Schwestern und Brüder!
Geht es Ihnen nicht auch so, dass Sie dieser Tage häufig genug den Kopf geschüttelt haben, wenn in den Medien vom Drama des Fluges MH370 berichtet wurde? Man muss sich das mal vorstellen: Da verschwindet ein komplettes Flugzeug einfach so von den Radarschirmen und bleibt bis heute unauffindbar. Was vor drei Wochen genau geschehen ist, als dieses Flugzeug von Malaysia nach Peking unterwegs war, plötzlich vom Kurs abgewichen und dann vom Radar verschwunden ist, niemand weiß es. In einer Zeit, in der in amerikanischen Supercomputern gespeichert ist, was wir zum Beispiel vergangenen Donnerstag eingekauft haben und was wir mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit nächsten Mittwoch kaufen werden, da klingt so etwas nicht nur unglaublich, nein, es ist auch unglaublich.
Viele empfinden dieses „unglaublich“ aber auch auf den Inhalt heutigen Evangeliums hin, obwohl es ja schlussendlich zur Grundüberzeugung unseres christlichen Glaubens gehört, dass Menschen aus dem Tod erweckt werden. Umso mehr meine ich, sollten wir uns deshalb mit diesem Text auseinandersetzen, den uns Johannes überliefert hat und was er uns auch heute damit sagen kann und sagen will. Dabei ist mir eine kleine Aussage wichtig geworden, die manche vielleicht zuerst eher für belanglos halten. Da sagt doch Marta zu Jesus: „Herr, er riecht schon!“ Für mich ist das eine eher vornehme Aussage unserer Einheitsübersetzung, die Martin Luther viel drastischer und schonungsloser in seiner Übersetzung wiedergegeben hat. Da heißt es: „Herr, er stinkt schon!“ Heute würde man vielleicht übersetzen: „Herr, Du bist viel zu spät gekommen, es ist zwecklos, Dein Freund hier ist mausetot. Da ist nichts mehr zu machen, also halt Dich fern und setz Dich bloß nicht dem Gestank des Todes aus. Was willst Du denn an dem bereits verschlossenen Grab des Lazarus? Dein Beileid kannst Du auch anders zum Ausdruck bringen. Du bist zu spät, der Tod war schneller – raff das endlich und lass dem Toten seine Ruhe.“
Auf den ersten Blick gewinnt man fast gar den Eindruck, als wolle Marta die Nase Jesu schonen. Sie will ihn und vielleicht auch sich selbst nicht dem Geruch des Todes aussetzen. Und seien wir doch mal ehrlich: Auch wir meiden ihn doch, wo wir nur können. Wir können den Tod – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht riechen. Und doch liegt er wie eine Dunstglocke über dieser, unserer Welt. Nicht nur in Syrien und Afghanistan oder über kriegerischen Landstrichen Afrikas oder Südamerikas. Nein, der Geruch des Todes liegt auch über den Autobahnen und Schnellstraßen mit den schrecklichen Verkehrsunfällen, über den Krankenhäusern, Altenheimen, Hospizeinrichtungen und den vielen Sterbezimmern. Allüberall dort riecht es nach Tod und deshalb „stinkt es“ nicht nur Kindern und Jugendlichen häufig dorthin zu gehen, sondern auch vielen Erwachsenen. Früher sprach man oft von der Ausdünstung der „Lazarette“, die ja ihren Namen von genau diesem „Lazarus“ aus dem heutigen Evangelium haben. Und wenn wir dann auch noch auf das letzte Jahrhundert zurückschauen, dann kommen wir nicht umhin zu sagen, dass auch darüber ein fürchterlicher Verwesungsgeruch liegt. Bestialisch stinkt es bis heute zum Himmel, was Menschen da einander angetan haben und was für eine Verpestung der Luft, die da aus den Schlachtfeldern der beiden Weltkriege und aus den bombenzerstörten und qualmenden Städten emporgestiegen ist. Von den Schloten der Vernichtungslager ganz zu schweigen.
Und heute? Heute denken wir nicht nur an das vorhin gehörte Evangelium, sondern am heutigen Passions- und MISEREOR-Sonntag, da denken wir auch an die riesigen Müllhalden der Millionenstädte, auf denen Kinder nach verdorbenen Lebensmitteln stochern und ihre Eltern aus dem oft gasenden und nicht ungefährlichen Abfall mit seinen Chemikalien sogenannte Wertstoffe sammeln. Auch wenn wir ob vieler dieser Elendsbilder häufig die „Nase voll“ haben – wir spüren: Der Geruch des Todes lässt sich nicht so leicht vertreiben. Deshalb fand ich es eine super Idee, wie ein Pfarrer, mit dem ich über eine längere Zeit zusammengearbeitet habe, seinem Krankenöl ein kleine Brise Rosenöl beigemischt hat. Häufig hat er mir erzählt, wie sich die Gesichter auf der Intensivstation oder im Altersheim bei der Krankensalbung aufhellten, selbst die Gesichter demenzkranke Menschen, weil da plötzlich ein ganz anderer Geruch in der Luft lag, als der, welcher sonst in eben diesen Räumen anzutreffen ist.
Aber nicht nur der Tod stinkt zum Himmel, sondern vieles, was wir nur allzu gerne am liebsten unter Verschluss halten würden. Auch in unserer Kirche riecht es nicht immer nur nach Weihrauch, sondern da gibt es auch ganz andere Duftwolken, wie uns die letzten Jahre oder die letzten Wochen gelehrt haben. Und in unseren Gemeinden? Wie oft können da Menschen einander nicht riechen, und deshalb gibt es nicht wenige, die ausziehen und einfach „verduften“.
