Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Kennen Sie das, verehrte Schwestern und Brüder? „Gut gegangen! Keiner hat’s gesehn!“ Er war ausgerutscht und hingefallen, hatte sich aber schnell wieder aufgerappelt und umgeschaut. Weil er niemanden sah, der oder die Zeuge seines Missgeschicks geworden war, hatte er sich selber halblaut getröstet: Gut gegangen, keiner hat’s gesehn! Die Hautabschürfungen an den Händen waren nicht der Rede wert.
Aber einer hatte es doch gesehen und gehört. Und immer, wenn er es erzählte, lachten alle. Und in dem Lachen schwang das Eingeständnis mit: So hätte ich auch reagieren können.
Denn ich kenne die Peinlichkeit, wenn mir ein Missgeschick passiert, ein Fehler unterläuft, wenn eine meiner Unfähigkeiten offenkundig wird – und andere merke es. Und am peinlichsten, wenn der Versuch misslingt, mein Missgeschick zu verbergen.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich das Fahrradfahren lernte. Eigentlich erst sehr spät, mit acht oder neun, also nicht mit der Selbstverständlichkeit eines Fünfjährigen.
Es brachte ein paar schmerzliche Erfahrungen mit sich. Stürze sind ja mit doppelter Pein verbunden: körperlicher und seelischer. Denn oft wird man dabei beobachtet: von den Eltern, den Geschwistern, den Spielkameraden. Ich habe sehr genau wahrgenommen: wer lacht über mein Missgeschick, wer macht spöttische Bemerkungen und zusätzliche Vorwürfe: „Pass doch besser auf!“ Und ich habe erst recht sehr genau wahrgenommen, bei wem spüre ich Mitgefühl und Solidarität, wer ermutigt mich, weiterzumachen? Durch sie habe ich gelernt, die Peinlichkeit auszuhalten und die Scham über mein Missgeschick zu ertragen. Und ich habe gelernt: Hinfallen ist keine Schande. Das war eine gute Grundlage für mein Selbstvertrauen. Und meine Stürze wurden zu einem Erfahrungsschatz. Manchmal war ich sogar stolz auf die Beulen und Narben, die ich mir beim Kampf um Selbständigkeit geholt habe. Sie erzählen von meinen Grenzen, aber auch von meiner Fähigkeit zu lernen und von meiner inneren Stärke.
Als Jugendlicher habe ich dann sehr darauf geachtet, wie gehen die Erwachsenen mit ihren eigenen Fehlern und gelegentlichen Misserfolgen um? Ihnen gelingt ja auch nicht alles.
Stehen sie zu ihren Fehlern und Schwächen? Kann ich an ihnen lernen, dass man nicht alles können muss? Und wie man stolz sein kann auf das, was einem – manchmal mit Anstrengung und nach Rückschlägen und einigen Versuchen – dann doch gelingt. Und jetzt, mit zunehmendem Alter merke ich: mein Selbstvertrauen ist kein fester Zustand, kein Besitz, den ich mir durch meine Leistungen und Erfolge erworben habe. Die sind nicht unwichtig, aber wichtiger ist die Wertschätzung, die mir heute entgegen gebracht wird und die ich ablesen kann in den Augen der anderen. Und auf die ich hoffe für die Jahre, die noch kommen.
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Erstellt am: 08.09.2014 18:49 Uhr