L I: Dan 7, 2a.13b+f / Ev: Joh 18, 33b-37
Schwestern und Brüder!
Wer von uns kennt ihn nicht, den großen amerikanischen Komiker Charlie Chaplin? Ohne viele Worte, nur mit seinen übergroßen Schuhen und seinem tollpatschigen Gang ausgestattet, hat er Millionen Menschen immer wieder zum Lachen gebracht und in einer unnachahmlichen Art und Weise vieles, durchaus auch zeitkritisches, aufs Korn genommen und zum Nachdenken angeregt. So drehte er noch während des Zweiten Weltkrieges einen Film, der in mehr als genialer Komik zeigen wollte, was zugleich bereits für viele Menschen alltäglicher bitterer Ernst und Realität war. „Der große Diktator“, so der Titel des Films, kam 1940 in die amerikanischen Kinos und wurde im Laufe der Jahre und Jahrzehnte von zig Millionen Menschen gesehen. Eine Szene dieses Films ist wohl den meisten Kinobesuchern nachdrücklich in Erinnerung geblieben, weil sie auch ganz besonders beeindruckend ist: Da spielt der Diktator mit einem übergroßen Globus. Er hat hier – im sprichwörtlichen Sinne – „das Schicksal der Welt in seiner Hand“. Er nimmt ihn, wirft ihn hoch, fängt ihn wieder auf, balanciert ihn – bis er ihm irgendwann entgleitet und zerplatzt. Keine Frage, wer mit dem Diktator gemeint ist und deshalb trägt Chaplin in diesem Film auch die Gesichtszüge Adolf Hitlers. Nur meine ich: Diese Szene hat in ihrem Grundanliegen nichts, aber auch gar nichts an Aktualität für das Heute verloren. Sicher: Hitler, Stalin oder auch Mao, Franco, Pol Pot oder ein Idi Amin, die gibt es heute nicht mehr. Aber das Spiel mit dem Globus, das gibt es immer wieder, in ähnlicher Weise erschreckend und mehr als gefährlich.
Nun kennen wir Christen ja auch einen, der, wenn er nur wollte, gleichfalls mit diesem Globus spielen könnte: Jesus Christus. Er ist nicht einfach ein Diktator, sondern er ist der Pantokrator, also der Allherrscher, der über den ganzen Kosmos thront und der somit auch Herrscher über die Erde und uns Menschen ist. So zumindest sagt es das heutige Fest und so haben wir es ja auch im Hymnus miteinander gesungen: Christus ist König, Herrscher in Ewigkeit.
Aber feiern wir ihn wirklich im Bewusstsein eines Herrschers oder eines Königs mit genau diesen irdischen Attributen? Ist Christus tatsächlich an diesem Spiel mit dem Globus so mitbeteiligt, wie wir es gerade miteinander bedacht haben? Und die Kirche womöglich mit ihm? Will sie vielleicht auch mitmischen in diesem Machtspiel, wenn sie sich zu Christus als dem Herrscher des Alls bekennt? Verspürt hat die Kirche diese Versuchung sicher immer wieder und ein Blick in ihre Geschichte genügt vollkommen, um das anschaulich zu beweisen und zu dokumentieren. Und wo hat sich die Kirche nicht überall eingemischt. Deshalb ist es auch gar nicht so abwegig, dass Kritiker dieses heutigen Festes immer noch argumentieren, dass genau dieser Tag keinerlei andere Bedeutung habe, als den Machtanspruch der Kirche, immer und überall mitreden und mitmischen zu wollen, zu unterstreichen. Andererseits sind es ja nun nicht gerade wenige Menschen, die in einer Zeit, in der viele den erstarkten Atheismus oder auch einen fundamentalistisch geprägten Islam als Bedrohung empfinden, sich da eben ein durchaus – auch rein äußerlich – machtvolles Christentum wünschen, das so vielleicht als Heilmittel gegen genau diese Gefahren dienen könnte.
Nur – wenn wir Christus als den Pantokrator feiern, wenn wir ihn als unseren König verehren, dann müssen wir dazu auch nach der biblischen Grundlage Ausschau halten und die liefert uns der heutige Abschnitt des Johannes-Evangeliums. Allerdings: er liefert uns eben auch ein ganz anderes Königsbild. Was wir da gehört haben, ist – Sie haben es sofort erkannt – ein Auszug aus der Passion Jesu. Er, der Messias, antwortet hier Pilatus: „Du sagst es, ich bin ein König!“ Doch schauen wir bitte noch etwas genauer auf diese Szene. Da hat Jesus keinen Globus in der Hand, noch irgendwelche andere Insignien der Macht; er hat nichts, rein gar nichts. Er spielt nicht mit der Welt, sondern er selbst ist zum Spielball der Mächtigen geworden. Er steht da, gefesselt und von der Gefangennahme gezeichnet, vor einer weltlichen Macht, vor dem Richterstuhl des Pilatus. Er wird alleingelassen, geschlagen, verspottet, lächerlich gemacht. Erst jetzt nimmt er den Königstitel an, den er vorher beim Volk und auch in seinem Freundeskreis immer wieder zurückgewiesen hat. Denn jetzt, jetzt kann er gar nicht mehr missverstanden werden. Jetzt muss jedem klar sein, was er für ein König ist: Sein Königreich ist nicht von dieser Welt; sein Königsein ist von einer ganz anderen Art geprägt als das der Machthaber dieser Welt. Dieser König Jesus sitzt auf keinem goldenen Thron als Herrscher über die Welt; sondern sein Thron ist das Kreuz. Er ist ein König, der scheinbar machtlos ist und der nichts fordert, sondern der gibt – sich selbst gibt. Ein König, der sich nicht bedienen lässt, sondern der dient – und zwar bis zum Letzten. Er ist ein König, der nicht andere für sich sterben lässt, sondern der selbst für die Menschen stirbt. Ein König, nicht mit zerstörerischer Macht, sondern mit einem Maß an Liebe für die Menschen und für diese Welt, die schlussendlich für uns so gut wie unvorstellbar ist. Ja, das ist seine eigentliche Macht, darin ist er der wahre König, in der Liebe zu seiner Schöpfung und zu uns Menschen.
