L I: Ez 34, 11f, 15-17 / Ev.: Mt 25, 31-46
Schwestern und Brüder!
Erinnern Sie sich noch ungern an Ihren Flug hierher oder gehören Sie vielleicht sogar zu den Menschen, die bereits jetzt wieder mit sorgenvollen Gedanken an das Besteigen des Flugzeugs für den Rückflug denken? Ich für meinen Teil muss sagen, ich fliege nicht ungern; sonst wären die letzten 13 Jahre hier auf Teneriffa ja wirklich auch einer Strafversetzung gleichgekommen. Schließlich ist es nicht leicht, ohne Flugzeug von der Insel wegzukommen. Aber auch ich muss gestehen: So ab und an beschleicht mich immer noch ein eigenartiges Gefühl; vor allem unmittelbar vor dem Start oder auch bei der Landung; dann, wenn es heißt: „Bitte anschnallen, wir starten oder wir landen in Kürze.“
Der Start- und vor allem die Landung sind immer ein besonderer Nervenkitzel. Und ich frage mich: Warum? Ist es wegen dieser Aufforderung durch Stewards oder Stewardessen sich anzuschnallen? Hängt es damit zusammen, dass Techniker schon immer behauptet haben, dass das größte Risiko beim Fliegen eben Start und Landung sind? Und warum sagen, wenn wir Meinungsforschern glauben wollen, die Mehrzahl der Fluggäste, dass sie negative oder eher ängstliche Gefühle vor allem bei der Landung überkommen?
Wie dem auch sei. Wir können uns eine Welt ohne Fliegen nicht mehr vorstellen und was für Daidalus und seinen Sohn Ikarus noch ein Traum war, der Traum sich in die Lüfte zu erheben und davon zu schweben, das ist für uns Wirklichkeit geworden. Eine Wirklichkeit, die Reinhard Mey in dem wunderschönen Lied besingt: „Wind-Nord-Ost, Startbahn , drei; bis hier hör ich die Motoren, wie ein Pfeil zieht sie vorbei, und es dröhnt in meinen Ohren. Und der nasse Asphalt bebt, wie ein Schleier staubt der Regen, bis sie
abhebt und sie schwebt, der Sonne entgegen.“
Es ist, wenn wir ehrlich sind, ein immer wiederkehrender Traum von uns Menschen, davonzufliegen wie ein Vogel. Aber in dem gleichen Maße wie man eben davon träumt abzuheben, so fürchtet man halt auch wieder das Landen; das Landen – das oft ein hartes Aufsetzen auf dem Boden der Tatsachen ist und unserem Traum ein Ende macht. Oder anders gesagt: Fliegen ist der Traum, Landen aber heißt aufhören mit Träumen.
Jetzt fragen Sie sich wahrscheinlich schon geraume Zeit: Was um alles in der Welt sollen denn all diese Gedanken mit dem Fliegen und dem Landen, wo wir doch eben das Evangelium vom Weltgericht gehört haben. Und ich sage Ihnen, es gibt gar keine bessere Stelle davon zu reden, als unmittelbar nach diesem Evangelium. Denn so, wie man mit Reinhard Mey und seinem Lied „Über den Wolken“ durchaus die Aufbruchsstimmung, den Start hinein in die unbekannte göttliche Sphäre verbinden kann – der Sonne entgegen, so kann man mit dem Evangelisten Matthäus und seiner gleichnishaften Schilderung der Gerichtsrede eine andere Seite unserer Religiosität verbinden. Wie ich das meine?
Nun – und das ist jetzt bitte keinesfalls blasphemisch gemeint – die Botschaft vom menschgewordenen Gott, der durch die Welt zieht und die Menschen um sich schart, dem wohnt doch dieselbe Dynamik inne wie von warmlaufenden Motoren; eine Spannung, die unmittelbar vor dem Abheben herrscht. Das Evangelium vom auferstandenen Christus – von dem, der in den Himmel aufgefahren ist und uns in diese himmlische Wirklichkeit mit hineinnimmt – erhebt uns eben wie beim Start und gewährt uns einen Blick über die Wolken, hinein in die Welt, in der die Freiheit wohl grenzenlos sein muss. Allerdings, dieses Gefühl hält nicht an. Denn die Sätze des Evangelisten Matthäus entreißen uns doch aus all diesen himmlischen Träumen: da ist die Rede vom zurückkehrenden Herrn, von der Scheidung in Schafe und Böcke. Nix mehr mit Träumen; nein, diese Sätze machen allem Erheben ein Ende und werfen uns zurück in und auf eine irdische Wirklichkeit, wie sie noch weitaus schlimmer ist, als nach ein paar Tagen Urlaub wieder zur Arbeit zu gehen. „Bitte anschnallen, wir setzen zur Landung an.“ Der Flug ist vorüber, die Zeit der schönen Träume ist vorbei.
