Predigt zum 5. Sonntag im Jahreskreis 2012

L I: Ijob 7, 1-4.6f / Ev.: Mk 1, 29-39
Schwestern und Brüder!
In unserem Leben gibt es viele glückliche, aber auch unglückliche Momente, die uns deshalb auch zu Redewendungen veranlassen wie: Freud und Leid sind des Menschen stetige Wegbegleiter. Solange wir gesund und munter sind, ist das Leben ganz in Ordnung. Da richten wir uns in diesem Leben häuslich ein und der Alltag wird zur Routine.
Aber ganz anders wird dieses Leben, wenn plötzlich das Schicksal zuschlägt und wir mit Krankheit, Leid oder gar Tod konfrontiert werden. So etwas verändert unser Leben oft radikal und meistens trifft es uns dies unvorbereitet, wie ein Schlag aus dem Hinterhalt. Und dann? Dann entstehen all die Fragen, die uns allen hier nicht fremd sind: Warum gerade ich? Warum lässt Gott zu, dass es Leid auf dieser Welt gibt? Warum, wenn er doch allmächtig ist? Weshalb greift er nicht ein? Warum schickt er mir dieses Schicksal oder auch Los? Oder auch die Frage: Warum hat Gott uns Menschen so erschaffen wie wir sind?
Diese Fragen sind so alt wieder der Glaube an Gott selbst und ich möchte mal behaupten, dass im Rückblick sogar manche Theologin oder mancher Theologe erkennen und zugeben muss, dass vielleicht gerade die Antwortsuche auf diese Fragen eine große persönliche Motivation zum Studium dieses Faches war. Wir alle erhoffen uns doch – wenn wir ehrlich sind – Antworten auf genau diese Fragen. Es ist ja auch normal, dass wir verstehen wollen, warum es das Leid gibt, welches das Leben von uns Menschen einfach schwer, ja manchmal sogar unerträglich macht. Und wenn Gott doch der Schöpfer allen Lebens ist, dann muss er ja auch etwas damit zu tun haben.
Mit all diesen Gedanken sind wir nun exakt im Umfeld unserer heutigen Lesung angekommen. Sie entstand stufenweise zwischen 600 und 200 vor Christus und berichtet uns vom klagenden Ijob, wie es ihm erging durch all die Katastrophen, durch die er in seinem Leben hindurch musste. Ijob ist ein frommer Jude, der alles hat, was der Mensch so zum Glücklichsein braucht. Doch dann verliert er schlagartig alles. Seine Kinder kommen um, seine Herden werden gestohlen und ihn selbst überfällt eine fürchterliche Hautkrankheit. Wer könnte es ihm verdenken, dass er sich von Gott allein gelassen und verlassen fühlt. Ijob beschreibt sein Leben als einen „Kriegsdienst“, sein Erbe als andauernde Enttäuschung und Mühsal. Recht anschaulich schildert er seine Schlaflosigkeit, seine nächtliche Ruhelosigkeit aus Angst und Sorge. Er sieht zu, wie sein Leben an ihm vorbeifliegt und vergleicht dies mit dem Weberschiffchen, dessen Faden bald zu Ende ist. Ich bin der festen Überzeugung, wenn diese Beschreibung ein moderner Psychotherapeut lesen würde, dann wäre für ihn der Fall klar. Normalerweise heißt es bei einer solchen Ausgangslage nur: „Depressionen“. Depressionen mit einer vielleicht sogar nach innen gerichteten Aggression und Wut. Und wie würde es weitergehen? Der erste Schritt der Therapie würde lauten: Sich alles von der Seele reden und der zweite Schritt wäre dann: nach Möglichkeiten der Veränderung suchen.
Jiob tut diesbezüglich also genau das Richtige. Er versinkt eben nicht, angesichts dessen, was ihm widerfahren ist, in Sprachlosigkeit. Er richtet auch seine Wut über das erlittene Leid nicht nach innen, sondern er tut, was bei uns heutzutage – im Gegensatz zu den Gepflogenheiten des Alten Testamentes – so kaum mehr üblich ist: Er betet klagend und anklagend zu seinem Gott, der ihm dies scheinbar alles angetan hat. Er schreit seine Wut, seine Verzweiflung, seine Angst und Trauer einfach heraus. Und was am Erstaunlichsten überhaupt ist: Jiob hält an diesem Gott fest. Er wendet sich nicht ab und lässt ihn links liegen, sondern er bittet ihn: „Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist.“ Wir würden heute vielleicht sagen: „Ich hab doch nur dieses eine Leben. Also bitte, lieber Gott, überleg doch noch einmal, ob du mein Schicksal nicht zum Guten wenden kannst.“ Und gegen Ende des Buches Jiob erhält dieser dann tatsächlich eine Antwort. Gott fordert ihn zum Reden und zum Dialog heraus. Dabei gelingt es Gott, Jiob davon zu überzeugen, dass die Schöpfung und das Leben gut sind – trotz des Leids, welches der Mensch immer wieder erfährt. Für mich ist das Entscheidende an diesem ganzen Buch, dass Ijob dadurch Kraft gewinnt und in sich verspürt, indem er seine Wut zulässt und sie formuliert. Oder anders gesagt: Im Dialog, im Gespräch mit Gott, da wendet sich sein Schicksal.
