Lesung: Jer 31, 31-34 / Evangelium: Joh 12, 20-33
Schwestern und Brüder!
Was, um Himmels willen, hat mich eigentlich dazu getrieben, mich auf diese Pilgerreise zu machen? So fragt der Komiker Hape Kerkeling in seinem Reisebericht über den Jakobusweg, der es vor knapp 10 Jahren unter dem Titel „Ich bin dann mal weg“ sogar auf die deutsche Bestsellerliste schaffte. Ganz offen beschreibt der Autor all seine Zweifel, die ihn bewegen; auch und gerade dann, als er sich mit seinem elf Kilo schweren Rucksack in den Pyrenäen Kehre für Kehre in Richtung Santiago de Compostela dahinschleppt. Mit im Reisegepäck ist sein Tagebuch, welches auf fast jeder Seite eine wichtige Frage enthält. So entdeckt der aufmerksame Leser zwischen den Zeilen, dass Hape Kerkeling durchaus die Gottesfrage mit auf den langen Weg nimmt. Er möchte einerseits zu Gott und andererseits zu sich selber finden. Genau wie viele andere Pilger auch. So machen sich jährlich allein beinahe eine Million Menschen auf den Weg nach Santiago zum Grab des hl. Jakobus, von den anderen Pilgerstätten dieser Welt ganz zu schweigen.
Menschen, die Strapazen auf sich nehmen und auf Reisen gehen, die gibt es aber schon lange. So finden sich bereits in der Antike Wallfahrtsorte die von zahlreichen Pilgern – ob nun zu Fuß per Esel oder Pferd – gerne aufgesucht werden. Besonders bekannt für dieses pilgern waren in der antiken Welt übrigens die Griechen, die sich auf den Weg in alle möglichen Länder der damals bekannten Welt machten. Sie wollten auf diesen Pilgerreisen andere Religionen, Weltanschauungen, Philosophien kennenlernen und dabei Antworten auf ihre ureigensten Fragen finden.
Genau von solchen Pilgern scheint nun auch das heutige Evangelium zu sprechen. Es ist die Zeit kurz vor dem Paschafest und die Menschen aus der Fremde wollen den Tempel in Jerusalem besuchen. Zwar war den heidnischen Pilgern der Zugang in das Zentrum des Tempels verwehrt, aber auch in dessen Vorhof gab es ja so manches zu bestaunen. Jetzt darf man natürlich durchaus fragen: Was um alles in der Welt hat Menschen damals bewogen, sich auf eine solch lange und strapaziöse Pilgerreise zu begeben? Aber eine Antwort darauf zu suchen ist wohl genauso müßig, wie eine solche bei manch neuzeitlichem Pilger zu finden. Man kann dabei allerdings schon mal den Gedanken nachhängen: Welche Fragen hatten diese Menschen wohl im Gepäck? War es wirklich die Sehnsucht nach einer Begegnung mit Gott? Oder hatten sie vielleicht ganz einfach von diesem Wanderprediger Jesus gehört, der die Religionsbehörden ganz gewaltig auf Trab hielt und erst vor wenigen Tagen für einen Riesenskandal gesorgt hatte, als er im Tempel die Tische der Händler umstieß? Wollten sie ihn einfach mal sehen? Der Text gibt uns auf all diese Fragen keine schlüssige Antwort. Aber interessant ist, dass sie sich als Griechen an einen Landsmann wenden, nämlich Philippus. Dieser Jünger, so denken sie wohl, wird unser Ansinnen, diesen Jesus zu sehen, verstehen und sicher nicht ablehnen. Doch Philippus ist unsicher. Soll er diesen Menschen wirklich den Weg zu Jesus weisen? Und wird es dem auch recht sein, wenn er bei ihm mit wildfremden Leuten auftaucht? Sein Weg führt ihn deshalb zu Andreas, von dem er sich Rat erhofft. Dieser wiederum weiß um die Offenheit Jesu für fremde Menschen, die noch dazu auf der Suche sind und zögert deshalb auch keinen Moment, diese Pilger mit Jesus zusammenzubringen.
Was jetzt allerdings folgt, hätte keiner der beiden Jünger erwartet. Sie erleben einen ganz anderen Jesus, als sie es normalerweise gewohnt sind. Die Fremden werden weder begrüßt, noch werden irgendwelche Fragen gestellt. Jesus heilt auch keine wunden Füße und spricht auch nicht von Vergebung und Frieden. Man darf schon fragen: Was ist da nur los mit ihm? Er könnte doch gegenüber diesen Pilgern von den eigenen wunden Füßen berichten, den Strapazen der Herbergssuche oder auch seinen zahlreichen Begegnungen mit anderen Menschen. Er könnte etwas erzählen von seinem eigenen Unterwegssein in den Städten und Dörfern von Galiläa bis hierher nach Jerusalem. Er hat doch als Pilger so viele Erfahrungen gemacht, hat in der Wüste den Hunger und den Durst nach Leben und lebendigem Wasser entdeckt. Er kennt die Einsamkeit in Entscheidungen und weiß, wie gut und wichtig tiefe Begegnungen mit Menschen sind. Auch auf die Frage: Was bewegt Menschen, sich auf eine Pilgerreise zu begeben? dürfte Jesus sicherlich eine ureigene Antwort auf Lager haben.
