von Pfarrer Helmut Müller
In unserem heutigen Predigttext werden wir ermutigt, unser Leben, gerade auch das Schwere, von Gott her zu zu betrachten. Diese Sichtweise gibt uns Kraft und lässt uns nicht müde werden, wie Paulus in 2. Korinther 4, 16-18 schreibt:
16 Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unserer äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.
17 Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit,
18 uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.
Liebe Gemeinde,
in unserem heutigen Predigtext sind wir eingeladen, an der Hoffnung, die von Ostern ausgeht, festzuhalten und daraus Kraft zu schöpfen. Wir sind an aufgerufen, nicht müde zu werden, nicht zu resignieren, angesichts der Bedrängnisse, die im Leben nicht ausbleiben.
Unmittelbar vor dem gehörten Predigtabschnitt weist Paulus auf die österliche Hoffnung hin, wenn er schreibt: „Wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, wird auch uns auferwecken mit Jesus.(4,14).
Aus dieser Hoffnung heraus sind die Worte des heutigen Predigttextes geschrieben und auch nachvollziehbar. Nach fast 2 Jahrtausenden, die inzwischen vergangen sind, ist bei vielen die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod verblasst.
Viele befürchten, dass die Hoffnung über den Tod hinaus uns die Verantwortung für das Diesseits nehmen könnte. Sie befürchten, dass der Jenseitsglaube zu einer billigen Vertröstung wird und uns gleichgültig werden lässt gegen das Leiden im Dieseits.
Mag sein, dass diese Gefahr durchaus in Einzelfällen besteht und – wie die Kirchengeschichte lehrt auch bestanden hat, aber ohne die Hoffnung über den Tod hinaus , ohne den Blick auf das, was noch nicht sichtbar ist, lassen sich die Worte unseres heutigen Predigttextes nicht verstehen.
Jedenfalls ist für den Apostel Paulus die Botschaft von der Auferstehung eine Kraft, die uns hilft, mit der Vergänglichkeit und mit den damit verbundenen Begrenzungen zu leben.
Ja gerade durch diese Hoffnung so Paulus sind wir überhaupt in der Lage, Schweres anzunehmen und das Leiden anders und neu zu sehen und zu werten.
Für Paulus wird das Leid, das ihm widerfahren ist, im Licht der Auferstehung nicht bloß annehmbar, sondern auch eine Chance, inwendig zu wachsen und zu reifen, wenn er im gehörten Bibelabschnitt schreibt: Unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und ein ewiges über alle Maßen großes Gewicht an Herrlichkeit an Glanz, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.
Wir leben in einer Welt , die sich weitgehend am Sichtbaren ausrichtet und oft nur das Vordergründige wahrnimmt. Wo wir so mit dem Leiden, das uns widerfährt, umgehen, sind wir ihm hilflos ausgeliefert.
Es ist daher kein Wunder, wenn wir das Dunkel von Krankheit, Alter und Tod eher verdrängen und, solange es geht, auch ausklammern. Und davor, vor dieser einseitigen Sichtweise angesichts des Leidens, möchte uns Paulus bewahren, indem er uns bittet, unsre Wahrnehmung zu erweitern und nach dem Unsichtbaren Ausschau zu halten:
Wir, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.
Zu dieser erweiterten Wahrnehmung ruft Paulus im Umgang mit den Bedrängnissen auf und fordert uns auf, das Leid in einem größeren Zusammenhang zu bedenken.
Berthold Brecht hat dies in nichtreligiöser Sprache so ausgedrückt: „Trau deinen Augen nicht, trau deinen Ohren nicht. Du siehst dunkel, vielleicht ist es licht.“
Im Umgang mit dem Leid, das uns begegnet, ist es hilfreich, wenn wir nicht bloß im Vordergründigen verharren, sondern es in tieferer Weise in unserem Herzen bewegen und vor Gott und mit Gott bedenken.
Wo dies geschieht, kann das Leid, was immer es auch sei, uns dazu verhelfen, dass wir auf innerem Wege wachsen und reifen. In unserem Bibelwort spricht Paulus davon, dass es die Trübsal ist, die jetzt schon in diesem Leben ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit, an Glanz, schafft.
