Predigt zum 7. Sonntag im Jahreskreis 2014 (23.02.)

L I: Lev 19, 1f.17f / Ev.: Mt 5, 38-48
Schwestern und Brüder!
„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – „Wie du mir, so ich dir!“ Wem von uns sind solche Regungen in seiner Seele wirklich fremd? Wir sind empört über das Unrecht, das uns jemand angetan hat und denken: „Dem zahle ich es heim!“ Ist das nicht eine ganz natürliche Reaktion auf eine erlebte Boshaftigkeit? Soll ich mir alles gefallen lassen, immer alles nur schlucken? Soll ich wirklich die andere Wange hinhalten und so dem anderen noch etwas geben, obwohl er mir doch etwas angetan oder genommen hat? Soll ich mich ausnützen lassen und so der Bosheit noch mehr Raum geben? Wenn wir uns gegen das Böse nicht wehren, ja schießt es dann nicht unkontrolliert ins Kraut? „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt…“ – Worte aus einer anderen Zeit, Worte wie von einem anderen Stern.
Selbst bei einem Mann wie Alexander Solschenizyn ist in seinem Buch „Archipel Gulag“, in dem er seine Gefühle in Stalins Straflager beschreibt, zu lesen: „Den Spitzeln das Messer in die Brust bohren! Messer schmieden und auf Spitzeljagd gehen – Das ist es! Jetzt, da ich dieses Kapitel schreibe, türmen sich auf den Regalen über mir humanitätsschwere Bücher und blinken mir mit ihren mattschimmernden, gealterten Einbänden vorwurfsvoll zu. Man darf nichts in der Welt durch Gewalt zu erreichen suchen! Wer zum Schwert, zum Messer, zum Gewehr greift, wird nur zu rasch seinen Henkern und Bedrückern gleich. Und der Gewalt wird kein Ende sein … Hier am Schreibtisch, im warmen, sauberen Wohnzimmer bin ich völlig einverstanden. Doch wer grundlos zu 25 Jahren Lager verdammt wird, wer seinen Namen verliert, … täglich bis zur Erschöpfung robotet … für den hören sich alle Reden der großen Menschenfreunde wie das Geschwätz satter Spießer an…“
Fast schon erschreckend, wie Solschenizyn hier schreibt. Dabei will er ja alles andere, als der Vergeltung und der Rache das Wort reden. Meine ich zumindest, weil er diese Konsequenz auch in der Zeit seines Straflagers nie gezogen hat. Doch wir müssen einfach feststellen: Es gibt verdammt schreckliche Abgründe menschlicher Bosheit und Gemeinheit, so schrecklich und abstoßend, dass einen manchmal der pure Zorn überkommt. Sollten wir also die schönen Worte Jesu von der Feindesliebe nicht besser einfach ad acta legen? Sie abheften unter der Rubrik „Schöne Sonntagsreden“, Abteilung „Naives“?
Damit würden wir es uns nun aber wirklich zu einfach machen, meinen Sie nicht auch? Schließlich gehört es ja auch zu unserer aller Erfahrung – sei es nun im politischen wie im privaten Bereich: Jeder Schlag provoziert einen Gegenschlag, jedes böse Wort ein weiteres böses Wort, und wenn niemand bereit ist, aus diesem Teufelskreis von Rache und Vergeltung auszuscheren, ihn einfach zu stoppen oder nicht länger mitzumachen – wenn dazu niemand bereit ist, dann steht am Ende eben immer nur die Zerstörung. Was haben denn all die Kriege außer Unheil wirklich gebracht? Wir erinnern uns in diesem Jahr an den 1. Weltkrieg, der vor 100 Jahren seinen Anfang nahm. Auch die Schrecken des 2. Weltkrieges sind nicht vergessen. Wir blicken in den Irak, nach Afghanistan, nach Syrien, in die Ukraine. Was hat alle Gewalt erreicht? Das Mitmenschliche wurde bis in den tiefsten Kern zerstört und fordert deswegen einen Terroranschlag nach dem anderen heraus. Im Krieg gewinnt nur einer, so heißt es, das ist der Tod. Die Zahl der Toten in den aufgezählten Konflikten lässt sich kaum benennen. Rund 140.000 sind es allein in Syrien. Dass wir uns nicht falsch verstehen: Wir haben im Kleinen wie im Großen für die Freiheit und die Bürgerrechte anderer Menschen einzustehen, haben eine Mitverantwortung, für deren Leib und Leben. Aber eben keinesfalls mit Gewalt!
Dass dies möglich ist, das zeigt für mich das Beispiel des Wiener Seelsorgers Klemens Maria Hofbauer, von dem folgendes Ereignis glaubwürdig überliefert ist: Hofbauer, der im frühen 19. Jahrhundert in Wien tätig war, wollte ein Obdachlosenheim bauen und sammelte dafür Geld. Dabei ging er auch in die Wiener Kaffeehäuser und hielt dort den Gästen immer wieder seinen Hut hin. Einmal geriet er dabei an einen Mann, der eine Stinkwut auf die Kirche und auch sein Bodenpersonal hatte. Wieso und warum auch immer. Dieser Mann fuhr den bettelnden Seelsorger an: „Wie kommen Sie dazu, mich um Geld zu bitten?“, und spuckte ihm direkt ins Gesicht. Hofbauer nahm ein Taschentuch, wischte sich die Spucke ab und sagte: „Das war für mich und die Kirche; aber jetzt geben Sie mir bitte noch etwas für meine Armen!“ und hielt ihm den Hut erneut hin. Der Mann war darüber so perplex, dass er seinen ganzen Geldbeutel in den Hut warf.
