Predigt zum Fest Allerheiligen 2011

L II: 1 Joh 3, 1-3 / Ev.: Mt 5, 1-12a
Schwestern und Brüder!
Wir feiern Allerheiligen – einen Festtag, der vor allem auf die Christen unter uns zwiespältig wirkt, die sich mit der Heiligenverehrung unserer Kirche generell schwer tun. Wenn man dann auch noch in einem Lexikon der katholischen Dogmatik folgenden Hinweis findet: „Die Heiligenverehrung ist für die Kirche als Ganze legitim und wichtig, für den einzelnen Christen aber weder Pflicht noch heilsnotwendig, sondern Freiraum der individuellen Frömmigkeit“ – ja dann fragt man sich doch wirklich zu Recht: Wieso feiern wir dieses Fest überhaupt?

Allerheiligen meint und so habe ich es auch immer verstanden: die Kirche gedenkt aller Heiligen und aller bereits zur Vollendung gelangten Verstorbenen. Oder anders gesagt: wir feiern heute ein „herbstliches Osterfest“; wir feiern die Tatsache, dass die Heiligen bereits in das Leben gelangt sind, welches uns allen gleichfalls verheißen ist, was wir aber eben erst dann erleben, wenn wir die Schwelle des irdischen Todes überschreiten. So schauen wir also an diesem Festtag auf die allseits bekannten, aber auch auf die mitunter leicht verstaubten Heiligen, die uns manchmal nur schwer geläufig sind. Und Gott sei Dank muss man sagen, sind ja viele derjenigen, die man zu Lebzeiten als Heilige angesehen oder auch mit Heiligkeit angesprochen hat, später nie als solche verehrt worden. Oder könnten Sie es für gut heißen, wenn der derzeit durch den Film Borgias in aller Munde präsente Papst Alexander VI. in diesen Reigen jemals aufgenommen worden wäre?
Und doch ist es schon eine recht bunte Schar, die sich da im manchmal recht schummrigen Licht der Kirche als Heilige tummeln: Da gibt es temperamentvolle und streitbare Gestalten wie Paulus, Multitalente der ganzheitlichen Kunst wie Hildegard von Bingen, Kirchenlehrerinnen wie eine Theresia von Avila, liebevolle Eltern wie Maria und Josef, Junge und Alte, Standhafte und Zweifelnde. Da kommen schillernde Gestalten wie ein Franziskus zum Vorschein, der auch heute noch vielen als Vorbild dient, aber auch ein Bruder Klaus von der Flüe, der vielen nicht geheuer ist, weil er Frau und Kinder verließ, um Gott in der Einsamkeit des Ranft zu dienen.
Es sind also ganz unterschiedliche Gestalten, die aber alle eines gemeinsam haben: sie werden von uns als Vorbilder im Glauben verehrt – seien sie nun die Stars oder vielleicht eher Heilige aus der zweiten und dritten Reihe. Alle, auch jene, denen kein eigener Gedenktag mehr gewidmet ist, werden an diesem Festtag geehrt. Doch was mich am heutigen Tag am meisten fasziniert, das sind nicht die vielen Heiligen, sondern unser Glaube, dass wir alle – Sie und ich – auch zur Heiligkeit berufen sind. Jede und jeder von uns ist dazu berufen, selbst wenn wir es überhaupt nicht erstrebenswert finden, wirklich heilig zu werden. Eine kleine Geschichte von dem bekannten Urwaldarzt und protestantischen Theologen Albert Schweitzer kann uns dies vielleicht besser verdeutlichen:
Es war einmal ein kleiner Heiliger, der über viele Jahre ein glückliches und sehr zufriedenes Leben geführt hatte. Als er eines Tages gerade in der Klosterküche beim Geschirr-Abwasch war, da kam ein Engel und sprach zu ihm: „Der Herr schickt mich zu dir und er lässt dir sagen, dass es Zeit für dich sei, in die Ewigkeit einzugehen.“ Worauf der kleine Heilige erwiderte: „Da danke ich dem Herrgott aber, dass er sich meiner erinnert. Doch du siehst ja, was für einen großen Berg Geschirr ich hier noch abwaschen sollte. So möchte ich nicht undankbar erscheinen, aber lässt sich das mit der Ewigkeit nicht noch so lange hinausschieben, bis ich hier fertig bin?“
Der Engel blickt den kleinen Heiligen nach Engelsart weise und huldvoll an, dann sprach er: „Ich werde sehen, was ich für dich tun kann“, und verschwand. Der kleine Heilige wandte sich also wieder seinem Geschirrberg zu und danach auch noch vielen anderen Dingen. Eines Tages machte er sich gerade mit einer Hacke im Garten zu schaffen, als ihm der Engel wieder erschien. Der kleine Heilige wies mit der Hacke den Garten auf und ab und sagte: „Sieh dir das Unkraut hier an! Meinst du nicht, dass da die Ewigkeit noch ein wenig warten sollte?“ Der Engel lächelte und verschwand abermals. Der Heilige jätete den Garten fertig und begann dann, die Scheune zu streichen. So werkelte er fort und fort und die Zeit ging dahin. Eines Tages pflegte er im Hospital die Kranken. Er hatte gerade einem fiebernden Patienten einen Schluck kühlenden Wassers eingeflößt, da sah er, als er aufblickte, wieder den Engel vor sich. Dieses Mal breitete der kleine Heilige nur Mitleid heischend die Arme aus und lenkte mit den Augen des Engels die Blicke von einem Krankenbett zum anderen. Der Engel verschwand, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
