Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Guten Morgen, liebe Schwestern und Brüder!
Gutes Benehmen kommt wieder in Mode, und Bücher über korrektes Verhalten in der Gesellschaft haben Konjunktur. Ich für meinen Teil halte diese Entwicklung für sehr positiv, denn Höflichkeit und gute Umgangsformen sind ja auch Mittel dazu, das Zusammenleben leichter und reibungsloser zu gestalten. Andererseits muss ich natürlich auch sagen, dass so manche Übungen durchaus sinnentleert und fragwürdig erscheinen: „Nimm den Ellenbogen vom Tisch!“ Diese Aufforderung hat bestimmt schon jedes Kind gehört. Aber warum soll man in gemütlicher Runde beim Essen nicht den Arm abstützen dürfen? Das ist doch weder störend noch wirklich unästhetisch – oder irre ich da?
Verblüffend ist – wahrscheinlich nicht nur für mich -, dass dieses Verbot aus der Bibel stammt. „Schäme dich, den Ellbogen beim Mahl aufzustemmen“, heißt es im Buch Jesus Sirach. Dahinter steckt wohl der römisch-griechische Brauch, sich bei größeren Gelagen halb liegend auf den linken Arm zu stützen und so zu essen. Häufig gingen diese ausgedehnten Mahlzeiten in ein allgemeines Sich-Betrinken und noch ganz andere Ausschweifungen zwischen den Geschlechtern über. Für jüdisches Denken und Empfinden aber war eine solche Mahlpraxis unerträglich, und deshalb eben das Verbot, wie ein Grieche oder Römer zu Tisch zu liegen und sich an solchen Gelagen zu beteiligen. Übrig geblieben ist davon bis heute die Mahnung „Nimm den Ellenbogen vom Tisch“.
Nun besteht aber heute die Gefahr nicht mehr, in einem solch römisch-griechischen Gelage zu versumpfen, und vor anderen Gefahren kann die Ellbogenregel nicht schützen. Deshalb ist in meinen Augen – bei allem berechtigten Interesse an gutem Verhalten in Gesellschaft – eine Überprüfung der bisherigen Floskeln und Gewohnheiten durchaus angebracht, denn sinnentleerte Riten können zur Last und zur unnötigen Einengung werden. An deren Stelle können neue hilfreiche Regeln treten. Etwa die Regel, niemanden zur Unzeit auf dem Handy anzurufen. Oder die Regel für Gastgeber, auch attraktive nicht-alkoholische Getränke anzubieten. Oder die Regel, bei Mahlzeiten nicht den Fernseher nebenher laufen zu lassen, sondern sich für ein Gespräch am Tisch offen zu halten, anstatt stumm und abweisend vor sich hin zu essen.
Was nützt ein beanstandeter Ellbogen am Tisch, wenn ansonsten nur das Klirren von Geschirr und Besteck zu hören ist. Dann doch lieber eine fröhlich-laute Mahlzeit, bei der auch einmal der Arm aufgestützt wird. Es wird schon kein römisches Gelage daraus werden.
Infos unter:
Erstellt am: 16.11.2013 11:00 Uhr