Lesung: Apg 7, 55-60 / Evangelium: Joh 17, 20-26
Schwestern und Brüder!
Die Worte aus dem eben gehörten Evangelienabschnitt des Johannes: „Alle sollen eins sein…“, diese Worte verstehen wir heute ganz automatisch und eindeutig in einem ökumenischen Sinne. Dabei vergessen wir aber nur allzu oft, dass man sie genauso gut persönlich, wie auch gesellschaftlich und politisch verstehen kann. So war zum Beispiel die Vollendung der deutschen Einheit über viele Jahre eine ganz zentrale Aufgabe der deutschen Politik. Und es sind dabei ja auch wirklich immense Fortschritte gemacht worden – wer wollte das bezweifeln. Umso skurriler wirkt da aber der Streit, der in den letzten Tagen und Wochen in den Medien Einzug gehalten und uns per Internet sogar hier auf Teneriffa erreicht hat. Ich rede vom sogenannten „Berliner Spätzle- oder auch Schwabenstreit“, wie er in vielen Internetportalen und Printmedien auch genannt wird.
Alles fing damit an, dass Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sich über die Schwaben in seinem Berliner Wohnbezirk „Prenzlauer Berg“ mokierte; besonders über ihre anscheinend fehlende Bereitschaft, sich – nach seinem Dafürhalten – in die Stadt zu integrieren. Fest machte er seine Gedanken daran, dass es in vielen Backstuben seines Wohnviertels auf einmal nur noch „Weckla“ und keine „Schrippen“ mehr gäbe. Daraufhin wurde ihm zur Karnevalszeit ein Preis verliehen, der sonst nur Baden-Württembergern vorbehalten ist: Die „Goldene Narrenschelle“, ein Preis der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte. Mit durchaus ironischen Worten an die eigene Adresse, hat er diesen Preis in Rust entgegengenommen und damit – so sollte man annehmen – war es dann auch genug. Aber die Eskalationsschritte in Berlin gingen weiter, auch wenn sie oft sehr humoristische Züge trugen: Da wurden Straßenschilder am „Prenzlauer Berg“ mit aufgeklebten Buchstaben „eingeschwäbelt“. So wurde aus dem Kollwitzplatz, das „Kollwitzplätzle“ und zu kaufen gab es fortan auch die „Käthe Kollwitz-Spätzle.“ Bei so viel Schwabenslang im alten Berlin ist es nicht verwunderlich, dass aus so manchem Fenster Transparente hingen, zum Beispiel dergestalt: „Currywurst statt Spätzle.“ Was so eigentlich recht erheiternd und lustig klingt, ist zwischenzeitlich allerdings so ausgeartet, dass man von einer Grenzüberschreitung sprechen muss. Denn in einem Flugblatt wird seit geraumer Zeit offen gegen Schwaben gehetzt: „Gierig, geldgeil und ohne Skrupel“, so heißt es da, falle der Schwabe „wie Ungeziefer über unschuldige Berliner her“ und zwinge sie unter seine Gewaltherrschaft. Der Schwabe habe seine Klauen am Weltmarkt und bedrohe nun auch noch die kulturelle Identität des Berliner Kiezes. Dann folgt ein Boykottaufruf, der an den Anfang jener unseligen Zeit der Nationalsozialisten erinnert: „Kauft nicht bei Schwaben!“ Geschlossen wird das Flugblatt mit der Aufforderung, Schwaben von Nichtschwaben zu separieren.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt schon geraume Zeit, was denn – um alles in der Welt – diese Posse mit dem heutigen Evangelium zu tun hat. Aber ich meine, dass im Licht dieses Geschehens die konfessionelle Ökumene zwischen Protestanten und Katholiken doch gar nicht so schlecht da steht. So feierte letzte Woche der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, den Eröffnungsgottesdienst auf dem Hamburger Kirchentag mit und leitete einen Bibelkreis; katholische Gemeinden in Hamburg stellten ihre Kirchen und Pfarrzentren für Veranstaltungen zur Verfügung. Doch bevor wir uns nun schulterklopfend zurücklehnen im Bewusstsein, was doch die Ökumene schon alles erreicht hat, sollten wir uns doch noch einmal Auszüge des heutigen Evangeliums vor Augen führen:
„Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, da
mit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast…Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir
eins sind, ich in ihnen und du in mir…“
Diese Verse aus der sogenannten Abschiedsrede Jesu werden heute, wie
eingangs erwähnt, immer sofort mit einem „ökumenischen Akzent“ gelesen und gedeutet. Das hat auch Papst Benedikt XVI. vor zwei Jahren in Erfurt so getan, ohne dabei aber weitere Zeichen der Einheit zu zulassen, als eben jene, die uns allen schon hinlänglich bekannt sind. Dass uns bei diesen Worten Jesu primär das Bild der getrennten Christenheit durch den Kopf geht, liegt auf der Hand. Schließlich haben die Trennung und der Streit der Konfessionen viel Leid in diese Welt gebracht und sie sind bis heute ein immenses Ärgernis und eine unsagbare Last – vor allem für konfessionsverschiedene – ich für meinen Teil möchte lieber sagen: konfessionsverbindende Paare. Dass wir deshalb mit Jesus um die Einheit der Christen bitten und nach immer neuen Wegen zur Einheit oder zumindest zu einer spürbaren Annäherung suchen sollten, das ist nicht nur das Gebot der Stunde, sondern das ist sein Auftrag, der Auftrag Jesu an uns.