Als der kleine Heilige sich aber an diesem Abend in seine Zelle zurückzog und auf sein hartes Lager sank, da sann er über den Engel nach und über die lange Zeit, die er ihn nun schon hingehalten hatte. Auf einmal fühlte er sich alt und müde. So sagte er: „Herr, jetzt könntest du noch einmal deinen Engel schicken – er wäre mir mehr als willkommen.“ Da stand der Engel vor ihm und der kleine Heilige sagte: „Wenn du mich noch nimmst, dann bin ich bereit in die Ewigkeit einzugehen.“ Der Engel blickte ihn an und sprach ganz huldvoll: „Was glaubst du wohl, wo du die ganze Zeit gewesen bist.“
Eine schöne Geschichte – sicher. Aber ich denke, sie löst unterschiedliche Gefühle in uns aus. Zum einen ist da das wunderschöne Gefühl, dass jede und jeder von uns heilig sein kann – ohne Zweifel. Zum anderen aber fragt sich jetzt vielleicht der ein oder die andere unter uns: Ja, ist das alles? Habe ich schlussendlich am Ende meines Lebens nicht mehr zu erhoffen? Ein mühevolles Leben im Dienst an den anderen soll der Himmel sein? So könnte man wirklich fragen. Und ich gebe diese Frage einfach mal an Sie weiter: Was erwarten Sie, was erwarten wir denn vom Himmel? Und um einer Antwort näher zu kommen, sollten wir mal alle Bilder beiseitelassen, die die Schriften und die christliche Tradition in uns ausgeprägt haben. Dann werden wir feststellen, dass wir uns auf zwei Antworten beschränken müssen: Der Himmel ist a) beständig in der Gegenwart Gottes zu leben und b) liebevoll mit Gott und den Menschen verbunden zu sein.
Wo aber steht denn nun bitte schön geschrieben, dass uns dieser himmlische Zustand erst nach dem Tod verheißen ist? Im Gegenteil: Hat Jesus nicht immer betont, dass das Reich Gottes bereits angebrochen ist? Dass wir – besonders wenn wir dem heutigen Evangelium folgen – bereits jetzt in die Gemeinschaft mit dem Vater, Sohn und Geist eingebunden sind?
So enttäuschend es auch zunächst scheinen mag: Alles Wesentliche, was wir uns für das Leben nach unserem Tod erhoffen dürfen, das ist uns auch jetzt schon möglich, sofern wir uns auf die Dynamik der Liebe und des Lebens einlassen. Nichts anderes haben doch auch all jene Menschen getan, derer wir an diesem Festtag gedenken. All diese Freundinnen und Freunde Gottes – wie wir es ja auch im Lied singen – haben uns doch gezeigt, dass der Himmel auf Erden angebrochen ist und die Seligpreisungen keine Vertröstung auf das Jenseits sind. Arm sein muss nicht heißen, verarmt zu leben, denn man kann immer reiche Erfahrungen machen. Gewaltlos muss nicht heißen, widerstandslos zu sein. Trauern heißt nicht antriebslos zu werden, denn Trauer kann auch der Motor zur Veränderung und zum Neuanfang sein. Barmherzig sein heißt nicht, alles zu beschönigen – es befreit vielmehr vom Ballast des Nachtragens und des gegenseitigen Aufrechnens. All diese gelebten Haltungen waren und sind es auch heute, die uns den „Himmel“ ermöglichen.
Wir glauben, dass der Tod keine Macht mehr hat; deshalb können sich diese Frauen und Männer, alle Heiligen, eben auch nach ihrem irdischen Leben für uns einsetzen – für uns und für das Leben der Menschen. Mehr noch aber erinnern und ermutigen sie und dieser Tag heute uns alle, dass auch wir uns für unsere Schwestern und Brüder einsetzen sollen. Dann kann Wirklichkeit werden, was der Bauherr einer Kathedrale in Frankreich schon vor Jahrhunderten zum Ausdruck gebracht hat. Er hat über den Nischen der Portale Heilige platziert. Aber nicht alle Nischen sind besetzt. Zeichen dafür: Es ist noch Platz frei – für Sie und für mich. Oder in unserer heutigen Zeit gesagt: Jeden Tag steht aufs Neue ein himmlisches Casting an – mit ganz eigenen Spielregeln. Gesucht werden dabei „Austria, Switzerlands or Germanys next Heilige!“ Hier und heute. Amen.

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Erstellt am: 01.11.2011 15:08 Uhr

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