Nun wird ja Jesus nicht selten der Vorwurf gemacht, dass alles, was er gesagt habe, nichts mit dieser Welt und unserem Leben im Hier und Jetzt zu tun habe, weil er ja selbst immer wieder gesagt habe: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“. Nur – ich glaube, dass er da von uns gründlich missverstanden wurde. Denn dass alles, was er gesagt hat, sich nur aufs Jenseits bezieht, genau das hat Jesus eben nicht gemeint. Er hat das Reich Gottes als etwas verkündet, was hier in dieser Welt seinen Anfang nimmt, und was in der anderen Welt seine Vollendung finden wird. Seine Autorität ist nicht von dieser Welt; denn Jesus ist weder von Menschen erwählt noch bestimmt worden, sondern er ist der Gesandte Gottes. Aber das, was er uns verkündet hat, das ist zutiefst eine Botschaft für diese Welt. Allerdings haben wir uns zwischenzeitlich so daran gewöhnt, dass bei uns andere Gesetze herrschen, als die Gebote Jesu; dass wir das, was er gesagt hat, oft so lange hin- und her wenden, bis es uns in den sprichwörtlichen Kram oder den alltäglichen Stiefel passt. Ist es nicht so? Wer bei uns wirklich auf die Idee kommt, die Worte Jesu ernst zu nehmen und sie im eigenen Leben umzusetzen, der wird mitleidig belächelt und als weltfremder Spinner abgetan. Und manche, die sich in ihrem Leben noch eine kleine Ahnung von dem erhalten haben, dass das Leben ja wirklich besser sein könnte, wenn mehr Menschen nach dem Evangelium leben, die geben oft und sagen sich: „Was kann ich denn schon ändern?“
Aber auf genau diese, auf die ganz persönliche Entscheidung von jeder und jedem Einzelnen von uns kommt es an. Wir müssen Farbe bekennen dergestalt, dass wir uns äußern, zu welchem König wir uns bekennen wollen. Zum König der Liebe, der mit dieser Liebe oft so machtlos erscheint? Zu diesem König, dessen Namen wir alle tragen? Oder wollen wir eben selbst gerne mitmachen in diesem Spiel mit dem Globus? Ich glaube, es gibt da eine Stimme in uns – wenigstens merke ich das bei mir, wenn ich ehrlich zu mir selber bin – die immer wieder anklingt, und die in mir die Versuchung nach Macht, nach Stärke und Glanz in dieser Welt durchaus aufkommen lässt. Und manch eine oder einer verfällt dabei vielleicht sogar dem Gedanken: Das muss doch gar nicht so schlecht sein. Denn mit Macht und einer gewissen Stärke kann man sich doch auch viel leichter für das Gute einsetzen und das Böse abwehren. Doch Hand aufs Herz: all diese Gedanken befreien uns letztlich nicht vor der Grundentscheidung, der sich Regierende – genauso wie jede und jeder Einzelne von uns – ganz klar stellen müssen: Was ist der Maßstab für mein Leben? Die Macht, die andere zerbricht, oder die Liebe, die andere und mich heil werden lässt? Liegt mir die „Faust auf den Tisch zu hauen“ näher als das tröstende Wort? Ist mir „die kalte Schulter zeigen“ wichtiger, als die Hand der Versöhnung? „Versteinere“ ich lieber mein Herz, als dass ich den ersten Schritt gehe? Ist es mir wichtiger, Recht gehabt zu haben, oder dass ich für den anderen Verständnis aufbringe? Merken wir etwas? Es gibt nicht nur die großen Diktatoren – nein, es gibt so viele Momente in unserem kleinen Alltag, in denen wir genauso als Machtmenschen auftreten oder eben als Königinnen und Könige der Liebe zeigen oder zeigen können.
Charlie Chaplin hat als der große Diktator, dem der Globus entglitten ist und dem die Machtspiele zerplatzten, diese Macht entlarvt. Christus – unser König, hat diesen Machtkampf nicht mitgespielt. Er hat das Kreuz als Thron erwählt – und seine Liebe hat gesiegt. Wenn wir ihm nachfolgen wollen und wenn wir uns auf ihn berufen, dann müssen wir wissen: Wir haben einen König, den man aufs Kreuz gelegt und festgenagelt hat. Aber – um es mit einem Ausdruck aus der Welt des Kartenspiels zu sagen – mit genau diesem Kreuz-König haben wir einen immensen Trumpf im Spiel unseres Lebens in der Hand – den Trumpf der Liebe.
Infos unter:
Erstellt am: 25.11.2012 19:14 Uhr