Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
„So, das war jetzt heute mal was anderes“, sagt Onkel Erwin zu Tante Erika, liebe Schwestern und Brüder. Sie kommen gerade aus der Kirche. Und weil er sonst meistens erst mal ein bisschen lästert, ist Erika gespannt, was ihm heute gefallen hat. „Ja, ein paar neue Lieder hat man gesungen“, sagt sie hoffnungsvoll, „die waren ganz schön.“ Doch Onkel Erwin meint nur: „Hätt’ nicht sein müssen. Aber diese Geschichte war stark. Nicht so harmlos, so weichgespült, wie sie sonst manchmal so sind.“ – „Nein, harmlos war sie nicht“, sagt Erika, „das Ende finde ich sogar ziemlich schrecklich.“ Die Geschichte, um die es den beiden geht, steht im Neuen Testament und Jesus hat sie den Menschen damals erzählt.
Ein Mann hat sehr große Schulden bei seinem König und soll deshalb mit seiner ganzen Familie als Sklave verkauft werden. Er wirft sich nieder, bittet um Gnade, und der König erlässt ihm die Schuld. Dieser Mann trifft nun im Hinausgehen einen anderen Knecht, der ihm einen mehr als geringen Betrag schuldig ist. Doch er fordert nun ganz massiv und mit aller Härte sein Geld ein. Das wiederum kommt dem König zu Ohren, der darüber sehr zornig wird und ihn einsperren und im Gefängnis schwer arbeiten lässt. So lange, bis er alles bezahlt hat, was er ihm schuldig ist.
„Dass Jesus so eine Geschichte erzählt“, sagt Onkel Erwin, „hätte ich nicht gedacht.“ – „Und das gefällt dir?“, fragt Tante Erika. „Ja“, sagt er, „was man sonst in der Kirche so zu hören kriegt, ist doch meistens: Ihr seid alle recht, so wie ihr seid, Gott liebt euch, und wenn ihr anderen ein bisschen was abgebt und teilt, dann freut sich Gott. Manchmal denk ich, das ist wie Kindergarten für Erwachsene, die Kirche. Aber diese Geschichte – das war mal was anderes.“
„Und was gefällt dir denn so daran?“, fragt Erika weiter. „Dass Gott nicht alles mit sich machen lässt. Dass nicht alle gleich behandelt werden, egal, was einer tut.“ – „Aber zuerst doch schon“, sagt Erika. „Zuerst werden dem Mann doch seine Schulden erlassen. Einfach so, nur weil er darum bittet.“
„Ja, und dann hätte er die Chance zu zeigen, dass er was kapiert hat, und dann geht der Idiot hin und fordert das bisschen zurück, was ihm so ein kleiner Knecht schuldet. Das ist doch nicht anständig. Deshalb finde ich es sehr gut, dass sein Chef von ihm dann auch seine Schulden zurück fordert. Vollkommen korrekt ist das in meinen Augen. Denn wenn wir wollen, dass uns vergeben wird, dann müssen wir das doch auch tun.“
„Ja“, sagt Erika, „das beten wir ja auch im Vaterunser: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Das eine geht nicht ohne das andere. Trotzdem tut mir der Mann leid. Ich glaub, der hat einfach nicht begriffen, was mit ihm geschehen ist. Welche Chance er da vertan hat.“
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Erstellt am: 24.09.2014 15:32 Uhr