Lesung: Phil 3, 8-14 /Evangelium: Joh 8, 1-11
Schwestern und Brüder!
„Mei ist das eine peinliche Geschichte. Da wurde jemand auf frischer Tat beim Ehebruchertappt – sozusagen: Inflagranti! Man hat noch ein wenig zugeschaut und schmutzig gegrinst – und dann das große Geschrei angestimmt! Dass die sich nicht allesamt schämen.“ So oder ähnlich könnte unser erster Eindruck des heutigen Evangeliums sein. Doch sind das nicht genau die Geschichten, von denen es heute in unserem illustrierten Blätterwald nur so rauscht? Untreue, Seitensprünge, neue Freundin oder neuer Freund, man kann gar nicht genug davon bekommen, welcher Promi gerade mit wem… Oder hängen wir es mal gar nicht so hoch und sagen einfach: Welcher Nachbar mit welcher Nachbarin …
Auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden. Wie schwülstig das schon klingt. So nach: Rein ins Schlafzimmer und sie aus dem Bett gezerrt, womöglich noch nackt und nur notdürftig mit einem Laken bekleidet; dann durch die Straßen der Stadt gezerrt, von hunderten Augenpaaren angeglotzt und gedemütigt. Brutale Männerhände haben die Frau gegrabscht und tun ihr weh an Armen und Handgelenken; manche zerren sie an den Haaren zum Tempel hoch und überall stehen Leute, gaffen und gieren. Da müsste doch längst jemand eingreifen und sie ein wenig beschützen. Selbst wenn sie noch so ein männermordendes Biest wäre, welches den eigenen Mann nicht nur einmal zum Gespött macht. Aber vielleicht ist sie das ja nicht einmal; vielleicht ist sie einfach nur eine unglückliche Frau, die in einer arrangierten Ehe unter der Macht eines Wüterichs gelebt und erst durch einen anderen Mann die wahre Liebe entdeckt hat. Vielleicht hat sie erstmals mit diesem Mann das erlebt, was man „Schmetterlinge im Bauch“ nennt – doch es ist verboten, unmöglich, hoffnungslos.
Stellen wir uns einfach mal vor: Wir säßen mitten unter dem Volk und würden das alles so mit verfolgen. Wie die Frau da steht, mit hängendem Kopf, zitternd vor Angst. Der Mann, der mitbeteiligt war, bleibt anscheinend unbehelligt. Tolle Gerechtigkeit in dieser männerdominierten Welt! Doch darum geht es den Schriftgelehrten und Pharisäern schlussendlich gar nicht. Für sie ist diese Frau ja auch nur ein Köder dafür, Jesus endlich in die Falle tappen zu lassen. Denn: Mose hat geboten, dass Frauen, die man auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt hat, zu steinigen sind. Triumphierend, ja herausfordernd schauen sie deshalb Jesus an. Sie wissen, dass sie ihn jetzt haben. Entweder er lässt von seiner Liebes-Botschaft, der Zuneigung Gottes an alle Sünder ab oder er redet nicht im Namen Gottes; denn Mose hat das getan. Und was macht Jesus? Der bückt sich und schreibt in den Tempelsand. Er lässt sich Zeit und er lässt auch uns Zeit zu reagieren und Position zu beziehen.
Eine solche Position könnte sein: „Haben sie wieder mal eine erwischt. Eine Schande ist das. Setzt ihrem Mann Hörner auf und schämt sich nicht mal. Das gehört bestraft.“ Diese Meinung kann man mit Fug und Recht vertreten. Denn nach dem damaligen Gesetz ist die Frau schuldig und zu verurteilen. Keine Frage. Eine andere Position könnte allerdings auch lauten: „Moment, nicht so schnell. Man muss es doch nicht gleich übertreiben. Das, was diese Frau gemacht hat, das kann doch jedem Mal passieren; das kommt doch in den besten Familien vor. Ein Seitensprung: Mein Gott!“ Und vielleicht fügt sogar jemand hinzu: „Wer weiß, was sie für einen Mann zu Hause hat. Vielleicht ist der ja an allem schuld, weil er ihr nie das gegeben hat, was sie sich an Zärtlichkeit und Liebe gewünscht hat. Ist das dann so unrecht?“
Bei all diesem Nachdenken haben wir Zeit zu erkennen, dass unser Urteil immer auch mit uns selbst zu tun hat. Wenn ich mich mächtig über diese Frau empören kann, dann werden meine eigenen Fehler auf einmal zur Kleinigkeit. Denn die Blicke richten sich dann von mir weg auf andere. Das Gerede verhandelt ja nicht mich, und im Reden über das Versagen und die Schuld anderer, tritt mein eigenes Versagen in den Hintergrund. Aber auch das Verharmlosen der Schuld hat seine Hintergründe. Wenn ich sage: „Das ist doch nicht so schlimm“, dann stecken hinter solchen Gedanken eben auch Aussagen über mich selbst. Geschieht mit dieser Art der Entschuldigung anderer nicht auch eine Entschuldigung meiner selbst?
