Gemeindereferentin Andrea Bolz
Deutschsprachige Katholische Gemeinde Puerto de la Cruz
„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?“, so beginnt ein großer Roman des vergangenen Jahrhunderts, nämlich Joseph und seine Brüder von Thomas Mann.
Nun, wir schöpfen unser Wasser nicht mehr mit Eimern aus dem Dorfbrunnen, und funktionsfähige echte Brunnen sind in unseren Breitengraden eher selten geworden. Dennoch ist uns der Brunnen als ein fest umrissenes Vorstellungsbild erhalten geblieben. Wir kennen ihn nach wie vor und nicht nur aus Schuberts berühmtem Lied „Am Brunnen vor dem Tore“. Wir können uns noch gut vorstellen, wie so ein Brunnenschacht in mühsamer Arbeit immer weiter in die Tiefe vorangetrieben wird, bis man ganz unten schließlich auf das erhoffte Wasser stösst.
„Lebendiges Wasser“, so hieß zur Zeit Jesu das fließende Wasser einer Quelle, das einen Brunnen speist, im Gegensatz zum stehenden Wasser einer Zisterne.
Leben spielt sich in den alten Kulturen im Umkreis des Brunnens auch in anderer Weise ab. Am Brunnen treffen sich die Menschen und tauschen die allerwichtigsten Neuigkeiten aus. Es entsteht dort ein Zentrum der Kommunikation. Wir kennen biblische und nichtbiblische Beispiele dafür, dass die Integration von Fremden in die Dorfgemeinschaft auf dem Umweg über die Begegnung am Brunnen erfolgt. Der Brunnen vermittelt ein Gespräch, stiftet eine Beziehung, die zudem noch gesellschaftliche Barrieren überwindet. Auch das sind also bereits Formen neuen Lebens, die auf der Ebene des menschlichen Miteinanders entstehen. So gewinnt der Brunnen samt seinem Wasser, das er spendet, einen besonderen Stellenwert, der über den rein materiellen Nutzwert des Wassers weit hinausreicht und in das alltägliche Leben ausstrahlt.
Nun gilt es zu fragen, was wir Menschen heute als so einen „Brunnenort“ betrachten, an dem wir uns lebendig fühlen können, ein Ort, der uns zu neuem Leben erweckt, ein Ort an dem wir uns wohl- und zuhause fühlen können.
Wir müssen ihn heute suchen, einen solchen Ort, denn die modernen Brunnen sind nicht mehr überall zu erkennen, und sie stehen auch nicht unbedingt in der Mitte eines Dorfplatzes. Aber es gibt sie noch, diese Orte, an denen wir uns an den unsichtbaren Brunnenrand setzen, uns Ruhe gönnen und in die Tiefe blicken können, um das lebendige Wasser zu sehen, zu spüren und uns selbst und unser Leben zu begreifen, zu verstehen und anzunehmen.
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Erstellt am: 29.03.2012 19:12 Uhr
