L II: Tit 2, 11-14; 3, 4-7 / Ev: Lk 3, 15-16.21f
Schwestern und Brüder!
Dass der König in jungen Jahren häufig in zwielichtiger Gesellschaft gesehen wurde und dass er gern mit trinkfesten Kumpels um die Ecke gezogen ist, davon weiß zwar das Internet zu berichten, aber ansonsten spricht heute niemand mehr darüber. Dass der Herr Minister am Anfang seiner Laufbahn ganz glatt durch das erste Staatsexamen gerasselt ist, weiß zwar das Internet, doch aus seiner heutigen Lebens- und Erfolgsgeschichte ist das längst ausgeblendet. Bei Jesus aber ist das alles ganz anders. Dass er am Anfang seines öffentlichen Auftretens da unten am Jordan – sprichwörtlich betrachtet – mitten unter „Hinz und Kunz“ auftaucht; dass er sich in eine Reihe mit denen stellt, die so manches auf dem Kerbholz haben und sich dann der Bußtaufe des Johannes unterzieht, all das ist eben nicht vergessen, sondern alle Evangelisten berichten genau dies als Einstieg in seine „Karriere“. Ja, das feiern wir heute sogar mit einem eigenen Fest, obwohl das doch alles andere als ein vorteilhafter Start ist und Jesus damit doch in ein mehr als merkwürdiges Licht gestellt wird. Hat er es wirklich nötig, sich die Bußtaufe geben zu lassen, wie jeder andere auch? Ist er denn selbst ein Sünder? Warum dieses understatement seiner Person? Warum dieses sich unter Johannes stellen?
Ich werde den Eindruck nicht los, als spürte man es den Evangelisten regelrecht an, wie schwer sie sich mit dem Verhalten Jesu tun und wie sehr sie darum bemüht sind zu erklären, warum denn Jesus schlussendlich dann doch der Größere gegenüber Johannes ist. Fest steht aber, dass Jesus genau so und nicht anders in sein öffentliches Wirken eingetreten ist. Wir dürfen annehmen, dass ihm in diesem Augenblick der Taufe seine Sendung bewusst geworden ist – ob nun für alle sichtbar und hörbar, wie beschrieben, oder nur in einer Art mystischen Wahrnehmung für Jesus selbst, das soll mal dahingestellt sein. Allerdings – und das ist ja für viele Menschen dann nach dieser Taufe auch spürbar geworden – ist diese, seine Sendung, so ganz anders ist als die, welche man von einem erwarten würde, der tatsächlich in unserem menschlichen Sinne Karriere machen will. Der, der für uns alle Gottes Sohn ist, stellt sich in eine Reihe mit fehlerhaften, mit begrenzten und oft genug erbärmlichen Menschen. Er tritt so selbstverständlich an die Seite der Sünder, ganz so, als wäre er einfach einer von ihnen. Der Evangelist Matthäus sagt darüber: So ist die Gerechtigkeit Gottes. Es ist seine Art, der Welt „gerecht zu werden“; jener Welt, die er erschaffen hat und die er abgöttisch liebt. Es ist Gottes Art, heilend in diese Welt einzugreifen und ihr aufzuhelfen, wo sie in Unordnung geraten ist. Es ist seine Art, unsere Last zu tragen und sich in „unsere Haut zu versetzen“.
Bei all dem geht mir durch den Sinn, welche Konsequenzen dieses Programm Gottes zur Heilung der Welt für jede und jeden von uns hat – und wie wir mit der Last unserer Geschichte, sowohl unserer ganz persönlichen, als auch der Geschichte unserer Völker oder Nationen, und wie wir mit unserer Kirche und der Last in ihr umgehen. Was ich damit meine? Nun, wie oft höre ich – vor allem in meiner Generation und derer, die noch später geboren sind – dass man endlich genug habe mit der immer wiederkehrenden Erinnerung an die Zeit des Dritten Reiches und dem, was damals passiert ist. Äußerungen wie: Was geht mich das heute an? Ich habe damit doch überhaupt nichts zu tun. Lasst uns doch endlich in Ruhe. Es ist ungerecht, uns damit zu belasten usw. sind häufig Gegenstand von Diskussionen und Gesprächen. Aber ist es wirklich ungerecht?
