Predigt zum 9. Sonntag im Jahreskreis 2013 (02.06.)

L I: 1 Kön 8, 41-43 / Ev.: Lk 7, 1-10
Schwestern und Brüder!

Wer von uns kennt ihn nicht – diesen Spruch: „Jetzt hilft nur noch beten!“ So denken Schüler und Studenten vor einer wichtigen Klassenarbeit oder Klausur, wenn sie für sich feststellen, wie ihnen die Zeit zum Lernen mal wieder davonläuft. So denken Patienten vor einer riskanten Operation, wenn der Ausgang des Eingriffs für sie völlig ungewiss ist und so empfinden wohl auch Bergsteiger, die in ein schweres Unwetter kommen.
Ich glaube, wir alle kennen solche oder ähnliche Situationen aus unserem Leben, in denen wir gespürt haben, wie die eigenen Fähigkeiten nicht mehr greifen und dass schlussendlich nur noch der Glaube an Gott helfen kann. In einer solchen Lage steckt auch der römische Hauptmann aus der Stadt Kafarnaum.
Die Erzählung des Evangelisten Lukas steht uns klar und deutlich vor Augen. Sein Diener, der ihm sehr viel bedeutet – zu dem er vielleicht sogar eine sehr intensive Beziehung unterhält, was für damalige römische Verhältnisse durchaus üblich war – liegt im Sterben. Weil er sich nicht anders zu helfen weiß, wendet er sich in seiner Not an Jesus, von dem er schon einiges gehört hat und der sich gerade in der Stadt aufhält. Allerdings will er als Römer, als Fremder, Jesus nun nicht unbedingt zu nahe treten; will sich ihm nicht aufdrängen und ihn schon gar nicht belästigen. Deshalb bittet er die Ältesten, quasi so etwas wie den jüdischen Pfarrgemeinderat, für ihn bei Jesus doch ein gutes Wort einzulegen. Und diese bitten Jesus: „Erfüll ihm doch sein Anliegen. Er liebt unser Volk und er hat uns die Synagoge gebaut. Als Heide hat er sehr viel für uns Juden getan, so kannst du als Jude doch auch etwas für einen Heiden tun.“
Und Jesus lässt sich tatsächlich darauf ein. Aber als er mit ihnen in die Nä-
he des Hauses kommt, da tut sich für ihn eine neue, ja eine ganz entscheidende Situation auf. Denn der Hauptmann schickt auf einmal Freunde, die nochmals für ihn bitten sollen. Nur – dieses Mal geht es nicht um die Heilung des Kranken, sondern es geht um die Fürsorge des Hauptmannes für Jesus. Er als Römer weiß, dass Jesus – in der Sichtweise des jüdischen Glaubens – als Jude unrein werden würde, wenn er ein heidnisches Haus beträte. Deshalb sagen diese neuen Bittsteller im Namen des Hauptmannes zu ihm: „Komm nicht selber! Denn ich bin es nicht wert, dass du in mein Haus kommst und dich unrein machst. Und ich selbst bin es auch nicht wert, dass ich persönlich zu dir komme.“ Diese Bescheidenheit macht ihn für die Hörer damals und für uns heute noch viel sympathischer. Da sind einmal die, die über ihn sagen: „Er hat es verdient“ und er selbst sagt von sich: „Ich bin nicht würdig!“ Über diese, seine Bescheidenheit, ist auch Jesus dermaßen verblüfft, dass er den Leuten, die ihm folgen und die ihn hören wollen, den Glauben und das Vertrauen dieses Hauptmannes als nachahmenswertes Beispiel vor Augen stellt.
Bleibt für mich die Frage: Haben wir das Evangelium wirklich schon genügend ausgeschöpft, wenn wir uns vornehmen, in ausweglos scheinenden Situationen unsere ganze Hoffnung auf Gott zu setzen, wie es der Hauptmann eben tut? Schauen wir uns diesen Mann, der hier von Lukas in diesem Evangelienabschnitt in den höchsten Tönen gelobt wird, noch ein wenig genauer an. Die Tatsache, dass er Heide ist und noch dazu in römischen Diensten steht, sind denkbar schlechte Voraussetzungen, um bei der Bevölkerung beliebt zu sein. Und dennoch sprechen die Ältesten positiv über ihn. Wahrscheinlich haben sie ihn als einen Mann kennengelernt, der durchaus an Gott glaubt – nicht wie sie, aber der dennoch einen Glauben an Gott in sich trägt. Er achtet die Sitten und religiösen Bräuche der Menschen, die um ihn herum leben, obwohl er sie selbst nicht praktiziert. Und obwohl
er Jesus nicht zumuten will, sein Haus zu betreten, traut er ihm doch gleich-
zeitig zu, seinen Diener quasi aus der Ferne zu heilen.