„Herr, er riecht schon!“ Dieses Wort der Marta wird für mich nur erträglich im Kontext einer anderen Stelle des Neuen Testamentes, und zwar im zweiten Brief des Apostels Paulus an die Korinther. Da heißt es: „Dank sei Gott, der uns im Siegeszug Christi mit sich führt und der durch uns den Duft der Erkenntnis Christi an allen Orten verbreitet. Wir sind für Gott der Wohlgeruch Jesu Christi. Wir sind der Lebensduft, der Leben verheißt.“ Paulus, der ja von Beruf Zeltmacher war, weiß sehr wohl, wovon er redet. Denn in den Stadtvierteln der Ledergerber wird es mitunter ganz unerträglich gestunken haben. Doch er wagt zu sagen: Vom auferstandenen Christus geht ein Wohlgeruch aus; ein Duftstoff aus der Welt Gottes, der uns alle heiter und gelassen stimmen kann; eine Art Osterparfüm, welches uns zum Glauben „verführen“ will – genauso, wie uns ja auch die Werbung suggeriert, dass uns so manches Parfüm attraktiver macht und uns zu mehr Ausstrahlungskraft verhilft.
Deshalb können wir zu Recht sagen: Ostern und sein Vorspiel am Grab des Lazarus haben eine schöne „Duftnote“. Denn mit Christus kam ein neuer Wohlgeruch in diese Welt, der angetreten ist gegen den Geruch des Todes. Durch uns will sich dieser neue Wohlgeruch verbreiten und deshalb sollen wir Christen uns nicht vom Gestank des Todes und seiner Vorboten abschrecken lassen. Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt: Und was ist der Duft der Erkenntnis Christi? Das ist in meinen Augen die Überzeugung, dass der Gekreuzigte lebt. Durch ihn haben wir erfahren, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, sondern die Auferstehung und das Leben. Das ist das Machtwort des Evangeliums gegen all die üblen Gerüche des Todes.
Die vorösterliche Passionszeit will, dass wir diese Witterung aufnehmen und dem Wohlgeruch Christi nachgehen. In seinem „Dunstkreis“ sollen wir uns anschicken, mit ihm den Kampf gegen den Tod aufzunehmen, wo immer wir ihm begegnen und er die Luft verpestet. Jesus steht auch und gerade da zu uns, wo der Tod das Leben zersetzt und uns liebe Menschen einfach raubt.
Ich weiß, das alles ist leichter gesagt als getan und das Verbreiten unseres christlichen Wohlgeruches hält den Tod lieber Menschen nicht auf. Richtig. Aber der heutige Passions-Sonntag stößt uns doch auch mit der Nase darauf, wie viele Menschen auf dieser Erde „in der Finsternis sitzen und im Schatten des Todes“. Halten wir uns also nicht die Nase zu, wenn in unserer weiteren oder näheren Umgebung der Tod seinen üblen Geruch verbreitet, sondern bringen wir den „Lebensduft“ unseres Osterglaubens den Menschen. Mit tatkräftiger Hilfe für jene, die ohne unsere Hilfe nicht überleben können und hier bei uns, in dem wir Sterbende nicht einfach sich selbst überlassen und sie nicht alleinlassen. Begleiten wir sie vielmehr an jene Schwelle, hinter der ein neuer Wind weht mit dem Wohlgeruch ewigen Lebens.
Lazarus wurde nur in dieses Leben zurückgerufen, was auch bedeutet, dass er noch einmal Sterben musste. Jesus aber lebt für immer auf der anderen Seite, auf der Gott „alle Tränen von unseren Augen abwischen wird; wo der Tod nicht mehr sein wird, keine Trauer und Klage und keine Mühsal. Denn der, der auf dem Thron saß, sprach: Siehe ich mache alles neu.“
Was ich vom heutigen Evangelium für mich ganz persönlich mitnehme? Dass Ostern wie ein geöffnetes Fenster ist, durch das Frühlingsduft hereinkommt in den Mief von Tod und Verwesung. Dass ohne Ostern die ganze Welt wie ein großes, hermetisch verschlossenes Grab wäre und dass ohne Ostern auch der Kampf der Jüngerinnen und Jünger gegen die ungerechten Verhältnisse und alles, was in dieser Welt zum Himmel stinkt, letztlich sinnlos und aussichtslos wäre.
Die Kirche des Ostens feiert Lazarus an jedem Samstag vor Palmsonntag als den Heiligen, der den Auferstehungsduft in die Welt getragen hat. Unsere Kirche, die lange Zeit im Verdacht und im Geruch stand, nur auf das Jenseits zu vertrösten, hat sich – Gott-sei-Dank – in der Zwischenzeit deutlich auf die Seite jener gestellt, die an ein Leben vor dem Tod glauben. Leben wir dieses Leben und tun wir alles, dass es auch für andere lebenswert ist. Die Arme Gottes umschließen uns dabei zärtlich und der Tod verliert seinen Schrecken. Denn mit Jesus finden wir uns nicht damit ab, dass mit dem Tod alles aus sein soll. Nein, wir verbreiten vielmehr das Gerücht: „Wir glauben daran, dass wir die Herrlichkeit Gottes sehen.“
Wie wurde Mahatma Gandhi einmal gefragt: „Was müssen Christen tun, um Menschen für die Frohe Botschaft zu gewinnen?“ Und er nahm eine Rose und hielt sie dem Fragesteller hin: „Was tut die Rose?“ -„Sie duftet“, war die Antwort. „So ist es“, sagte Gandhi: „Also duften sie!“
Infos unter:
Erstellt am: 07.04.2014 20:06 Uhr