Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Ende vergangenen Jahres wurde in vielen Fernsehsendungen des einhundertsten Geburtstages von Willy Brandt gedacht. Dabei wurde immer und immer wieder auch ein Bild eingeblendet, das um die Welt ging. Es war der 7. Dezember 1970, mitten im Kalten Krieg. Willi Brandt besucht Polen und legt in Warschau vor dem Mahnmal für die Opfer des jüdischen Ghettoaufstandes einen Kranz nieder. Er ordnet die Schleifen, wie das Politiker immer so machen, tritt einen Schritt zurück – und plötzlich geht er auf die Knie. Kniet nieder auf dem nassen Asphalt – im Bewusstsein der Größe der Schuld und der Verbrechen, die die Deutschen im so genannten Dritten Reich begangen hatten.
„Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare“ – heißt es. Und Willi Brandts Kniefall in Warschau war die Übersetzung seiner Bitte um Vergebung. Es geht mir um Körperhaltungen in dieser Woche und das Knien ist die außerordentlichste und unzeitgemäßeste aller Körperhaltungen. Und warum? Weil sie über Jahrhunderte als Zeichen der Unterwerfung und Demütigung missbraucht wurde. Früher vor Kaisern, Königen oder Päpsten, heute vor menschenverachtenden Geiselnehmern, die ihre Gefangenen vor den Augen der Welt niederknien lassen.
Das Knien ist für viele, zumeist aufgeklärte Menschen in der westlichen Hälfte der Erdkugel, eine unzeitgemäße Körperhaltung, weil sie sich zu selbstbewusst, ja vielleicht zu stolz fühlen für diese Geste, die doch auch für eine tiefe Demut steht. Knien ist die radikalste und deshalb auch am meisten religiöse Körperhaltung. Radikal weil an die Wurzeln, ans Eingemachte, ins tiefste Innere gehende Geste. Deshalb darf Knien nie Zwang sein. Niemals von außen auferlegt sein. Sonst wird aus der Demut eine Demütigung. Knien darf nur freiwillig sein oder spontan, so wie bei Willi Brandt, wenn man sich der übergroßen Schuld oder der Macht des Schicksals bewusst wird. Oder wenn man, wie ich es bei Unfällen oder plötzlichen Todesfällen erlebt habe, neben den Verletzten oder Verstorbenen einfach nicht anders kann als niederknien. Knien ist eine zutiefst menschliche und auch sehr würdevolle Körperhaltung. Weil sich der Mensch kleiner macht, bewusst kleiner macht, wenn er die Größe Gottes ahnt. Oder unbewusst kleiner macht, wenn er die Größe eines Geschehens spürt. Knien kann eine sehr schöne Körperhaltung sein, weil sie den Menschen im tiefen Bewusstsein seiner selbst zeigt: klein, begrenzt und verletzlich, aber zugleich konzentriert, aufrecht und würdevoll.
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Erstellt am: 22.03.2014 12:08 Uhr