Spüren Sie etwas? Der bereitgelegte Stein gegen die Schuldige oder auch die Empörung über die strengen Richter, beides geschieht gleichfalls zur Entlastung meiner eigenen Person. Hinter beidem versteckt sich eine ganze Menge Unfähigkeit, mit der eigenen Schuld umzugehen, versteckt sich so etwas wie Scheinheiligkeit. Jesus lässt uns Zeit, das zu spüren. Und er verbaut uns die Möglichkeit, das Urteil schnell zu vollstrecken und uns selbst dabei außen vor zu lassen. „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als Erster einen Stein auf sie.“ Ein Satz nur, aber ein Satz der wirkt. Er lässt all die aufgehobenen Steine in den Händen heiß werden – wer könnte denn wirklich noch einen solchen Stein werfen?
Jesus unterbricht unser „Steine werfen“, indem er den Blick von der Frau weg auf uns lenkt. Da braucht es dann auch keinen Vortrag und kein Gleichnis mehr. Das versteht jede und jeder und man beginnt, die eigenen Abschiebemechanismen zu spüren und den Hang, sich mit einem Sündenbock zu entschuldigen. Ich empfinde es als schade, dass an diesem Punkt alle betroffen weggehen. Sie fragen weshalb? Nun, weil sie somit nur das „so nicht“, aber nicht das „wie dann“ erfahren, das Jesus uns ja auch nicht verschweigt. Er sagt zu der Frau: „Hat dich keiner verurteilt?“ Und wir haben im Ohr wie sie antwortet: „Keiner, Herr.“ Die Erleichterung ist fast mit den Händen zu greifen. Die Bedrohung, der Druck und die Angst sind weg. Wer kann sich denn auch wirklich zu seiner Schuld bekennen, wenn ringsherum alle nur nach Strafe schreien? Was Jesus aber sagt und tut, das hilft: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.“ Das ist sein Weg mit Schuld umzugehen. Nicht Verurteilung und auch nicht Verdrängung, aber auch nicht einfach „Schwamm drüber“. Jesus verharmlost die Schuld der Frau nicht. Was sie getan hat, war falsch und sie ist sich dessen auch bewusst, denn an keiner Stelle versucht sie sich herauszureden. Sie bestreitet diese Schuld nicht und versucht auch nicht vor ihr davonzulaufen. Aber Jesus öffnet ihr einen Raum, ihre Schuld einzugestehen, und schenkt Vergebung. Das allein hilft gegen Schuld, die wir – in welcher Art auch immer – auf uns geladen haben und das erst ermöglicht wirklich einen Neuanfang. Verurteilung und Strafandrohungen zwingen uns zu vertuschen und zu verdrängen, abzuleugnen und vielleicht auch zu fliehen. Eine reine Verharmlosung bringt uns auch nicht weiter, denn diese stiehlt uns die Möglichkeit, unsere Schuld offen anzuschauen und daran zu arbeiten. Erst der Weg Jesu, das Ernstnehmen der Schuld und die Vergebung, das zusammen schenkt mir wirklich die Möglichkeit, neu und vor allem anders zu leben. Wo immer sich das Schema „Gesetz – Vergehen – Verurteilung und Strafe“ sich in unmenschlicher Form breit macht, auch in unserer Kirche, wenn ich z.B. an die wiederverheirateten Geschiedenen denke, da stellt sich genau diese kleine Erzählung quer und ermahnt uns an ein Wort aus der Bergpredigt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet … und was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken im eigenen Auge aber übersiehst du?“
Mit einer wunderschönen Geschichte aus Italien möchte ich enden, denn sie macht noch einmal deutlich, was Jesus im Auftrag Gottes tut: „In einem Fischerdorf auf einer Insel galt einst das ungeschriebene Gesetz: Wer des Ehebruchs überführt ist, muss von einem hohen, schwarzen Felsen herabgestürzt werden. Männer des Dorfes haben nun eine Frau beim Ehebruch ertappt. Ihr wird nur eine kurze Frist gewährt, damit sie ihren Ehemann ein letztes Mal sprechen kann, obwohl selbst seine Verzeihung nichts an diesem unerbittlichen Urteil ändern könnte. Aber der Mann ist nicht zu Hause und er kommt auch nicht bis zum Ablauf der Gnadenfrist zurück. So wird das Urteil erbarmungslos vollstreckt und die Frau vom Felsen gestürzt, was ihren sicheren Tod bedeuten muss.
Am anderen Tag jedoch sehen die „Richter“ dieselbe Frau unversehrt am Herd ihres Hauses stehen. Was war geschehen? Der Mann der Verurteilten hatte um den Ehebruch seiner Frau gewusst. Er wollte ihr vergeben, konnte jedoch die schreckliche Strafe nicht aufhalten. Und so ging er hin und spannte in den Nächten unter großer Gefahr für sein eigenes Leben ein Netz tief unter dem Todesfelsen. Und dieses Netz hatte seine Frau sicher aufgefangen. Man wagte nicht mehr, Hand an sie zu legen, weil das Urteil ja vollstreckt und die Liebe ihres Mannes so groß war.“
Gott spannt genau ein solches Netz des Erbarmens unter den Abgrund unserer Schuld, wie immer sie auch geartet sein mag. Er verurteilt die Sünde, nie aber den sündigen Menschen. Dieses Netz hat uns Jesus kundgetan; es ist so eng gestrickt, dass keine und keiner hindurchfallen wird, wer auf seine Liebe und Barmherzigkeit vertraut. Zu schön, um wahr zu sein? Oh nein. Ich glaube fest daran. Amen.
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Erstellt am: 17.03.2013 18:58 Uhr