Aber anscheinend sind die Pilger aus Griechenland Menschen, denen Jesus noch eine ganz andere Seite von sich zumuten kann. Und genau deshalb spricht er mit ihnen ganz offen über sein künftiges Leben. Er lässt sie quasi teilhaben an der letzten Etappe seiner eigenen Pilgerreise. Auch die Strapazen und das Ringen um die ureigene Lebensaufgabe kommen dabei ganz offen in den Blick und wir ahnen bereits den leidvollen Weg, die Verzweiflung, den Verrat, der ihm bevorsteht. Jesus sehen zu wollen, so könnte man schlussfolgern, bedeutet für diese griechischen Pilger also auch, sein Leid und seine Schmerzen nicht auszuklammern. Bedeutet zu sehen, dass dieser Lebensweg nicht nur eng mit dem Gott Israels verbunden ist, sondern dass es auf diesem Weg auch gewaltige Stolpersteine gibt. Niemand stirbt gern und niemand möchte zu Tode geschunden werden, wie es ihm durch das Kreuz passiert. Aber wenn es die einzige Möglichkeit ist, seiner Überzeugung treu zu bleiben? Wenn es die unausweichliche Konsequenz seines Lebensweges und seiner Lehre ist? Man wird an dieser Stelle den Eindruck nicht los, als sei Jesus an diesem Punkt seines Lebens vollkommen bewusst: Mache ich jetzt einen Rückzieher, verlasse ich jetzt den eingeschlagenen Weg, dann verwässere ich diese meine Botschaft. Dann mag mein Leben zwar gerettet sein – aber dann wäre alles umsonst, was ich bisher gesagt und getan habe. Dann hätte nicht die Macht der Liebe, sondern die Macht dieser Welt, also die Macht menschlicher Gewohnheiten, menschlicher Egoismen und Lieblosigkeiten gesiegt.
Wenn wir also fragen, was Jesus dazu treibt, den Weg nach Golgota einzuschlagen, dann ist es diese Lebenssinnfrage Jesu. Genau deshalb vergleicht er dann auch sein Leben mit dem eines Weizenkorns. Dieses hat – in die Erde geworfen – zwei Möglichkeiten: Entweder es hängt an seinem Dasein als Weizenkorn und bleibt als solches am Leben, dann aber bleibt es allein; bleibt es einfach ein Weizenkorn im Acker – das irgendwann verrottet. Oder aber es ist bereit sein Leben als Weizenkorn aufzugeben, sich zu wandeln. Dann wird irgendwann ein kleines Pflänzchen aus der Erde wachsen, das größer wird, das zum Halm reift und reiche Frucht bringt. Für Jesus heißt das: Nur, wenn er jetzt sein Leben aufs Spiel setzt, wird seine Botschaft für andere eine Botschaft zum Leben, zur Hoffnung, zum Heil. Nur wenn er diesen Weg geht, wird sich dieser liebende Gott, den er fast schon zärtlich „Abba“ nennt, auch für die Menschen mitten in der Sklaverei, den Verzweiflungen und der Not dieser Welt zum Gott der Liebe, zu einem Gott, der sich uns allen gegenüber als fürsorgliche Mutter und treusorgender Vater erweist. Das also steht im Reisetagebuch Jesu, das ist die Botschaft, die Seite um Seite sein Leben begleitet und ausmacht und was er damals den Pilgern aus Griechenland anvertraut hat.
Und was steht in unserem Reise- oder auch Pilgertagebuch heute? Vielleicht die Erkenntnis: Nur wer bereit ist sich zu wandeln, der kann sich entwickeln. Nur wer bereit ist, sein Leben wie er es gewohnt ist aufzugeben, kann weiterkommen. Das ist sicherlich nicht immer ein leichter, mitunter sogar ein schmerzhafter Prozess. Wenn ich an harte Zeiten in meinem eigenen Leben zurückdenke, dann merke ich im Nachhinein: Genau in diesen Zeiten, da habe ich mich zu dem entwickelt, der ich bin. Da musste ich loslassen, aufgeben, vielleicht auch gehen lassen. Menschen, die mir wichtig waren. Überzeugungen, Verhaltensweisen, oder auch Dinge von mir. Aber auch wenn ich diese Zeiten nicht nochmal erleben möchte: Darauf verzichten möchte ich auch nicht. Denn nur so bin ich der, der ich jetzt bin und dafür bin ich dankbar.
Ja, vielleicht will Jesus darauf hinaus: Haltet nicht an allem krampfhaft fest. Denn wer an altem festhält, an dem geht das Leben vorbei. Wer sein Leben wie es gerade ist so liebt, dass er es festzurren oder gar festklopfen will – genau der, der wird‘s verlieren. Weil er sein Leben, das er leben könnte, nicht lebt. Loslassen muss also immer wieder sein. All die Dinge die uns – wie das Sprichwort sagt – lieb und teuer sind. Wir sollten uns nicht krampfhaft daran festhalten. Und den Schritt, den Jesus heute in diesem Evangelium erklärt, das ist wohl der Schritt, der für uns am schwierigsten nachzugehen ist: Denn manchmal müssen wir auch die Menschen loslassen, die wir lieben. Doch wir sollten uns trauen; wir sollten sie gehen lassen, wenn es soweit ist.
Wenn dann dieses letzte Loslassen – der Tod – kommt, dann darf uns das durchaus mit Trauer erfüllen. Aber wir sollten uns das Weizenkorn im Gedächtnis halten. Denn mit dem Tod ist nicht alles vorbei. Das Weizenkorn wird Frucht bringen, ein Halm wird wachsen. Ein Sonnenblumenkern wird zur Sonnenblume, eine Raupe zum Schmetterling, der Winter zum Frühling. Und Karfreitag –der Tag des Todes – wird zu Ostern, dem Fest des Lebens in Fülle. Amen.
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Erstellt am: 23.03.2015 19:28 Uhr