Nun können wir natürlich einwenden, und ich meine diese Einwände förmlich zu spüren, dass wir eben viel Leid in unserem Leben oder auch in unserem Bekanntenkreis kennen, welches sich so eben nicht wendet. Und dass es ja auch wirklich viel Leid gibt, das nicht von Menschen gemacht ist und das doch wirklich niemand verdient hat.
Bei all diesen Gedanken ist mir auch Richard Dawkins durch den Kopf gegangen. Er ist ja einer der führenden Köpfe einer neuen Atheismusbewe-gung in England und er beschreibt in seinem Buch „Gotteswahn“, wie lächerlich es doch sei, an einen personalen Gott zu glauben. Das Buch stand Monate auf den Bestsellerlisten auch des deutschen Buchhandels und wenn man es liest, dann merkt man relativ schnell, worin das eigentliche Problem besteht. Dawkins kritisiert darin viele Missstände, die sich aus der Religiosität von Menschen oft ergeben und er kritisiert sie in meinen Augen zu Recht. Aber es geht dabei nicht um eine Kritik dessen, was ich jetzt als einen lebendigen Glauben bezeichnen würde. Sondern es geht um Kritik an fanatischen oder auch fundamentalistischen Standpunkten, die nichts als Leid über die Menschheit bringen. Beim Lesen wurde mir klar, dass er sich dabei auf einer Ebene bewegt, die außerhalb dessen liegt, was ein gläubiger Mensch, der fern jedes Fundamentalismus und Fanatismus steht, eben erlebt. Wenn wir Christen mit Gott sprechen und wenn wir ganz selbstverständlich mit ihm leben, dann erleben wir ihn als ein personales Wesen, als ein Du, dem wir alles anvertrauen können und dürfen und das jeden Tag unseres Lebens begleitet. Wenn ich jeden Tag meines Lebens Gott in die Hände legen darf, dann darf ich doch aber auch alles vor ihn bringen, was mich beschäftigt und bewegt. Dann darf ich jubeln, aber ich kann auch klagen. Dann kann ich meine Angst und Trauer, die ich erlebe, vor ihn bringen und ich darf in derselben Weise auch Hoffnung erfahren. Sicherlich: Wir werden Gott niemals ganz erfassen und wir können deshalb das Leid auch nie ganz und gar erklären. Aber wenn wir unseren Glauben an Gott auf dessen Unbegreiflichkeit hin reduzieren, dann verlieren wir ihn als den Fürsorgenden und Barmherzigen, als den Liebenden und Helfenden aus dem Auge. Und – wir blenden dann aus, dass es neben der Leidensgeschichte zwischen Gott und uns Menschen eben auch eine Glück- und Freudengeschichte gibt.
Deshalb wird für mich auch im Evangelium deutlich, was der Höhepunkt eines solch lebendigen Glaubens ist. Nach den Berufungserzählungen, die vorausgehen und der ersten Frage Jesu an die Jünger: „Was sucht ihr?“ folgt hier heute die Feststellung: „Alle suchen dich!“ Und dann wird beschrieben, wie die Menschen den Sohn Gottes erleben: Die Schwiegermutter des Petrus richtet er auf und nimmt sie bei der Hand. Auch andere Kranke heilt er und vertreibt aus ihnen die Dämonen der Angst, der Hoffnungslosigkeit, der bodenlosen Trauer und viele andere mehr. Ein solcher Glaube aber ist kein Fanatismus, der anderen schadet, sondern dieser Glaube zeigt sich darin, dass ich Gottes Hand suche und sie ergreife. Dass ich mich von ihm aufrichten lasse und selbst andere aufrichte. Dass Gottes Reich hier und heute spürbar wird in einer liebenden, heilsamen Geste, die wir anderen schenken und die andere in ihrer Hoffnung bestärkt.
Warum lässt Gott zu, dass es Leid auf der Welt gibt? Warum passieren so viele schreckliche Dinge? Sie spüren vielleicht, alle Antwortversuche auf diese Fragen – auch die meinige – bleiben eben nur Versuche. Eine rationale Antwort gibt es nicht. Das mag jetzt enttäuschen, es kann aber auch heilen. Heilen davon, Gott wirklich durchschauen zu wollen. Ich persönlich habe gelernt, mit der Offenheit dieser Fragen zu leben. Das erlaubt mir, eigenes Leid und das Leid anderer kritisch nach der eigenen Verantwortung zu hinterfragen und meine Schuldanteile dafür auch zu übernehmen. Das erlaubt mir aber auch, unschuldiges und ungerechtes Leid klagend Gott hinzuhalten und ihm die Verantwortung dafür zu überlassen. Meine Beziehung zu Gott ist dadurch freier geworden. Befreit von der Selbstüberschätzung, Gott durchschauen zu können. Und deshalb möchte ich Sie, ja uns alle einladen und bitten, an der Urerfahrung der Menschen, von denen uns die Bibel erzählt festzughalten: an der Macht des Gesprächs in Leid und Trauer, an der Macht aufrichtender Worte und liebevoller Gesten im Geiste unseres liebenden Gottes. Amen.

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Erstellt am: 06.02.2012 18:22 Uhr

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