Predigt zu 2.Korinther 12,1-10
Der heutige Sonntag Sexagesimä, 60 Tage vor Ostern, weist hin auf die bevorstehende Passionszeit. In dem von der Perikopenordnung vorgegebenen Predigttext wird die menschliche Schwachheit thematisiert, in der Gott wirksam ist.
Im 2.Korintherbrief setzt sich Paulus mit Gegnern auseinander, die offenbar wegen ihrer besonderen Gottesoffenbarungen viel Aufhebens um ihre Person machten und bei den Leuten deswegen gut ankamen.
Auf diese Herausforderung versucht Paulus im 12. Kapitel zu antworten, in dem auch er von seinen eigenen religiösen Erfahrungen spricht, ohne ihnen viel Gewicht beizumessen.
Wir hören aus dem 2.Korintherbrief Kapitel 12 die Verse 1-10:
1 Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn.
2.Ich kenne einen Menschen in Christus; vor 14 Jahren ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es auch nicht; Gott weiß es – da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel.
3.Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es.
4. der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaus-sprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann.
5.Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit.
6.Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir hört.
7. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.
8. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche.
9.Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen;denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig, Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.
10. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, Verfolgungen, in Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, bin ich stark.
Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg. Amen
Liebe Gemeinde,
Gerühmt muss werden. Mit diesen Worten, mit denen der heutige Predigttext beginnt, lässt sich ein Trend unserer Zeit treffend wiedergeben. Wer sich um eine Arbeitsstelle bewirbt, muss sich selbst gut darstellen und mit seinem Können nicht hinter dem Berg halten.
Ähnliches können wir auch in der Werbung beobachten, wo Waren angepriesen werden, dass sie gekauft werden. Gerühmt muss werden dieser Leitsatz lässt sich in vielen Bereichen beobachten und scheint in einer Gesellschaft zu dominieren, in der das Konsumieren und Erleben vorherrschen.
Paulus greift im heutigen Predigttext dieses Denken auf, indem er es gleichsam entwertet, wenn er fortfährt: Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt.
Paulus spricht im 12.Kapitel von religiösen Erfahrungen, wo das eigene Rühmen in der Tat fehl am Platz ist. Denn wo Gott am Werke ist, sei es in leiblichen oder in visionären Erfahrungen, die unaussprechlich sind, da muss zwangsläufig alles menschliche Rühmen verstummen.
Unter diesem Vorbehalt – herausgefordert durch seine Gegner – ringt sich Paulus durch, von seinen religiösen Erfahrungen zu sprechen:
Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn.
Paulus kennt außergewöhnliche Erfahrungen, die ihm wie einem Fremden widerfahren sind und die er deshalb in der 3.Person beschreibt:
Ich kenne einen Menschen in Christus;vor 14 Jahren – ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht;
oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es auch nicht; Gott weiß es, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel.
Der dritte Himmel ist nach jüdischer Auffassung das
Paradies, der Ort der Erlösten. Jedenfalls hatte Paulus ein ekstatisches Erlebnis, das er mit Worten nicht wieder geben kann und von dem er nicht einmal weiß, ob es eine leibliche oder visionäre Erfahrung war.
Da diese außergewöhnliche Erfahrungen weder beschreibbar noch für andere nachvollziehbar sind, verzichtet Paulus in unserem heutigen Predigttext, auf solche Erfahrungen seine Autorität als Apostel zu gründen.
Wo der Mensch an seine Grenzen kommt und sich nur noch auf Gott angewiesen weiß, da muss das eigene Rühmen verstummen und wir können Paulus verstehen, wenn er im Text schreibt: für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit
Durch die eigene Krankheit hat Paulus gelernt, solche
Erfahrungen nicht über zu bewerten und dadurch die
Wirklichkeit zu verkennen, in der er lebt. Und damit
ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe,ist mir gegeben ein Pfahl im Fleisch. Damit komme ich auf die Jahreslosung zu sprechen, von der schon einmal in einer Predigt zum Jahresbeginn die Rede war.
Paulus muss an einer Krankheit gelitten haben, über die sich die Forscher uneinig sind. Die Beschreibung Pfahl im Fleisch weist auf eine körperliche Krankheit, die mit Schmerzen verbunden war.
Im Gebet bittet Paulus, er möge von der Krankheit befreit werden. Und da bekommt er die Antwort:
Lass dir an meiner Gnade/an meiner Nähe genügen;denn meine Kraft ist in der Schwachheit wirksam – wörtlich kommt da zur Vollendung.
Das ist die Antwort, die Paulus seinen Kritikern und mit ihnen auch uns gibt: Christsein zeigt sich nicht in
erster Linie in außergewöhnlichen Widerfahrnissen, auch nicht da, wo wir von Krisen und Krankheiten bewahrt werden, sondern Christsein erweist sich in Erfahrungen, die uns Kraft zum Leben geben.
