Andrea Bolz, Gemd.-Ref., Puerto de la Cruz
In der vergangenen Woche habe ich immer wieder versucht, Zitate aus Paulo Coelhos Büchern in unser aller Leben zu übertragen. Für mich geht es in allen seinen Büchern letztendlich darum, dass ich mich selbst erkenne und entdecke und zu mir stehe und, dass es in der Welt nicht nur um die Dinge selbst geht, sondern um unsere Einstellung ihnen gegenüber, und wie wir mit den gemachten und erlebten Erfahrungen umgehen. Eine Geschichte über Zwietracht und Versöhnung von Paulo Coelho, die er das Märchen von den zwei Straßen nennt, bringt genau dies auf den Punkt. Ich lese sie ihnen heute vor, und beschließe damit eine Woche mit und über Paulo Coelho:
„Im fernen Osten von Armenien gab es einst ein kleines Dorf, welches sich entlang von zwei parallel laufenden Straßen entwickelt hatte, die bekannt waren als die Südstraße und die Nordstraße. Eines Tages wanderte ein Fremder entlang der Südstraße und er beschloss auch die andere Straße zu besuchen; die örtlichen Kaufleute bemerkten allerdings, dass seine Augen voller Tränen waren.
Irgendjemand in der Südstraße muss wohl gestorben sein, sagte der Schlachter zum Tuchhändler, sieh nur, wie dieser arme Fremde weint, der gerade von dort kommt.
Ein Kind hörte zufällig diese Äußerung und begann verzweifelt zu weinen, denn es wusste bereits, dass der Tod etwas sehr Trauriges war. Bald darauf weinten alle Kinder in der Straße. Höchst beunruhigt entschied der Fremde, sogleich abzureisen. Die Zwiebeln, die er sich zum Essen geschält hatte, warf er weg und er entfernte sich eilends. Die Mütter waren erschrocken, als sie ihre Kinder weinen sahen und wollten sofort herausfinden, was geschehen war. Sie entdeckten, dass der Schlachter, der Tuchhändler und inzwischen auch andere Kaufleute höchst beunruhigt waren über die Tragödie, die sich in der Südstraße ereignet hatte. Danach flogen die Gerüchte mit Windeseile, und da das Dorf nur wenige Einwohner hatte, wusste eh bald jeder, der in der Nähe der beiden Straßen wohnte, dass etwas Schreckliches geschehen war.
Nur wenig später hatte sich das Gerücht über den Ausbruch einer tödlichen, bisher unbekannten Seuche im ganzen Dorf ausgebreitet. Und weil das Weinen mit dem Besuch des Fremden in der Südstraße begonnen hatte, waren sich die Bewohner der Nordstraße einig, dass die Plage dort ihren Anfang genommen haben musste. Noch vor Einbruch der Dunkelheit hatten die Bewohner beider Straßen ihre Häuser verlassen und strebten in die östlichen Berge. Heute, Jahrhunderte später, ist das Dorf immer noch völlig verlassen. Die Nachfahren der Einwohner beider Dörfer sprechen immer noch nicht miteinander, weil Zeit und Legende eine Mauer der Angst zwischen ihnen aufgebaut haben“.
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Erstellt am: 07.04.2014 20:01 Uhr