Lassen Sie mich aber trotzdem eine, in Ihren Ohren vielleicht „ketzerische“ Anmerkung machen – und zwar dahingehend, dass ich es für einen Ausdruck christlicher Selbstüberschätzung halte, dass nun von einer gelungenen Ökumene das Wohl der Welt abhängen würde. Frei nach dem Motto: Die Welt glaubt dann an Jesus Christus, wenn wir Christen untereinander endlich eins sind. Das aber, Schwestern und Brüder, halte ich schlicht und ergreifend für frommes Wunschdenken. Und ich glaube auch nicht, dass Jesus das einzig und allein so gemeint hat. Denn es ist ja nicht nur die fehlende Einheit der Christen, die vielen Menschen auf der Seele lastet, sondern da kommen noch ganz andere Trennungserfahrungen dazu: zum Beispiel die Kluft zwischen den Generationen und das Ringen um Generationengerechtigkeit; die stetig weiter auseinandergehende Schere in Arm und Reich; die fehlenden Perspektiven vieler junger Menschen im europäischen Raum – und natürlich die ganz persönlichen Trennungserfahrungen in der eigenen Partnerschaft, in Ehe und Familie.
Dabei ist die vielleicht schlimmste Erfahrung fehlenden Eins-Seins die eigene Zerrissenheit. „Ich fühle mich hin- und hergerissen!“ Viele Menschen empfinden das so und die Gründe dafür sind vielfältig. Fakt ist aber, dass es noch nie so viele psychische Erkrankungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gab, wie dies heute der Fall ist. Viele finden sich in dieser Welt nicht mehr zurecht; vieles ist ihnen zu kompliziert und manches Mal wird ihnen alles zu viel. Übrigens bilden Christen da keine Ausnahme. Nein vor der Erfahrung von Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit sind auch wir nicht gefeit – auch wenn es sich nicht gleich zu einer psychischen Erkrankung entwickeln muss. Aber eng damit verbunden ist die Erfahrung des Alleinseins, des Verlassenseins, auch von Gott – eine Erfahrung übrigens, die auch den Frauen und Männern der ersten christlichen Gemeinden nicht fremd war, wenn wir an den Himmelfahrtstag zurückdenken.
Lassen Sie mich aber noch einmal zu dem Berliner Schwabenstreit zurückkommen. Er hat ja – in meinen Augen – durchaus ernste Ursachen, nämlich das Gefühl, nicht mehr beheimatet zu sein und die Orientierung zu verlieren. Hinzu kommen wirtschaftliche Ängste, dass finanziell Stärkere die Miet- und Immobilienpreise so in die Höhe treiben, dass ein Wohnen dort für viele nicht mehr bezahlbar ist. Natürlich entstehen dadurch verständliche Ängste. Aber Ängste erzeugen immer Ausgrenzung, bis hin eben zu jenem geschmacklosen Flugblatt. Dass das Gefühl eigener Überlegenheit und der Wunsch, andere auszugrenzen im extremsten Fall auch zu schrecklicher Gewalt führen kann, das wird uns in diesen Tagen noch einmal drastisch vor Augen geführt durch den Auftakt des sogenannten NSU-Prozesses.
Den Stand gewalttätiger Auseinandersetzungen haben die Konfessionen – Gott sei’s gedankt – schon lange hinter sich gelassen. Dass es aber trotzdem in der Ökumene in den letzten Jahren so langsam vorangeht, das mag mitunter auch mit Angst zu tun haben: mit der Angst, das eigene Profil oder die religiös-vertraute Heimat zu verlieren. Ob solche Ängste nun rational oder irrational sind, das steht für mich erst an zweiter Stelle – aber wir müssen sie auf jeden Fall ernst nehmen.
Und was könnte nun gegen solche Ängste oder gegen das beschriebene Gefühl der Zerrissenheit und des Alleinseins helfen? Es gibt wohl kein Patentrezept dafür. Aber vielleicht hilft uns ein Blick auf Jesus selbst. Wenn wir mit ihm eins sein wollen, wie er mit dem Vater eins ist, dann hat das nichts mit Geboten oder Verboten zu tun. Nein, es hat vielmehr damit zu tun, dass ich mich ihm mit allen Höhen und Tiefen meines Lebens anvertraue, mit allen Ängsten und mit allem, was sich in meinem Leben als Frage oder auch als innere Zerrissenheit auftut. Er, der sich am Kreuz für mich zerrissen hat, wird mir beistehen, weil er will, dass es mir gut geht. Vielleicht ist das für mich nicht immer gleich sichtbar, aber in der Begegnung oder in der Gemeinschaft mit Menschen, die dies genauso tun und erbitten, mehr und mehr erfahrbar. In diesem Sinne lasst uns angstfrei auf ihn vertrauen und um seinen Geist der Liebe, der Zuneigung und der Zuwendung immer wieder neu bitten.
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Erstellt am: 13.05.2013 11:02 Uhr