In den Begrenzungen und Schwachheiten ist Gott mit am Werke und gibt uns die nötige Kraft, die uns vor Verzweiflung und Resignation bewahrt. Wer Gottes Nähe erfährt und von seiner Gnade vollendet wird, der muss zuvor alles loslassen, was dem entgegensteht.
In den Ausführungen über die Jahreslosung zum Beginn des Jahres habe ich auf die Erfahrung meines verstorbenen Kollegen im Klinikpfarramt verwiesen. Als er ganz am Boden war und schier nicht mehr weiterleben konnte, da machte er eine Erfahrung, die er mit der Zusage in Zusammenhang brachte:
Lass dir an meiner Nähe genügen, denn meine Kraft ist in der Schwachheit wirksam kommt da zur Vollendung.
Es ist ein gleichwertiger Austausch. Wo wir völlig leer sind und alles loslassen, was Gott und seinem Wirken entgegen-steht, da kann seine Nähe uns durchströmen und mit neuer Kraft erfüllen. Das meint Paulus, wenn er schreibt:
Darum will ich mich am allermeisten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.
Wo wir dem Geist Jesu Christi Raum geben, dem Geist der Liebe, da werden wir neu belebt und gestärkt. Denn – so schreibt Paulus am Ende des Textes – wo ich schwach bin/ganz ausgerichtet und angewiesen auf Gott, da bin ich stark.
Sich der Schwachheit rühmen meint nicht, dass Christen sich künstlich klein machen müssen und auf nichts stolz sein dürfen. Nein, wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern können und sollen es anderen weitergeben.
Wir dürfen auf das, was uns gelingen durfte, auch stolz sein. Wichtig dabei ist nur, dass wir jenen Herrn nicht aus den Augen verlieren, ohne dessen Segen wir nichts tun können. Wir können ja nur wirken, weil Gott uns die nötige Zeit und die dafür notwendigen
Daseinsbedingungen dafür gibt. Es ist die Dankbarkeit, die uns vor falschen Rühmen bewahrt.
In der vergangenen Woche habe ich in den Radioandachten auf seelsorgerliche Beispiele von Menschen zurückgegriffen, die aus ihrem Glauben Kraft schöpften. Im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass alle Beispiele mehr oder weniger mit der Zusage verbunden waren:
Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft kommt in den Schwachen zur Vollendung.
Ich möchte dies abschließend an einem Beispiel
aus der Seelsorge veranschaulichen, weil mir durch diese Begleitung eines Kranken aufging, dass Heilige Menschen sein können, die mitten unter uns leben und die durch die Art, wie sie mit ihrem Schicksal
umgehen, uns zu Lehrern werden können.
Als ich Klinikpfarrer war, gehörte zu meinem Dienstauftrag die Begleitung von alten und pflegebedürftigen Menschen in Pflegeheimen. In einem dieser Heime lebte ein spastisch gelähmter Mensch, der mir der mir durch seine freundliche
und friedliche Ausstrahlung schon bei der ersten Begegnung auffiel.
Seine spastische Lähmung, an der er seit seiner Kindheit litt, nahm mit dem Alter wieder zu, so dass er die letzten Jahre ganz im Bett verbringen musste. Wenn er aus seinem Leben erzählte, war viel Dankbarkeit herauszuhören, obwohl es ein schweres Leben war mit Flucht und Vertreibung.
Über seinem Bett hatte er einen Spruch hängen, den ihm seine Schwester einmal schenkte und der für ihn
zum Lebensmotto geworden war. Wir haben bei den
Besuchen viel über diesen Spruch gesprochen, der in einfachen Worten unseren christlichen Glauben zusammenfasst:
„Wo Glaube, da Liebe. Wo Liebe, da Frieden. Wo Frieden, da Segen. Wo Segen, da Gott. Wo Gott, keine Not.“ In dieser Haltung hat er gedacht und gelebt, selbst in den letzten Monaten seines Lebens, in denen er nicht einmal mehr die Arme und Hände bewegen konnte.
Er vertraute darauf, dass uns Gott niemals ohne Hilfe lässt. Durch die Begegnungen mit ihm habe ich gelernt, welche Kraft wir im Glauben bekommen, um schwierige Lebenslagen zu bewältigen.
Durch seine gütige und friedvolle Art, die er bis zuletzt ausstrahlte, hat er für mich vorgelebt, was die Zusage unseren heutigen Bibelwortes im Leben beinhaltet: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft kommt in den Schwachen zur
Vollendung.
Gott selbst helfe uns in Jesus Christus, dass wir gegen den Trend der Zeit nicht bloß auf die Starken und Gesunden schauen und uns mit ihnen vergleichen, sondern auch die Schwachen wahrnehmen, in denen Gott wirksam ist und seine Gnade vollendet.
Amen
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Erstellt am: 12.02.2012 19:02 Uhr