Die Gerechtigkeit Gottes ist anders: Er belastet sich mit uns. Er will etwas zu tun haben mit dem Menschen, der sich in Schuld verstrickt hat. Deshalb sollten auch wir Menschen heute uns in die Haut der Menschen von damals versetzen und Mitverantwortung übernehmen. Wenn wir all das gute Erbe unserer Vorfahren in verschiedenen Bereichen so gerne annehmen, ist es dann nicht mehr als gerecht, dass wir auch ihre Last tragen? Leider Gottes gibt es in unserer Zeit eine erschreckend hohe Tendenz dazu, sich ganz auf sich selbst und die eigenen Probleme zurückzuziehen. Immer mehr Menschen werden anscheinend unfähig, sich in die Haut anderer zu versetzen. Ent-Solidarisierung nennt man das im Fachjargon. Da wird dann ganz schnell zur Gewalt gegriffen, wenn einem jemand in die Quere kommt oder bei der eigenen Karriere stört. Nehmen wir doch einfach mal das Beispiel der Sozialpolitik: Wie schnell wird diese – gerade in finanziell engen Zeiten – zum entbehrlichen Luxus. Wir erleben das ja derzeit ganz eklatant hier in Spanien. Und Solidarität – z.B. in der Kranken- oder Altersversorgung – die kann doch auch in Deutschland, Österreich oder der Schweiz nicht heißen, dass man unterm Strich nur danach fragt, wie man am besten alles oder am besten noch mehr herausbekommt, als das, was man einmal einbezahlt hat.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Es gibt ja auch viele, ganz viele Beispiele von Solidarität in unseren Tagen. Ich denke da z.B. an eine Frau, die zu ihrem alkoholkranken Mann steht, obwohl es ihr manchmal zum Davonlaufen ist und es ihr niemand verdenken würde, wenn sie es tatsächlich tun würde. Aber sie bleibt bei ihm, weil er – nach ihrer Überzeugung – sonst wohl ganz abstürzen würde. Oder ich denke an die große Spendenbereitschaft so vieler in unseren Gottesdiensten über die Weihnachtstage. Wertvolle Zeichen der Solidarität mit den Menschen Lateinamerikas durch Adveniat aber auch für die Pfarrcaritas hier in Puerto wurden da gesetzt. Ich denke auch an den täglichen, oft so geräuschlosen Einsatz vieler Menschen für kranke oder auch ältere und körperlich beeinträchtigte Mitbewohner.
Allerdings denke ich auch an so manche Gespräche mit aus der Kirche Ausgetretenen – gute Gespräche, aber auch traurig stimmende. Etwa, wenn es heißt: Mit dieser Kirche, in der so vieles faul ist, will ich nichts mehr zu tun haben. Allein in den letzten Tagen haben mich mehrere Anrufe erreicht bzw. bin ich mit Menschen ins Gespräch gekommen, die aufgrund der Ereignisse der letzten Tage genau so gesprochen haben. Übrigens sind das in erster Linie nicht Menschen, die der Kirche fern stehen, sondern die sich ihr durchaus verbunden und verpflichtet wissen. Aber es hat – auch und gerade bei diesen Menschen den Anschein -, als würde, was vor knapp 3 Jahren zu einer riesigen Austrittswelle geführt hat, uns in diesen Tagen wieder neu und ganz vehement einholen. Mühsam glaubten wir den Schock über die Missbrauchsfälle verdaut und Vertrauen zurückgewonnen zu haben, um jetzt wieder neu Gefahr zu laufen, dass Menschen es unserer Kirche nicht abnehmen, dass sie wirklich aufklären und nicht vertuschen möchte. Ich will mich jetzt zu diesem Zerwürfnis zwischen der Bischofskonferenz und dem Leiter der Studie, Herrn Prof. Pfeiffer nicht äußern, weil ich die genauen Sachverhalte nicht kenne und das ja auch nicht Sinn und Zweck dieser Predigt sein kann und sein will. Aber ich stelle für mich fest: Dieser Vorgang, den die Deutsche Bischofskonferenz und der Herr Pfeiffer zu verantworten haben, erschüttert das Vertrauen in den innerkirchlichen Aufklärungswillen – und: es ist ein großer Schaden für die betroffenen Opfer und all diejenigen, die vor Ort konkret die Arbeit mit den Opfern machen. Trotzdem will ich nicht müde werden zu betonen: Zu dieser Kirche stehen heißt auch, etwas zu tun haben wollen mit der Schwäche der Menschen in ihr, auch den Amtsträgern. Zu dieser Kirche zu stehen heißt auch, sich nicht herauszuhalten oder sich schweigend zu verabschieden, sondern die Dinge beim Namen zu nennen, die nicht in Ordnung sind und sich dafür einzusetzen, dass sie geändert werden. Und zu dieser Kirche stehen heißt eben auch, zu spüren, dass man – auch wenn es nicht immer direkt spürbar ist – von Gott und den Schwestern und Brüdern getragen wird. Ich glaube, ich hätte vom Programm Gottes nur
wenig begriffen, wenn ich zu dieser Kirche nur dann stehen würde, wenn mit
ihr im sprichwörtlichen Sinne „Staat zu machen ist“.
Das Fest der Taufe Jesu – es ist ein zutiefst weihnachtliches Fest, weil es deutlich macht, was Menschwerdung Gottes schlussendlich heißt: Nämlich Gott versetzt sich in unsere Haut. Er will uns zur Seite stehen, unsere Last mittragen helfen. Er sagt Ihnen und mir zu: Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn. Das ist sein Programm – zur Rettung der Welt und zum
Leben in Fülle – für Sie und für mich. Amen.
Infos unter:
Erstellt am: 13.01.2013 20:22 Uhr
