Predigt zum 4. Fastensonntag 2013 (10.03.)

L II: 2 Kor 5, 17-21 / Ev: Lk 15, 1-,11-32
Schwestern und Brüder!

Vielleicht wundern Sie sich, dass ich Sie jetzt zum Sitzen auffordere, bevor das Evangelium überhaupt verlesen wurde. Aber ich möchte Sie heute einfach mal einladen, dieses Evangelium bewusst in einer anderen Haltung zu hören, um vielleicht nicht gleich nach den ersten Worten abzuschalten, weil Ihnen vieles von dem, was Sie da hören, so vertraut vorkommt.
Ja, ich glaube schon, dass man bereits nach den ersten Worten geneigt ist zu sagen: Ach, das ist die und die Erzählung; die kenne ich doch schon und: schwuppdiwupp ist man mit den Gedanken wo anders und versäumt die, wie viele sagen, bedeutendste Kurzgeschichte der Welt, die Perle unter den Parabeln Jesu, die vielleicht schönste Erzählung der Bibel überhaupt. Also: Setzen Sie sich, und lassen Sie sich wieder einmal in diese wundervolle Geschichte hineinziehen. Wenn Sie Glück haben, dann ist es Ihnen ja vielleicht vergönnt, ein Wort oder auch einen ganzen Satz zu hören und zu entdecken, das oder der Ihnen so bislang noch nie aufgefallen war:
Evangelium vorlesen durch Lektoren
An dieser Stelle wäre es nun mehr als interessant, einfach mal zusammenzutragen, welche Worte oder auch Aspekte dieser Gleichniserzählung jetzt bei Ihnen den stärksten Eindruck hinterlassen haben. Ich habe mich ja nun auf diesen Gottesdienst vorbereitet und ich muss sagen, im Blick auf das, was wir derzeit als Weltkirche erleben und im Blick auf das, was die Botschaft Jesu uns sein und sagen will, sind mir bei der Vorbereitung zwei kleine Sätzchen aufgefallen bzw. im Bewusstsein geblieben, über die ich heute gerne mit Ihnen nachdenken möchte. Es ist einmal der Satz: „Er lief seinem Sohn entgegen“ – eine Aussage, die vom Vater erzählt wird, und zwar in dem Moment, als er den jüngeren Sohn kommen sieht. Und der zweite Satz: „Und der Vater kam heraus und redete ihm gut  zu“ – gemacht im Zusammenhang mit der Tatsache, dass der ältere Sohn zornig vor dem Haus stehen geblieben ist. Wichtig ist mir dabei, dass ich in beiden Sätzen erkenne, dass Jesus uns hier einen Vater schildert, der den ersten Schritt tut; der nicht wartet, bis der eine seine Schuld eingestanden oder der andere seinen Trotz überwunden hat.
Der Vater, in diesem von Jesus erzählten Gleichnis, ist Gott selbst. Ergo wird uns hier also von einem entgegenkommenden Gott erzählt; von einem Gott, der auf uns Menschen zugeht, der uns – um es mit einem geflügelten Wort zu sagen – dort abholt, wo wir gerade stehen: sei es nun in unserer Schuld, in unserer Unzufriedenheit, unserer Not oder auch unserer Verschlossenheit gegenüber ihm oder auch anderen. Jesus erzählt uns von „Jahwe“, dem Gott, der von sich sagt: „Ich-bin-da-für-Dich“ oder dessen lateinische Übersetzung wir auch so kundtun könnten: Inter-esse; also „Dazwischen-Sein“ oder „Dabei-Sein“. Schlussendlich heißt das alles nichts anderes als: Jesus verkündet uns einen Gott, der ein Interesse an uns hat; dem es in keinem Augenblick und mit keiner Faser seines Liebens gleichgültig ist, wie es uns geht und wie es ums uns steht. Der einfach nur mittendrin sein will in unserer Freude und auch in unserem Elend. Dabei spricht Jesus nicht nur von diesem entgegenkommenden Gott, nein – er verkörpert ihn auch im wahrsten Sinne des Wortes. In Jesus bekommt dieser an den Menschen so interessierte Gott gleichsam Hand und Fuß und ein Gesicht. Wenn Jesus auf die Kranken seiner Zeit zugeht und sie berührt, dann sehen und spüren sie darin auch die heilsame Zuwendung Gottes. Wenn er sich mit Sündern und Verachteten an einen Tisch setzt, dann ist das für sie eben auch gleichzeitig die ausgestreckte Hand Gottes, die er ihnen zur Versöhnung und als Einladung entgegenstreckt.
Wenn wir nun für uns Erkenntnisse aus diesem Gleichnis ziehen wollen,
wenn wir im Sinne Jesu leben und uns an ihm orientieren wollen, dann müsste das Fazit für uns lauten: In dem Maße wir die Botschaft Jesu für unser Leben nicht nur vergegenwärtigen, sondern ihr in unserem Leben auch Hand und Fuß schenken wollen, müssen wir versuchen, selbst entgegenkommende Menschen zu werden. Was ich damit meine bzw. was ich unter diesem Entgegenkommen verstehe, das können 3 A’s deutlich machen. Keine Bange, ich verfalle jetzt nicht in die Sucht der Rating-Agenturen, 3 A’s als höchstes Bonus-Qualitätsmerkmal zu verkaufen; das liegt mir fern. Aber die Tugend des Entgegenkommens wird für mich deutlich und sichtbar in drei Worten, die mit A anfangen. Einmal ist diess das Wort „Anerkennung“: Wenn ich jemandem entgegenkomme, dann zeige ich ihm damit auch: Ich schätze dich; du bist mir wichtig und wertvoll; ich möchte in deiner Nähe sein und in Kontakt mit dir bleiben. Das zweite Wort heißt „Aufmerksamkeit“: Wenn ich auf jemanden zugehe, dann signalisiere ich ihm: Ich möchte erfahren, wie es dir geht; ich möchte hören, was dich beschäftigt und bewegt; mich interessiert, was du zu sagen hast. Und das dritte schließlich „Austausch“: Wenn ich mich nämlich auf jemanden zubewege, dann lasse ich diese Person doch spüren: Ich will mich mit dir austauschen; ich wünsche einen Dialog mit dir, der uns gegenseitig bereichert und der uns beide weiterbringt.