Das ist es, wozu Jesus einlädt: Nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, sondern den anderen durch eine warmherzige Großzügigkeit quasi „überholen“. Dabei gilt: Jesus fordert nicht, sondern er lädt ein. Er zeigt uns einen Weg aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt, von Schmach und Vergeltung. Darum ist die Bergpredigt, die erste Rede Jesu im Matthäusevangelium, eben wirklich auch etwas ganz Neues. Der Verfasser lokalisiert sie auf einem Berg, so wie die Zehn Gebote auch von einem Berg kommen. Aber jetzt geht es eben nicht mehr um ein „Du sollst“ „Du musst“, oder auch „Du sollst nicht“, sondern jetzt heißt es: „Probiere es aus“, „Riskiere es“, dann tun sich ganz neue Möglichkeiten des Miteinanders auf. Das gilt auch für die Feindesliebe – und faszinierend ist für mich, wie Jesus sie begründet. Eben nicht als moralische Weisung, nicht als verzweifelten Anruf angesichts der Gewalt in unserer Welt, sondern weil wir alle Kinder Gottes sind. Er lässt die Sonne aufgehen über allen Menschen, über Guten und Bösen – und: Niemand, aber auch gar niemand, steht außerhalb der vergebenden
und barmherzigen Liebe Gottes.
Bleibt also für Sie und mich die Frage zu klären: Wie kann ich diesen großen Schatz der Worte Jesu in das Kleingeld meines Alltags ummünzen? Gelingt es der Gemeinschaft der Christen, gelingt es uns, diese Weisungen wirklich zu unserem Programm zu machen und dadurch ein anderes, ein besseres Leben und Zusammenleben zu praktizieren?
Bei all diesen Überlegungen reift in mir die Überzeugung: Wenn ich mich den Herausforderungen Jesu wirklich ganz offen und ohne Einschränkung stelle, dann gelingt es mir vielleicht doch ab und zu, den dritten Weg zu finden; den Weg, den ich an Stelle von Resignation oder Gegenschlag eben auch gehen kann – den Weg des gewaltlosen Widerstandes gegen Unrecht, Beleidigung und Verletzung. Wenn ich mir die konkreten Beispiele Jesu unter die Haut gehen lasse, dann entdecke ich vielleicht auch in meinem Leben Situationen, in denen ich die Möglichkeiten meiner Liebe, meines Zugehens auf die anderen immer wieder unterschätze oder noch gar nicht genügend ausschöpfe.
Deshalb möchte ich mich durch die Weisungen der Bergpredigt provozieren lassen, nach kleinen Spuren der Gewaltspirale in meinem eigenen Leben zu suchen – z.B. wo kleine Unaufmerksamkeiten von anderen in mir eine Kettenreaktion auslösen; wo diese Vorurteile in mir entstehen lassen oder sogar in Aggressionen umschlagen; wo sich dann versteckte Antipathien und auch Aversionen hochschaukeln bis hin zur ganz offensichtlichen Ablehnung oder sogar zum offenen Streit. Oder wo in mir bereits bloße Vermutungen schon zu ganz bösen Unterstellungen eskalieren.
Ich möchte mich durch die Weisungen der Bergpredigt auch provozieren lassen, anderen ihre Andersartigkeit zuzugestehen. Ich will nach dem Hintergrund eines mir unverständlichen Verhaltens fragen, und zwar bevor ich irgendwelche Spekulationen anstelle. Ich will versuchen, mich in andere hineinzuversetzen, um ihre Erfahrungen, Motive oder auch Ängste kennenzulernen und sie und ihre Handlungsweise so besser zu verstehen. Und ich will auch bei schwierigen und unbequemen Menschen nach wertvollen Eigenschaften und ihren – zweifellos vorhandenen – positiven Seiten suchen.
Ich möchte mich durch die Weisungen der Bergpredigt provozieren lassen, dass ich Besinnungspausen einlege, wenn ich spüre, dass Konflikte sich verschärfen; ich möchte mich zu einem freundlichen Wort auch für den motivieren lassen, von dem ich selbst keines erwarte; und ich will mich zu einem genaueren Hinhören ermuntern, damit ich aus manchen harten und feindseligen Bemerkungen eben auch die oft vorhandenen und versteckten Hilferufe oder Bitten um Zuwendung herausfiltern kann.
Gute Vorsätze, ich weiß; und das alles wird viel Arbeit für mich sein. Mir ist bewusst, wie weit der Weg zur Vergebung oft ist – auch für mich. Und vieles, das müssen wir, das muss ich mir eingestehen, geht eben nicht von heute auf morgen. Da braucht es manchmal lange Zeit, um Enttäuschungen und Verletzungen zu verarbeiten. Und bei all dem spüre ich: Der Glaube an den liebenden und barmherzigen Gott, der ist doch noch längst nicht so tief in mich eingedrungen, wie ich mir das wünsche. Trotzdem sollte uns – Ihnen und mir klar sein – irgendwann müssen wir einen Anfang setzen. Müssen wir anfangen und begreifen, wie sinnlos und zerstörerisch Feindschaft und Abneigung sind und wie wenig sie zu unserem Glauben und der frohen Botschaft Jesu passen. Also: Versuchen wir, die alten Wege zu verlassen, die Liebe zu bedenken und mit ihr den Hass zu überwinden. Dann fangen wir neu an und dann berühren sich auch in unserem Verhalten Himmel und Erde. Amen

Infos unter:

Erstellt am: 24.02.2014 10:19 Uhr

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