L I: Sir 15, 15-20 / Ev.: Mt 5, 17-37 (Kf)
Schwestern und Brüder!
In einem 1975 – wohlgemerkt mit kirchlicher Druckerlaubnis – herausgegebenem Katechismus heißt es: „Die Anweisungen in der Bergpredigt sind nicht wörtlich zu nehmen, weil das – sowohl im privaten wie im öffentlichen Leben – zu unhaltbaren Zuständen führen würde.“ Da fragt man sich doch glatt: ja, geht’s noch? Kann man es sich wirklich mit dem Wort Gottes so einfach machen? Ich denke nicht, und deshalb möchte ich Sie einladen, dass wir die Bergpredigt Jesu denn auch so ernst nehmen, wie sie im Evangelium steht und wie wir sie eben gehört haben. Und da meint Jesus, muss unsere Gerechtigkeit – also der Menschen die ihm nachfolgen – doch eine weit größere sein, als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Wobei größer jetzt hier nicht im Sinne von Quantität zu verstehen ist – also dass wir noch mehr leisten müssten als die Schriftgelehrten, um uns den Himmel tatsächlich zu verdienen -, sondern im Sinne einer anderen Qualität von Gerechtigkeit. Eine Gerechtigkeit, die Gutes tut, nicht weil es uns in irgendeiner Form abverlangt wird, sondern weil sie uns und anderen gut tut und weil sie schlussendlich die einzig angemessene Reaktion auf die uns geschenkte Güte und Zuneigung Gottes ist. Eine Gerechtigkeit, die nicht nur danach fragt, was der andere verdient hat, sondern die vielmehr ins Auge fasst, was der andere braucht und was seiner Situation angemessen ist und gerecht wird.
So betrachtet benötigen wir aber im Sinne Jesu eine neue Optik, eine neue Blickrichtung und auch eine neue Perspektive. Oder anders gesagt: Unser Denken muss uns wegführen von der Frage nach dem Erlaubten – hin zur Frage nach dem Not-wendigen! Was ich damit sagen will? Nun ich denke, dass Jesus sehr wohl weiß, dass wir Menschen Gebote und Regeln brauchen, um sinnvoll und friedlich miteinander zusammenleben zu können. Aber er sieht eben auch, wie gefährlich es ist, nur auf diese Gebote zu starren, sich an sie zu klammern und von ihnen dann ein erfülltes Leben zu erwarten. Natürlich sagt mir das Gesetz auf der einen Seite, was ich nicht tun darf, damit Leben nicht behindert oder gar zerstört wird. Das ist einerseits wichtig, aber weitaus wichtiger ist doch die Suche nach dem, was das Leben erst richtig zur Entfaltung bringt. Oder anders gedacht: Das Gesetz sagt mir zwar, wie viel Schlechtes gerade noch erlaubt ist und das zu wissen ist sicherlich nicht verkehrt. Aber weitaus wichtiger ist doch, mir Gedanken darüber zu machen, wie viel Gutes mir jetzt schon möglich ist.
Im Klartext heißt das für mich: Ein Gesetz das Töten verbietet, sichert zwar ein staatlich formulierbares Minimum an Gerechtigkeit, aber es wird der Vielfalt und der Eigendynamik menschlicher Konflikte und menschlichen Unfriedens noch lange nicht gerecht. Bereits da, so sagt Jesus, wo ich über den anderen Böses denke und rede; schon da, wo ich jemanden anderen verachte und nicht erst dann, wenn ich sein Lebensrecht missachte, beginnt meine eigene Ungerechtigkeit und da fängt das Gift in meiner Seele an sich zu vermehren, so wie Salmonellen in verdorbenen Speisen. Und das soll nun weltfremd und unrealistisch sein? Zeugt das nicht viel mehr von einer hervorragenden Menschenkenntnis, wenn Jesus uns den Rat gibt, Hassgefühle schon an der Wurzel anzupacken und zwar lange, bevor der Konflikt eine ganz eigene Dynamik entwickelt? Und spüren wir nicht bisweilen selber, wie recht Jesus damit hat, wenn er darauf hinweist, dass eine Gottesverehrung nicht viel bewirken kann, solange wir unversöhnt mit anderen hier zur Feier des Gottesdienstes erscheinen und womöglich gleichermaßen unversöhnt wieder zur Kirchentüre hinaus gehen und in die alten Querelen zurückkehren?
Genauso spüren wir doch auch, dass Ehebruch nicht erst dort beginnt, wo
jemand seinen Lebenspartner im Bett gegen einen anderen austauscht? Hat die Liebe gegenüber der Partnerin/dem Partnerin nicht schon lange aufgehört, wenn sich eines von beiden innerlich zurückgezogen hat; sich nicht mehr mit dem anderen austauscht und keines von beiden mehr bereit ist, wirklich Neues und Überraschendes am je anderen zu entdecken? Eine Trennung oder Scheidung ist doch schlussendlich nur der traurige Höhepunkt einer Entfremdung, die schon lange vorher im Denken und Fühlen der beiden Betroffenen eingesetzt hat.