Ich glaube, dass dieses, für den ein oder die andere vielleicht seltsam anmutende Verhalten des Hauptmannes, ganz eng mit seinem Glaubensverständnis zusammenhängt – oder sagen wir ruhig: mit seiner ganz persönlichen Gottesbeziehung. Er traut Gott alles zu, und wenn es stimmt, dass dieser Jesus der Sohn Gottes ist, dann hat er eben auch ein unerschütterliches Vertrauen in die Vollmacht Jesu. Er hofft jetzt auf sein Wirken, auf das Wirken Gottes, weil er sich in einer – nach menschlichem Ermessen – ausweglosen Situation befindet. Dabei bildet er sich nicht ein, diese Heilung seines Dieners verdient zu haben – quasi als Belohnung für seine rechtschaffene Lebensführung oder auch als Dankeschön Gottes für den Bau der Synagoge. Nein, er hat nichts anderes vorzuweisen, weshalb Gott ausgerechnet seinen Diener heilen sollte, als eben genau dieses, sein Gottvertrauen.
Das imponiert – nicht nur mir, sondern auch Jesus. Er ist so davon angetan, dass er sagt: Einen solchen Glauben habe ich nicht einmal beim auserwählten Volk Israel gefunden – und ich möchte anfügen: wie bei diesem Heiden! Das ist provozierend – aber genau darum geht es Jesus und auch dem Evangelisten in diesem Abschnitt – um eine Provokation dergestalt: Schaut über den eigenen Tellerrand hinaus. Entdeckt das Vorbildhafte auch in jemandem, der anders ist, als ihr es seid. Verzichtet auf die Brille der Vorurteile und lernt von denen, die euch bislang fremd sind. Ich weiß, so lange solche Aussagen als Appelle an uns gerichtet werden, bejahen wir diese fast immer – schließlich sind wir ja alle sooo aufgeschlossene Menschen! Aber wehe, es geht darum dies ganz konkret in unser Leben umzusetzen. Da gibt es schlaflose Nächte für die Eltern, wenn die Tochter einen afrikanischen Freund daherbringt oder der Sohn sich outet und einen Freund als Sexualpartner hat. Da bekommt man ein flaues Gefühl in der Magengegend, wenn man auf einmal einen Vorbestraften beschäftigen soll oder ein Suchtkranker in der Gemeinde mitarbeiten möchte.
Was würde Jesus heute zu uns sagen? Einen solchen Glauben habe ich in San Telmo gefunden? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir wohl immer in einer ganz gewaltigen Spannung leben – nämlich zwischen dem eigenen Bemühen und dem Tun Gottes. Gottvertrauen wie ich es verstehe kann nicht heißen: die Hände in den Schoß zu legen, weil es Gott schon richten wird – wie es genauso wenig heißen kann: Nur auf mein Tun kommt es an. Wir sind alle gerufen, unsere Kräfte, unsere Fähigkeiten, unser Herz einzusetzen, so gut wir können, aber das mit einem großen Vertrauen zu verbinden.
Ich für meinen Teil versuche das auch so zu handhaben. Seit Jahren setze ich mich mit viel Kraft und ganzem Herzen für die Seelsorge ein, habe viel Freude an dieser, meiner Arbeit und versuche auch, diese Freude weiter zu schenken. Ich habe dabei gelernt, das II. Vatikanische Konzil insofern umzusetzen, dass die Kirche keine von der Außenwelt abgeschottete Burg ist, sondern dass sie durchaus von der Welt lernen kann. Ja, wir können als Kirche und Gemeinde auch von Menschen lernen, die nicht bei uns beheimatet sind, und wir können und müssen uns auch der Menschen annehmen, die unsere Hilfe brauchen, auch wenn sie nicht unser Gesangbuch tragen. Aber trotz all diesem Engagement mache ich für mich immer wieder neu die Erfahrung: Es wird für uns als Kirche alles weniger. Der Glaube schwindet und unser Kreis, unsere Gemeinde wird immer kleiner. Daran könnte man, daran könnte ich und mit mir sicherlich viele Kolleginnen und Kollegen verzweifeln. Aber ich habe auch schon vor Jahren durch meinen Begleiter in der Ausbildung zum Diakon, Vaterabt Laurentius Hoheisel, gelernt, wie ich damit umgehen kann. Und er sagte mir damals: „Sag jeden Abend zu Gott: Herr, es ist deine Kirche. Du weißt, ich wirke gerne in ihr und ich bemühe mich mit all den Kräften und Fähigkeiten, die du mir geschenkt hast. Aber ich muss die Menschen nicht erlösen, das hast du schon getan.“
So will ich auch weiterhin in tiefem Vertrauen mein Leben, meine Beobachtungen und Sorgen vorbehaltlos auf Gott werfen und ihn – nicht nur in der Feier der Eucharistie bitten: „Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehest unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, dann wird meine Seele gesund.“ Amen.

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Erstellt am: 02.06.2013 08:38 Uhr

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