Es ist ein Evangelium, ich sage es ehrlich, das man am liebsten links liegen lassen möchte, weil es einfach nicht dazu dient, vom Evangelium als einer frohen Botschaft zu sprechen. Oder begeistert Sie, was wir da eben gehört haben? Ich muss gestehen: für mich bringt diese Rede vom Gericht nicht unbedingt Angst, aber doch sehr viel Ernüchterung mit sich oder auch eine Stimmung, die der von Reinhard Mey ziemlich ähnlich ist, vor allem, wenn ich die letzte Strophe seines Liedes betrachte: „Dann ist alles still, ich geh‘, Regen durchdringt meine Jacke, irgendjemand kocht Kaffee in der Luftaufsichtsbaracke. In den Pfützen schwimmt Benzin, schillernd wie ein Regenbogen. Wolken spiegeln sich darin, ich wär‘ gern mitgeflogen.“
Also – aus der Traum? Nein, noch nicht ganz! Gerade in dieser Strophe von Reinhard Meys Lied, bin ich nun über einen Vers gestolpert, der in mir etwas ausgelöst hat, was das heutige Evangelium fast schon verzaubert. Erinnern Sie sich an die eigenartige Pfütze? „In den Pfützen schwimmt Benzin“, hat es da geheißen. Es ist, man kann es fast nicht anders sagen, Inbegriff unseres Alltags mit all seinen Vergiftungen sowohl psychischer wie physischer Art. Aber was tun diese verdreckten Pfützen? „In den Pfützen schwimmt Benzin, schillernd wie ein Regenbogen!“ Ich für meinen Teil glaube nun nicht, dass Reinhard Mey beim Schreiben dieser Strophe daran gedacht hat, dass er damit einem Seelsorger den Schlüssel für das Evangelium vom Weltgericht in die Hand legt. Aber da taucht ganz unvermittelt das Wort vom Regenbogen auf und da sollte, ja da muss der Theologe einfach wach und hellhörig werden: Der Regenbogen ist schließlich ein uraltes Zeichen für die Nähe Gottes zu uns Menschen, ja er symbolisiert den Bund Gottes mit uns. Und nun steht dieser Bogen auf einmal nicht an dem Platz, an dem man ihn vermuten würde – nämlich in den Wolken, sondern er steht in den dreckigen, den verkorksten Pfützen ganz unten, auf dem Boden. Er steht dort, wo ich den Kranken aus dem Evangelium begegne, den Fremden und den gefangenen; ja, dieser Regenbogen schillert dort, wo ich meinen Alltag erlebe – und er bleibt auch dort das Symbol für die Anwesenheit Gottes, das Zeichen für seine Zuwendung zu uns – zu Ihnen und mir.
Können Sie nachvollziehen, weshalb jetzt das Evangelium auf einmal eine ganz andere Sprache für mich spricht? Da stehen eben auf einmal nicht mehr Böcke und Schafe im Vordergrund, da geht es nicht mehr um Belohnung und Bestrafung, sondern da höre ich auf einmal etwas von Begegnung und Zuwendung. Ich höre etwas davon, dass ich in meinem Alltag Gott begegnen kann; ich höre etwas davon, dass es keine bedrückende Last ist, die mir auferlegt wird und von der ich mich am liebsten so schnell als möglich befreien möchte – durch verdrängen oder davonlaufen. Im Gegenteil: ich erfahre, dass es sich lohnt, dieses Leben zu leben. Ich erfahre, dass es auf dieses Leben ankommt. Nichts in diesem Leben, was mit anderen passiert ist belanglos, sondern darin entscheidet sich und darin erlebe ich Begegnungen mit Gott; hier greift der Bund, den Gott mit uns geschlossen hat, weil dieser Bund unsere Alltagspfützen, weil er unser Leben verwandelt.
Der graue Alltag, vor dem so viele Menschen am liebsten davonlaufen möchten, wird mit dieser Sichtweise zum Ort, an dem ich im anderen Gott selbst begegne. Und auf einmal spricht das zunächst so schrecklich klingende Evangelium davon, dass ich vor diesem ach so grausig grimmig richtenden Gott nicht etwa dadurch bestehe, dass ich mich aus dieser Welt zurückziehe und spirituelle Purzelbäume schlagend einem ach so fernen Jenseits entgegeneile. Es soll nicht despektierlich klingen, was ich hier sage; schließlich hat von dieser Weltzurückgezogenheit in den letzten Wochen kein geringerer gesprochen als der Papst selbst. Nur – das heutige Evangelium lehrt uns eindeutig, dass ich unserem Gott gegenüber nur bestehen kann, wenn ich meiner Verantwortung für die oder den anderen gerecht werde. Ganz im Sinne des Hl. Bernhard von Clairvaux der einmal gesagt hat: „Die Liebe genügt sich selbst…ich liebe, weil ich liebe; ich liebe, um zu lieben.“ Oder wie die lateinamerikanische Befreiungstheologie fragt: Hast du im anderen Menschen, besonders dem Notleidenden, Christus entdeckt?
So betrachtet aber ist das heutige Evangelium nichts anderes, als die Botschaft vom mir im anderen begegnenden Gott; dem Gott, vor dem ich immer bestehen kann, wenn ich den anderen, wenn ich meinen Mitmenschen nicht aus den Augen verliere. Es ist eine Frohe Botschaft, die sehr wohl vom Erheben spricht, aber nicht vom Abheben und Schweben einer fernen Sonne entgegen, sondern vielmehr vom Aufstehen und Erheben den Menschen entgegen, um ihnen in Liebe und Zuneigung zu begegnen. Amen.
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Erstellt am: 21.11.2011 19:41 Uhr