Predigt zum 6. Sonntag im Jahreskreis 2012

 

L I: Lev 13, 1f, 43-46 / Ev.: Mk 1, 40-45

Schwestern und Brüder!

Als ich mich mit dem heutigen Evangelium beschäftigt habe und da vor allem mit der Frage, was Markus Ihnen und mir denn mit dieser Aussätzigen-heilung sagen will, da fiel bei mir der Groschen erst in dem Moment, als mir die Frage durch den Kopf ging: Wie wäre denn eine Begegnung verlaufen, wenn der Mann nicht Jesus, sondern einem ganz „normalen“ Menschen, also jemandem wie Ihnen oder mir begegnet wäre? Vielleicht hörte sich dann die Erzählung folgendermaßen an:

„In jener Zeit kam ein Aussätziger zu einem Menschen und bat ihn um Hilfe; er fiel vor ihm auf die Knie und sagte: „Wenn du willst, dann kannst du es bewerkstelligen, dass ich rein werde.“ Der Mensch sah den Aussätzigen – und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Vor ihm stand ein Mann mit verfärbter Haut, voller Geschwüre und bedeckt von oben bis unten mit eitrigen Wunden. Sein Gesicht war entstellt, seine Sprache nur schwer verständlich. Sein Anblick war eine Zumutung – und der Mensch musste all seine Beherrschung zusammennehmen, um nicht einen Schritt rückwärts zu gehen oder sich gar ganz abzuwenden. Doch er nahm sich zusammen, schluckte und streckte dann seine Hand aus, um den Aussätzigen zu berühren. Doch da war der schon zurückgewichen und schleppte sich mühsam fort, um den Menschen nicht länger mit der Zumutung seiner Gegenwart zu belasten.“
Ja, so also hätte es laufen können, wenn der Aussätzige einem ganz „normalen“ Menschen, wenn er einer oder einem uns begegnet wäre. Das Wort „Aussatz“ beschreibt in der Bibel ein schreckliches Leiden und die Lesung aus dem Alten Testament hat uns mehr als deutlich geschildert, welche Konsequenzen diese Krankheit schlussendlich für die Betroffenen hatte. Sobald jemand Anzeichen dieser Krankheit in sich zu verspüren meinte oder wenn gar schon kleine Schwellungen am Körper zu entdecken waren, musste der oder die Betreffende zum zuständigen Priester gehen, die gemachten Beobachtungen schildern und die Schwellungen und Gebrechen zeigen. Und dann? Dann wartete der betreffende Mensch ängstlich auf die Diagnose. In dem Satz, denn er dann zu hören bekam, lag nun – übertragen gesprochen – seine Zukunft oder auch sein Todesurteil. Wird es der Satz für sein „Aus“ sein? Sein „Aus“, d.h. ausgeschlossen aus Familie und Gemeinde; ausgeschlossen von jedem zwischenmenschlichen Kontakt, jeder Berührung und jeder Umarmung. Oder anders gesagt: Fortan war diese Person ausgeschlossen von jeglichem menschenwürdigen Leben.
Wenn nun er oder auch sie diesen „Aus“-Satz hörte, wurde dieser Mensch ausgesetzt, vor die Tür gesetzt, aus der Gemeinschaft der Lebenden verbannt. Man könnte auch sagen, die betreffende Person war so gut wie tot. Immer dann, wenn andere Menschen in die Nähe eines Aussätzigen kamen, musste dieser laut hörbar kundtun oder besser gesagt androhen: „Unrein, unrein!“Das hieß nichts anderes als: Vorsicht vor mir! Ich bin ausgesetzt, todkrank und auch den Tod bringend und deshalb allüberall dort unerwünscht, wo gesunde Menschen sich aufhalten. Ich warne also vor mir selbst, um eine Ansteckung anderer zu vermeiden; das Gesetz verpflichtet zu einer solchen Vorgehensweise. So kamen also zu den Schmerzen, wenn die Gliedmaßen langsam verfaulten, auch noch die Einsamkeit und die Verlassenheit hinzu. Der Kranke war allein mit seiner Krankheit und er war vor allem auch allein mit seinem Ringen mit Gott und der Frage: Warum? Warum, Gott, werde ich so von dir bestraft?
Genau in einer solchen Situation befindet sich nun auch der Aussätzige, der Jesus und uns im heutigen Evangelium begegnet. Auch er ruft Jesus das „unrein, unrein“ zu, aber er sagt auch, was er diesem Menschen, der da auf ihn zukommt, was er Jesus zutraut: „Wenn du willst, dann kannst du diesen „Aus“-Satz zurücknehmen; du kannst Gemeinschaft mit mir aufnehmen, mich wieder integrieren, mich wieder hineinnehmen in die schützende Mauer der Stadt, den Kreis der Familie, in menschliche Verhältnisse und herzliche Beziehungen. Und was tut Jesus? Er überwindet seine Berührungsängste, sein Warnsystem, welches er sicherlich auch im Hinterkopf hatte, geht beherzt auf den Kranken zu und sagt zu ihm: ICH WILL ES! Und das Wunder passiert. Der Aussätzige wird rein, lebensfähig und lebendig, weil er wieder mit Menschen kommunizieren kann.