Das Wort „schaffen“, dass Paulus hier verwendet, wird im handwerklichen Bereich für das Schnitzen von Holz verwendet. Auf unseren Umgang mit dem Leid bezogen könnte dieses Bild besagen: Wie aus einem groben Stück Holz ein Kunstwerk entsteht, so kann uns das Leid, das uns widerfährt, läutern und Anteil geben an dem, was Gottes ist, an seinem Lichtglanz.
Um es mit einem anderen Bild zu sagen: Wenn ein Diamant entsprechend geschliffen wird, dann glänzt und funkelt er. In der Strophe eines alten Gesangbuchlieds, das leider nicht mehr im neuen Gesangbuch aufgenommen wurde, heißt es: „Es glänzet der Christen inwendiges Leben“. Ja, es gibt Menschen, von denen ein solches Glänzen ausgeht, Menschen, die trotz oder gerade wegen ihrer Leiden, die sie durchgemacht haben, reifer geworden sind.
Ich war lange Jahre Seelsorger bei behinderten und kranken Menschen. In dieser Zeit sind mit Menschen begegnet, die trotz ihrer körperlichen Einschränkungen und ihres sichtbaren Verfalls Frieden und Freude ausgestrahlt haben.
Ich denke beispielsweise an einen spastisch gelähmten Mann, der mehrere Jahre im Bett verbringen musste und zuletzt fast nichts mehr bewegen konnte. Trotz seines Verfalls ging von ihm ein Frieden und eine freudige Gelassenheit aus, von der in unserem Text die Rede ist.
Oder ich denke an eine krebskranke Patientin, die mir wenige Tage vor ihrem Tod sagte: „Es ist eigentlich merkwürdig, körperlich werde ich immer schwächer und kränker, aber innerlich werde ich immer heiler.“ Die Patientin durfte mitten im körperlichen Zerfall ein inwendiges Heilwerden erfahren, das Gott uns schenkt.
Und damit komme ich auf unseren Predigttext zurück, wo Paulus mitten in seinen Bedrängnissen, denen er als Apostel ausgesetzt war, schreibt: Darum werden wir nicht müde – darum resignieren wir nicht, sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.
Was unser äußerer Mensch betrifft, da sind wir der Vergänglichkeit unterworfen mit Mängeln und Begrenzungen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir verstärkt damit konfrontiert werden. Wir können uns der Vergänglichkeit entgegenstellen, wir können versuchen, solange es geht, sie zu verdrängen, aber wir können ihr nicht entfliehen.
Um nicht von der Vergänglichkeit überwältigt zu werden, erinnert uns Paulus im Text an den inneren Menschen, den es zu stärken gilt. Mit dem inneren Menschen ist unsere Spiritualität gemeint, unser Leben mit Gott. Alles im Leben, nicht bloß das helle, sondern auch dass Dunkle, die Trübsal wie es im heutigen Text heißt, kann uns dazu verhelfen, auf innerem Weg zu wachsen und zu reifen.
Und wer schon viele Stürme des Lebens erlebt und bewältigt hat, der kann im Vertrauen auf Gott auch die letzte, vielleicht schwerste Herausforderung, das Sterben annehmen.
Ich möchte mit der Strophe schließen, die mir eine sterbende Frau in der Intensivstation hinterlassen hat. Sie sprach offen über ihr bevorstehendes Sterben
und erzählte aus ihrem Leben, das schwer war.
Zuletzt sagte sie mir eine Strophe, die ich aufgeschrieben habe und die mit etwas anderen Worten zum Ausdruck bringt, wovon unser heutiger Predigtabschnitt spricht: „Brüder, alles Leid wird licht, wenn wir es tragen als stille Pflicht.
Wenn wir ihm, dem Leiden, wie einem Freunde begegnen, wird es zutiefst unsere Seele segnen. Wir sind wie der Acker, wir brauchen das Leid, um reif zu werden, im Kampfe der Zeit, um Frucht zu tragen für die Ewigkeit.
Gott selbst helfe uns in Jesus Christus, dass wir uns nicht bloß am sichtbar Vergänglichen orientieren, sondern uns an das unsichtbar Ewige halten und uns an Gott halten, der unser Dunkel in Licht verwandelt. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.
Amen
Infos unter:
Erstellt am: 30.04.2012 06:47 Uhr