Predigt zum Fest Allerheiligen 2013 (01.11.)

L II: 1 Joh 3, 1-3 / Ev.: Mt 5, 1-12a
Liebe Heilige von San Telmo!
Sie haben richtig gehört. Ganz bewusst beginne ich diese Predigt heute nicht mit „Liebe Schwestern und Brüder“, sondern mit der Anrede: „Liebe Heilige von SanTelmo!“ Das ist überhaupt nicht blasphemisch gemeint, auch wenn es der ein oder dem anderen vielleicht deplatziert vorkommt, sich so angesprochen zu fühlen. Und warum? Weil wir – Sie und ich – uns im landläufigen Sinne des Wortes weder als „Heilige“ fühlen, noch welche sind und auch keine solchen werden wollen. Dabei mag ersteres durchaus das Eingeständnis sein, dass wir uns nur als Durchschnittschristen sehen und letzteres, dass wir es als viel zu anstrengend betrachten oder vielleicht auch zu langweilig, Heilige zu werden. Wie hat mal ein älteres Gemeindemitglied zu mir beim sonntäglichen Frühschoppen gesagt: „Lieber weinselig, als scheinheilig!“
Nun kannte der Apostel Paulus zu seiner Zeit keine solch spitzfindigen Unterscheidungen. Deshalb adressiert er seinen Römerbrief gleich zu Beginn „an alle in Rom, die von Gott geliebt sind, die berufenen Heiligen“. Und im 12. Kapitel fordert er auf: „Helft den Heiligen, wenn sie in Not sind und gewährt jederzeit Gastfreundschaft.“ Spätestens hier also ist es offensichtlich, dass der Apostel nicht die Heiligen meinen kann, so wie wir das in aller Regel tun, also Heilige die im Himmel sind. Wie sollten diese auch Not leiden, so dass wir ihnen helfen müssten? Nein, Paulus spricht die ganz normalen Christen als Heilige an, denn für ihn sind alle, die sich von Gott geliebt wissen und sich zu Christus bekennen, einfach „Heilige“. Eine solche Sichtweise würde ich auch gerne so manchem Mitbruder oder Theologen wünschen, wenn sie immer wieder darüber schwadronieren: wie man denn heilig wird – und als Antwort jedes Mal wiederkauend daherbringen, wie ich unlängst wieder lesen musste: „Heilige sind Vorbilder, die die Liebe Gottes wirklich gelebt haben – und zwar kontinuierlich ihr ganzes Leben durch.“ Der hl. Augustinus, der in seinen berühmten „Bekenntnissen“ von seinem ausschweifenden Vorleben berichtet, hätte dann sicherlich keinerlei Chance auf Heiligkeit gehabt. Bis zu seiner Bekehrung hat er alles gelebt, nur nicht die Liebe Gottes. Im Übrigen wüsste ich auch gar nicht wie das gehen soll – die Liebe Gottes leben. Allenfalls kann ich als Christ aus der Liebe Gottes leben.
Und damit sind wir jetzt beim heutigen Fest angekommen. Allerheiligen ist nicht nur das Fest all jener, von denen die Kirche bekennt, dass sie in ihren Heiligenkalender gehören, weil sie irgendwann mal zur Ehre der Altäre – wie das so schön im Kirchenjargon heißt – erhoben wurden. Nein, es ist unser aller Fest, unser Namenstag, der Tag unserer ureigenen Berufung. Denn: Wir alle sind Heilige. Und dass das heutzutage in unseren Augen vielleicht scheinheilig klingen mag , das liegt doch einzig und allein daran, dass wir eben nur an außergewöhnliche Christen denken, wenn wir von Heiligen sprechen; also an Menschen, die etwas Heroisches, Übermenschliches und damit letztlich auch etwas für uns Unerreichbares an sich haben. Dazu kommt dann noch eine übertriebene Heiligenverehrung, die im Laufe der Zeit das ihre dazu getan hat und deren Idealisierung eines Heiligen oft mehr frommem Wunschdenken, als deren tatsächlicher Biographie entsprungen ist. Vom hl. Augustinus habe ich schon gesprochen. Allerdings ist er diesbezüglich bei weitem nicht der einzig problematische Heilige in unserer Kirche.
Wenn wir der Wahrheit die Ehre geben, dann müssen wir eben einräumen, dass z.B. der Hl. Bernhard von Clairvaux nicht nur ein großer Mystiker und großartiger Reformer des Ordenswesens war, sondern eben auch ein fanatischer und demagogischer Kreuzzugsprediger. Oder nehmen wir den Hl. Hieronymus. Der war nicht nur der größte Bibelgelehrte in der Frühzeit der Kirche, dem wir die „vulgata“, die lateinische Bibelübersetzung verdanken. Nein, er war laut seinen Zeitgenossen auch ein Mann von krankhaftem Ehrgeiz und ein zynischer Frauenhasser. Oder nehmen wir aus der Neuzeit den hl. Papst Pius X. Er war nicht nur ein überaus frommer Papst, der die Kinder zur Frühkommunion zugelassen und die Gläubigen zum häufigeren Kommunionempfang ermuntert hat. Nein, unter seinem Pontifikat gab es in der Kirche auch einen weltweiten Spitzeldienst zur Überwachung von Theologen – quasi den vatikanischen NSA – und der viele von ihnen ins Unglück gestürzt hat.