Gut, vielleicht denken Sie jetzt: Jesus konnte das – als Sohn Gottes konnte ihm ja schließlich auch nichts passieren. Aber ein Franz von Assisi, eine Mutter Teresa und viele andere, die auch „nur“ Menschen waren wie Sie und ich, die bestätigen doch alle dasselbe: Wir Gesunden heilen und helfen anderen zur Genesung, wenn wir ihnen in Liebe und Zuneigung begegnen. Gerade deshalb ist es aber wichtig, dass wir uns unserer Rolle, in der wir uns befinden oder in die wir uns manchmal hineinmanövriert haben, nur wirklich auch bewusst werden. Was ich damit meine? Nun, wie oft sind wir in der Rolle der Priester des Alten Testamentes und sprechen über andere den „Aus“-Satz? Wir müssen doch nur mal ehrlich auf unser eigenes Leben schauen: Da schließen oder grenzen wir doch immer wieder Menschen aus unserem und dem Leben unserer Gesellschaft oder auch unserer Kirche aus. Wir tun dies mit Worten oder Verhaltensweisen; schreiben sie ab und sagen: Der/die ist für mich endgültig gestorben! Die soll mir bloß vom Halse bleiben! Dich will ich nicht mehr sehen! Zu denen habe ich sämtliche Brücken abgebrochen; die leben ja nicht mehr kirchenkonform – und so gehören dann all diese Menschen zu den „Aus“-sätzigen unserer Zeit, obwohl sie nicht an Lepra leiden.
Solche Aussätzigen bei uns heute, das sind auch die vielen alten Men-
schen, die sich nicht mehr gebraucht fühlen; die, weil sie zu viel Arbeit machen, in Pflegestationen abgeschoben werden und sich dort oft vorkommen wie in der Wartehalle eines großen Sterbebahnhofes. Aussätzige heute, das sind oft auch diejenigen, die von ihrem Äußeren her oder auch ihren Veranlagungen nach nicht als „normal“ gelten und zu denen man deshalb besser auf Abstand geht. Zu den Aussätzigen heute zählen sicher auch all die AIDS-Kranken und AIDS-Infizierten; die Menschen, deren Suchtproblematik sich nicht länger vertuschen lässt und auch all jene, über die man einfach hintenherum schimpft und redet, weil sie vielleicht anders sind als wir selbst – und: dazu zählen auch all die Menschen, die mit wenig Ausstrahlung und Charme sich oft in die totale Einsamkeit zurückziehen.
In all diesen Situationen, den uns bekannten aber oftmals auch recht unbewussten, gilt dann das Wort des Aussätzigen, welches wir im Evangelium gehört haben: Wenn du willst, dann kann für mich Heilung geschehen. Dieser Mann ist für mich jemand, der uns ein echtes Glaubenszeugnis schenkt, weil er an einen Gott glaubt, der es seiner Überzeugung nach nicht zulassen wird, dass Menschen schon im Leben den Tod auf Raten erleiden müssen. Er glaubt an einen Gott, der für das Leben sorgt, der es rettet und für seine Entfaltung die notwendigen Grundbedingungen zurückerobern will. Er appelliert sozusagen an einen Gott, der für das Leben sorgt und der nie aufhört, die Menschen so zu sehen, wie er sie geschaffen und gedacht hat. Für diesen Gott sind alle Menschen ansehnlich und wert, dass sie berührt werden. Sie sollen in der Gemeinschaft mit anderen leben und sich frei bewegen dürfen. Und so wie der Aussätzige auf diesen, von ihm erhofften Gott, in der Person des Jesus von Nazareth trifft, so gibt dieser uns selbst ein Beispiel dafür, wie wir heute handeln sollen und handeln können. Am seinem Verhalten dürfen wir lernen, unsere Berührungsängste zu überwinden, zu sagen und zu leben: „ICH WILL ES!“ Hingehen, bei der Hand oder auch in den Arm nehmen heißt dann: zuschauen und miterleben zu können, wie es um uns und durch uns heil wird.
Spüren Sie auch die Zumutung dieses Textes? Spüren wir miteinander, wozu uns der Evangelist einlädt? Wie viel an Freude, Geborgenheit und Verständnis durch uns anderen Menschen erwachsen könnte? Dazu brauche ich aber kein Medizinstudium und auch keine Heilpraktiker-Ausbildung. Ich kann heilsam sein allein durch mein Da-Sein, mein Nicht-Ausweichen, mein Berühren, mein Zuhören, mein Handhalten und zärtliches Streicheln…
Auch wenn die Krankheit „Lepra“ heute medizinisch weithin besiegt ist, so gibt es doch mehr als genug an Menschen, die unter „Aus“-Satz leiden. In der Nachfolge Jesu ist deshalb unser Handeln auch heute gefragt, damit eben alle unter „Aus“-Satz und Ausschluss leidenden Menschen, durch uns dem Gott begegnen dürfen, der nichts anderes für sie will, als das „Leben in Fülle“ und Liebe. Amen. 

Infos unter:

Erstellt am: 12.02.2012 18:46 Uhr

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