eine Geige in der Hand und stand genau an der Stelle, wo Johnny die Bombe legen wollte. Und Johnny traute seinen Ohren nicht. Der Alte begann zu spielen und zu singen. In wenigen Augenblicken stand ein Kreis von Menschen um ihn herum. Und auch Johnny stand wie angewurzelt da und hörte zu. Der Alte sang eines der schönen altirischen Lieder. Es handelte von der Sehnsucht nach Frieden und Freiheit und Glück. Johnny empfand plötzlich ein ganz ungewohntes und merkwürdiges Gefühl. Als er versuchte, eine solche unangebrachte Rührung von sich abzuschütteln, sah er, wie die Augen des singenden alten Mannes in die Weite gerichtet waren und Tränen über die ledergleiche Haut des greisen Gesichtes kullerten.
Da konnte Johnny nicht mehr. Als er wieder im Bus saß, wusste er, dass er die Bombe in den Fluss werfen würde. Die Gruppe würde ihn Feigling nennen, würde ihn ausstoßen. Sie würden alle nicht verstehen, dass das Schwache das Starke und das Weiche das Harte besiegt, denn sie wollten nicht danach handeln.
Erinnern sie sich: vor vielen Jahren hat Bob Dylan ein Lied geschrieben, das um die Welt ging. Der Text ist noch immer wahr, nur die Antwort stimmt nicht. Er singt: „Die Antwort mein Freund, weiß ganz allein der Wind.“ Es muss aber heißen: „Die Antwort mein Freund, die kennst du doch genau. Die Antwort, die weiß doch jedes Kind“.
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Erstellt am: 08.02.2013 15:39 Uhr