Verweilen wir aber ruhig noch ein wenig bei diesem sechsten Gebot. Es ist für mich hochinteressant und auch sehr aufschlussreich, dass in unserer Kirche dieses Gebot viel zu lange als das nahezu wichtigste der Gebote angesehen wurde. Die Scharfmacher unter den Verkündern kirchlicher Moraltheologie, die beriefen sich immer mit gutem Gewissen auf die anscheinend von Jesus so verschärfte Auslegung dieses Gebotes, wie wir es im Evangelium vernommen haben. Und auch heute berufen sich wieder viele Amtsträger und streng Konservative unserer Kirche auf genau diese Stelle, wenn wir jetzt an die Diskussion denken, ob man nicht doch einen barmherzigeren und offeneren Umgang mit wieder verheirateten Geschiedenen praktizieren könnte. Nur frage ich mich: Wenn man – wie eingangs erwähnt – 1975 im Katechismus der Bergpredigt unterstellt hat, dass man sie nicht für voll nehmen und praktizieren kann und wenn man nur einen Vers weiter, wo es um den Eid geht, sich wiederum nicht an ihr orientiert, ja warum dann gerade bei der Ehescheidung oder Neuvermählung einstmals Verheirateter? Im Übrigen sei einfach am Rande erwähnt, dass die Kirche das Schwören und den Eid zum Normalfall ihrer Amtsverpflichtung gemacht hat; denken wir nur an den Treue-Eid den Amtsträger leisten müssen. Also ist sie doch sehr wohl darin geübt, die Forderungen Jesu, seine Weisungen oder auch mutmaßlichen Verschärfungen in der Bergpredigt zu entschärfen oder sie zumindest unterschiedlich auszulegen und anzuwenden. Warum aber bleibt der Bereich von Ehe und Sexualität so hartnäckig strafbewehrt? Die Antwort kann nur lauten: Weil die menschliche Geschlechtlichkeit in der Kirche immer noch als das große Einfallstor des Bösen gesehen wird und weil es in ihr eine problematische Engführung der Sexualität rein auf die Zeugung neuen Lebens hin gibt. Hier hat sich das kirchliche Lehramt, wie auch die große Umfrage jetzt gezeigt hat, ganz gewaltig vergaloppiert. Auf jeden Fall haben wir es jetzt schwarz auf weiß, dass sich in diesem Bereich selbst die heute noch Kirchentreuesten nicht mehr an die vatikanischen Vorgaben halten bzw. sich danach ausrichten. Allerdings ist das Ganze nicht unproblematisch, wie ein Journalist einer Kirchenzeitung es mal mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht hat: „In dem Maße, in dem die Leute spüren, dass die Kirche in sexuellen Dingen ahnungslos daherredet, Unvernünftiges behauptet und Unrealistisches fordert, wenden sie sie auch von anderen Perspektiven des Religiösen und Kirchlichen ab. Der Glaube verliert dann nicht nur äußerliche Autorität, sondern innere Glaubwürdigkeit. Deshalb ist das kirchliche Drama auf dem Feld des Sexuellen auch ein Drama für das gesamte Christsein. Die Entfremdung und Ablösung vom Christentum – auch und gerade junger Menschen – beginnt meistens hier.“ Dieser Aussage kann ich mich nur anschließen und ich meine, es ist ihr nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen.
Doch wenden wir uns noch einmal dem heutigen Evangelium zu: Wenn Jesus fordert, dass unsere Gerechtigkeit größer sein soll, als das Rechtsdenken der Theologen und der frommen Phariäser, dann geht es ihm nicht um eine Verschärfung der Thora, also der alttestamentlichen Normen, sondern es geht ihm um deren Überbietung oder auch Überwindung. Die größere oder die neue Gerechtigkeit, wie Jesus formuliert, die ist aber nicht per Gesetz zu erreichen oder zu regeln – sondern einzig und allein durch Liebe. Diese Liebe zu Gott, zu den Mitmenschen und zu uns selbst, die soll das Grundgesetz unseres Lebens und Handelns sein. Und diese Liebe wird allüberall dort spürbar, wo wir einander in Achtung begegnen, weil wir auch in dem, der uns nicht gleich sympathisch erscheint, das Ebenbild Gottes erkennen; sie wird spürbar, wo wir mit Großzügigkeit die Liebe weiter verschenken, mit der Gott uns tagtäglich beschenkt und wir dabei spüren, dass uns dieses Schenken nicht ärmer, sondern reicher macht; diese Liebe wird dort spürbar und erfahrbar, wo wir einander ehrlich und unverstellt begegnen, weil wir uns von Gott so angenommen wissen, wie wir sind und weil wir es deshalb nicht nötig haben, einander etwas vorzumachen; oder auch dort, wo wir ohne Neid und Habgier auf einander schauen, weil wir alles haben, was wir zum Leben brauchen und wir uns nicht auf Kosten anderer bereichern müssen; und sie ist spürbar, wo wir einander immer wieder verzeihen, weil wir selber verloren wären, wenn Gott uns nicht mit Erbarmen begegnen würde.
Und nicht zuletzt wird sie dort für uns spürbar, wo Gottesdienst und Gebet uns dazu dienen, dass wir in unserer Beziehung zu ihm Kraft und Orientierung finden, Befreiung und Lebensfreude.
So gesehen aber macht christlicher Glaube nicht klein und unmündig, und ich muss als Christ auch nicht in ständiger Angst leben, ja nicht irgendwelche Gebote zu übertreten, für die ich mich dann anschließend verantworten muss. Genauso wenig will unser christlicher Glaube sogenannte Sündenkataloge konstruieren, die Menschen verurteilen und ausgrenzen. Nein, christlicher Glaube will – und davon bin ich im Tiefsten meines Herzens überzeugt –, dass bei uns Christen die Liebe das oberste Prinzip unseres Denkens und vor allem unseres Handelns sein soll; gemäß dem wunderschönen Wort des Hl. Augustinus: „Liebe – und dann magst du tun, was du willst.“ Amen.
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Erstellt am: 16.02.2014 19:37 Uhr