Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer!
Zwei Uhr nachts. Knarrende Geräusche weckten mich. Binnen Sekunden war ich hellwach. Mit anderen Bergsteigern und meinen Freunden machte ich mich bereit für eines meiner größten Abenteuer: den Aufstieg zum Gipfel des Mont Blanc.
Zügig musste die Ausrüstung angelegt werden. Eine halbe Stunde später waren wir in der Kälte. Nur Stirnlampen leuchteten uns den Weg – am Abgrund entlang. Das Sicherungsseil war angelegt.
Wir mussten und beeilen – ein Wettersturz drohte. Und dann der Blick im Morgengrauen ins Tal, wo sich ein Unwetter zusammenbraute. Nie werde ich vergessen, wie Blitze aus den Gewitterwolken nach oben in den Himmel zuckten. Umkehren – ja oder nein? Das Wetter war in großer Entfernung und wir darüber.
Monatelang hatten wir uns auf diesen Tag vorbereitet. Die Ausrüstung war abgestimmt, konditionell waren wir auf dem gleichen Stand. Gefahrenmomente hatten wir eingeübt: die Rettung aus einer Gletscherspalte, das Abrutschen vom Grat, herabstürzende Brocken in der Eisrinne. Und wir konnten uns aufeinander verlassen.
Gegen 9 Uhr wurde das Sicherungsseil straff gezogen. Wir bewegten uns auf dem 40 Zentimeter breiten Bossesgrat zum Gipfel. Rechts und links ging es Hunderte von Metern senkrecht in die Tiefe. Die Trümmer des vor Jahren abgestürzten Flugzeuges ragten immer noch aus dem Firn. Sensibilität, Abstimmung, Achtsamkeit waren gefragt. Nur zusammen konnte es uns gelingen. – Und dann waren wir am Ziel. Auf 4807 Metern. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, das Ergebnis einer tollen Teamarbeit.
Wie kann so ein Unternehmen gelingen? Alle Beteiligten wissen und akzeptieren: Jeder ist wichtig. Jeder hat eine Aufgabe in so einer Seilschaft. Jeder ist für den anderen da, sichert ihn, hilft ihm, motiviert ihn. Jeder stellt sich auf den anderen ein. Keiner darf durch seinen Ehrgeiz die Gruppe gefährden. Egoismen und Eitelkeiten können zur Katastrophe führen. Gemeinsinn satt Eigensinn ist hier die Devise.
Für mich hat das Bergsteigen schon immer viele Parallelen zu einem gelingenden Leben aufgezeigt.
Ich werde dieses wunderbare Gipfelerlebnis nie vergessen. Aber auch nicht, welche Werte das ermöglicht haben: Sensibilität, Achtsamkeit. „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“, so steht es in der Bibel.
Und ich wünsche Ihnen einen erlebnisreichen Tag!
Andreas Knüpffer
Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Teneriffa Nord
Infos unter:
Erstellt am: 20.10.2012 08:00 Uhr