Wenn wir nun diese 3 A’s – Anerkennung, Aufmerksamkeit und Austausch- in dem Sinne als relevant für unser Leben erachten, dass wir damit dem  Gottesbild Jesu ein wenig näherkommen, welches er verkündet und den Menschen seiner Zeit vermittelt hat, dann muss von dieser Grundhaltung des Entgegenkommens nicht nur jede einzelne Christin und jeder einzelne Christ geprägt sein, sondern natürlich auch die Kirche als Ganzes. Gerade in dieser für unsere Kirche so schwierigen Phase – und damit meine ich jetzt nicht nur den Übergang von einem Papst auf den Nächste, sondern die Zeit an sich, in der so vieles in dieser unserer Kirche angefragt und sicherlich auch zu Recht hinterfragt wird – gerade in einer solchen Zeit muss sie dieses „Entgegenkommen“ und nicht das „Sich-Abschotten“ praktizieren. Aber genau das vermissen heute viele. Wie sagte jemand vor kurzem in einem Fernsehinterview auf die Frage, woran es der Kirche derzeit am meisten fehlen würde: „Ich habe den Eindruck, ihr fehlt das wirklich Interesse am Menschen.“
Eine ganz ähnliche Sichtweise äußert der inzwischen hochbetagte Theologe Johann Baptist Metz. Er beschreibt die derzeitige Situation mit dem Märchen vom Hasen und vom Igel und er sieht dabei die Kirche in der Rolle des Igels: Der Hase arbeitet sich in der Ackerfurche ab, geht Risiken ein, während der Igel jeweils am Ende der Furchen den Eindruck erweckt, immer schon da zu sein. Eine Kirche aber, die meint, sich das Laufen in den Ackerfurchen unserer Zeit ersparen zu können; eine Kirche, die sich nicht bewegt, weil sie glaubt, die Wahrheit schon immer gepachtet zu haben und darüber nur verfügen zu müssen, eine solche Kirche arbeitet laut Metz eben mit dem „theologischen Igeltrick“. Eine entgegenkommende Kirche aber müsste – um nun in diesem Bild zu bleiben – eine Kirche sein, die sich eben nicht „einigelt“; eine Hasenkirche wäre also eine Kirche, die vielmehr unterwegs ist; die Anteil nimmt an dem, was die Menschen bedrückt, was sie umtreibt, was sie an Freuden und Sorgen tagtäglich mit sich herumschleppen; eine Kirche, die sich genau den Fragen stellt, die die Menschen von heute bewegen und auf die sie so dringend eine Antwort haben möchten. Wir brauchen also, um es vielleicht mit einer griffigen Formel zu sagen, eine „Geh-hin-Kirche“, wie sie der schon vor 10 Jahren verstorbene Wiener Kardinal König eingefordert hatte, und keine „Komm-her-Kirche“, die immer nur auf die Schritte der anderen wartet.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, der 30-Tage-Papst Johannes Paul I. hat
für mich in seiner viel zu kurzen Amtszeit, eine solche „Geh-hin-Kirche“ ver
körpert. Sein Programm lautete: „Ich weiß wohl, dass ich nicht in der Lage sein werde, jahrhundertealte Regeln auf einmal zu ändern. Doch ich weiß: Die Kirche muss nicht Macht und Reichtümer besitzen. Deshalb will ich Vater, Freund, Bruder sein, der als Pilger und Missionar auf alle zugeht und der kommt, um die Armen, die schuldig Gewordenen und die Verfolgten zu umarmen.“ Vielleicht erinnert sich ja im bevorstehenden Konklave der ein oder andere Kardinal an diese Aussage und gibt dann dementsprechend seine Wahlstimme ab.
Jesu Geschichte vom entgegenkommenden Vater – es ist eine Frohbotschaft und Anfrage, ein Zuspruch und ein Anspruch zugleich – für uns, wie für unsere Kirche. Wie sagte Mark Twain einmal: „Mir bereiten nicht die unverständlichen Bibelstellen Bauchschmerzen, sondern die, die ich durchaus verstehe.“ Ich glaube, wenn er recht hat, dann müssten wir jetzt alle ein wenig Bauchweh bekommen, weil wir diese Geschichte sehr gut verstehen, aber weil uns selbst der erste Schritt oft nicht gelingt und weil uns das Entgegenkommen und das Zugehen auf andere oft so schwerfällt. Es spricht ja nicht unbedingt für einen Gottesdienst, wenn man mit einem leichten Ziehen im Magen die Kirche wieder verlässt. Aber heute würde ich mir mal ausnahmsweise wünschen, dass wir alle mit ein wenig Bauschmerzen von hier weggehen, denn dann wüsste ich, dass dieses Evangelium in jeder und jedem von uns noch ein wenig rumort. Amen.  

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Erstellt am: 11.03.2013 19:38 Uhr

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