Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Guten Morgen, liebe Schwestern und Brüder!
„Das Faultier ist ein perfektes Beispiel für das Wunder des Lebens. Denn es erinnert mich an Gott“. Das ist jetzt bitte schön keine blasphemische Äußerung meinerseits an diesem Morgen, sondern das schreibt Yann Martel in seinem Buch „Schiffbruch mit Tiger“. Und vor allem: das meint er durchaus ernst. Martels Roman, der zum Bestseller geworden ist und wochenlang Platz eins der Literatur-Hitlisten innehielt, enthält einige wunderbare Betrachtungen sowohl über Zoologie als auch Religion. Die über das Faultier und Gott gehört hier dazu.
Die Hauptperson in der Geschichte ist Pi Patel, der Sohn eines indischen Zoobesitzers. Das Aufwachsen im väterlichen Tierpark weckt schon in der Kindheit sein immenses Interesse an der Welt der Tiere. Und die Begegnungen mit Hindus und Moslems, mit Christen und Atheisten im multireligiösen Indien, die lassen ihn zu einem Gläubigen jenseits der üblichen Abgrenzungen zwischen den Religionen werden. Was Pi Patel im Blick auf die Tiere verteidigt – dass nämlich Gehege im Zoo sinnvoll sind und keineswegs die armen Viecher ihrer Freiheit berauben –, das leugnet er strikt im Blick auf die Menschen und ihre religiösen Überzeugungen: Wenn es um den Glauben an Gott geht, sind Pi die fein säuberlich umzäunten Gehege der Religionsprofis – ob Priester, Imame, Pfarrer oder Missionare – mehr als verdächtig. Und wenn ich heutzutage so manche Äußerung diesbezüglich von Papst Franziskus höre, dann hätte Pi Patel in ihm mit Sicherheit einen großen Mitstreiter gefunden.
Doch wenden wir uns wieder dem Faultier zu – denn das erinnert ja an Gott. Pi Patel meint: Ein Wunder des Lebens ist dieses Tier, weil es so gut wie nichts tut und doch überlebt inmitten einer Welt, in der es nur ums Fressen und Gefressen-Werden geht. Es überlebt nicht trotz seiner Trägheit, sondern genau wegen ihr. Seine Langsamkeit und Schläfrigkeit macht es zu einem langsamen Zeitgenossen und ist die ideale Tarnung, um es vor allen natürlichen Feinden zu schützen. Andererseits benötigt das Faultier selbst nicht viel. Es ist ausgesprochen genügsam. Deshalb erinnert es Pi Patel an einen tief in seine Meditation versunkenen Yogi oder einen ganz dem Gebet ergebenen Einsiedler. Allein dass es so etwas im Tierreich überhaupt gibt – diese untätige Hingabe ans Dasein – ist schon eine Erinnerung an Gott, meint jedenfalls Yann Martel. Und ich finde, er liegt damit gar nicht so falsch – meinen Sie nicht auch?
Infos unter:
Erstellt am: 18.11.2013 11:18 Uhr