Und dann gibt es da ja auch noch eine andere, nicht weniger problematische Sicht- und Verhaltensweise zur Heiligsprechung mancher Personen. Was ich damit meine? Nun, wie viele Heiligsprechungen gab es erst dann, wenn fromme Verehrer bestimmter Personen das nötige Kleingeld hinter vatikanische Mauern gebracht hatten. Ja, mitunter brauchte es wirklich starke und finanzkräftige Interessengruppen, die „ihren“ Heiligen entsprechend „pushten“ und so erst den Heiligsprechungsprozess in Gang gesetzt haben. Einmal – so hab ich gelesen -, musste dabei das päpstliche Gericht mit 70 Pfund Schokolade bestochen werden, damit ein frommer Italiener auch endlich heiliggesprochen wurde.
Das alles muss man sich jetzt nicht klar machen, um gegen die Heiligen zu stänkern oder die Heiligenverehrung madig zu machen – Gott bewahre. Nein, es geht mir vielmehr um das bewusst machen, dass auch die sogenannten kanonisierten Heiligen unserer Kirche nichts anderes waren als Menschen; als Menschen wie Sie und ich, mit Fehlern und Kanten, mit Schwächen und Sünden. Aber das war für die Kirche ja auch nicht das Ausschlaggebende. Vielmehr haben diese Frauen und Männer eines Tages für sich entdeckt und in die Tat umgesetzt, dass sie ihr Leben mit all diesen Licht- und Schattenseiten Gott zur Verfügung und sich selbst in den Dienst der Kirche stellen wollen. Und weil ihnen das in einem bestimmten Bereich dann besonders geglückt ist oder auch exemplarisch von ihnen verwirklicht wurde, deshalb – und nicht weil ihr Leben rundherum vorbildlich gewesen wäre – hat die Kirche dann eines Tages feierlich erklärt, Gott habe sie vollendet und deshalb seien sie den Heiligen des Himmels und den Heiligen der Kirche zuzurechnen.
Heilige sind also Christen, die wussten, dass sie alles nur von der Gnade Gottes erwarten können. Und gerade deshalb sind sie ein Beleg, um nicht gar zu sagen ein Beweis dafür, was Paulus im Römerbrief weiter ausgeführt hat: „Wo die Sünde mächtig wurde, wird die Gnade Gottes übermächtig.“ Genau deshalb ist aber eine recht verstandene Heiligenverehrung schlussendlich immer ein Lobpreis der Gnade Gottes, die aus uns schwachen Menschen Heilige zu machen vermag.
Damit aber sind wir wieder bei uns, liebe Durchschnitts- und Mitchristen, die wir uns am Ende eines jeden Tages eingestehen müssen, dass wir längst nicht alles getan haben, was wir als Christen hätten tun oder sagen müssen. Vielleicht macht uns ja gerade das oft so mutlos und freudlos, dass wir beständig das Gefühl haben, mit ewig „hängender Zunge“ und schlechtem Gewissen einem moralischen Anspruch hinterher zu hecheln, den wir meinen der Botschaft des Evangeliums und unseres christlichen Glaubens entnehmen zu müssen. Dann aber müssen wir uns auch nicht wundern, wenn wir die heute gehörten Seligpreisungen auch wieder nur als moralische Anweisungen oder als einen Codex rigoroser Einlassbedingungen in das Gottesreich – verbunden mit höchster Kraftanstrengung – sehen können. Für uns unerreichbar, weil wir eben weder „selig“ sind, noch „heilig“ werden wollen. Dabei entgeht uns aber dann, dass Jesus eben gerade nicht gesagt hat: „Selig seid ihr, wenn ihr arm seid, wenn ihr trauert, wenn ihr Hunger und Durst nach Gerechtigkeit habt…“, sondern: „Selig seid ihr, die ihr arm, traurig und gewaltlos seid!“ Das aber sind keine Einlassbedingungen, sondern die, die zu ihm gefunden haben, weil sie so sind, wie sie sind, die preist er selig, weil sie seine Botschaft von der Liebe Gottes verstanden haben. Die Seligpreisungen sind also keine Zumutungen, sonder mit denen traut Gott uns was zu: nämlich dass wir so leben und handeln können, weil wir keine Angst mehr um uns selber haben und vor allem keine Angst mehr vor ihm, vor Gott. Nein, nicht die Angst vor Gott bestimmt unser Leben, sondern das grenzenlose Vertrauen in seine Liebe. Dann sind wir vielleicht arm in den Augen dieser Welt, aber reich an Möglichkeiten, die Welt im Sinne Gottes zu verändern. Wir müssen nicht in allem vorbildlich und schon gar nicht moralisch einwandfrei sein, was immer das auch bedeutet. Nein, wir sind schon jetzt heilig und „Heilige“, weil wir getauft sind und Christus angehören. Deshalb halte ich es mit dem Gründer der Gemeinschaft von Taizé, Roger Schutz, der unübertroffen gesagt hat: „Lebe vom Evangelium, was du begriffen hast – aber lebe es.“ Wenn uns das aufgegangen ist, liebe Heilige von San Telmo, dann haben wir allen Grund das heutige Fest zu feiern. Amen.

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Erstellt am: 04.11.2013 09:26 Uhr

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