Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis 2013 (17.11.)

L I: Mal 3, 19 – 20b / Ev.: Lk 21, 5 – 19
Schwestern und Brüder!
Der Kinderbuchautor Janosch, der so unvergleichliche Gestalten wie die Tigerente und den Bären geschaffen und so herrliche Bücher wie „Oh wie schön ist Panama“ oder „Ich mach dich gesund, sagte der Bär“ geschrieben hat, ist wohl den meisten von uns bekannt. Ja vielleicht ist sogar der ein oder die andere von Ihnen mit der neuen Condormaschine hierhergeflogen, auf der Gestalten seiner Kinderbücher verewigt sind. Dieser Janosch lebt seit mehr als 30 Jahren hier auf Teneriffa – ruhig und zurückgezogen. Aber vor knapp 6 Jahren gab es eine ganz abscheuliche Karikatur von ihm über die Taufe, die nicht nur hier, sondern auch und gerade im deutschsprachigen Raum eine heftige öffentliche Kontroverse ausgelöst hat. Diese Karikatur zeigt einen Pfarrer, der dem Säugling über dem Taufbecken mit einem Hammer ein Kreuz durch den Bauchnabel treibt. Und man darf sich ob eines solchen Schreckensbildes zu Recht fragen: Was soll das? Janosch selbst erklärte es so: „Katholisch geboren worden zu sein, ist der größte Unfall meines Lebens!“ Mit der Taufe habe der religiöse Leidensweg seiner Kindheit begonnen, der ihn schlussendlich zu einem Feind der Kirche gemacht habe. Die religiöse Unterweisung seiner Kindheit sei einzig und allein die Vermittlung purer Angst gewesen und an dieser Drohbotschaft sei er krank geworden.
Als ich die Zeilen des heutigen Evangeliums las und kurz darauf auf einem Bild den neuen Janosch-Condor-Flieger sah, fiel mir genau diese Begebenheit wieder ein. Das, was wir da eben gehört haben, ist ja nun wirklich keine „Frohbotschaft“, sondern weitaus mehr eine donnernde „Drohbotschaft“. Und ich befürchte tatsächlich, dass viele von uns dieses Evangelium so gehört haben, dass uns damit wieder einmal verdammt viel Angst eingeflößt werden soll. Wenn dieser Schritt aber schon erreicht ist, dann ist es häufig auch nicht mehr weit bis zum „Geschäft mit der Angst“, welches man der Kirche – auch heute noch – ganz gerne unterstellt. Damit will ich nun keinesfalls bestreiten, dass es eine solche „rabenschwarze Pädagogik“ bei „Kirchens“ nicht gegeben hätte und dafür ist sicherlich nicht nur Janosch ein Kronzeuge dafür. Erinnern wir uns einfach zurück, was sich vor 3-4 Jahren im Zuge der Missbrauchsgeschichten diesbezüglich alles an Verwirrungen und Verirrungen aufgetan hat. Viele unter uns sind sicherlich auch noch so erzogen worden, dass sie mehr aus Angst denn aus Einsicht das Einhalten der Gebote Gottes gelernt haben.
Mit diesem einfachen Strickmuster verfehlen wir aber gnadenlos den froh- machenden Kern der Botschaft Jesu, der auch – man sollte es kaum für möglich halten – im eben gehörten, so ernsten Evangelium durchaus zu vernehmen war: „Lasst euch nicht erschrecken!“ Immer und immer wieder heißt es doch aus Munde Jesu: „Fürchtet euch nicht!“ Und da wird für mich deutlich: Das Evangelium ist eine Botschaft der Angstbewältigung, der Angstüberwindung und nicht der Angsterzeugung! Sonst reißen wir auseinander, was zusammengehört und was durchaus miteinander vereinbar ist: nämlich Freude und Ernst, Hoffnung und Angst, Gottvertrauen und dieser Realismus, der eben nicht überspielt, dass es in dieser Welt für uns alle, für Kinder und Eltern, für Jugendliche und Erwachsene durchaus Grund zur Angst gibt. Gerade weil Jesus davon überzeugt war, dass Gott sich das Heft eben nicht aus der Hand nehmen lässt und alles zum Guten wenden kann, sah er diese Welt und uns Menschen ganz realistisch. Das ist aber auch der Grund weshalb er eine frohe und keine lustige Botschaft gebracht hat.
Deshalb gehe ich, wenn ich herausfinden möchte, welche Impulse ein Ab-
schnitt der Heiligen Schrift für meine persönliche Glaubenspraxis bereithält
ganz gerne her und versetze mich in die biblischen Figuren hinein. Ich versuche, ihre Gefühle nachzuempfinden oder ihre Gedanken weiterzudenken. Manchmal reizt es mich dann auch, den Schriftstellern des Neuen Testamentes über die Schultern zu schauen; einen Blick auf ihre Schreibtische zu werfen, um ihre theologische Handschrift zu entziffern. Nur so kann ich ihre Vorlieben und Absichten erkennen und dem Kernanliegen ihrer Texte auf die Schliche kommen. Wenn ich also Lukas heute über das Entstehen dieses 21. Kapitel seines Evangeliums fragen könnte, dann käme seinerseits vielleicht folgende Antwort bei mir an:
Bevor ich etwas zu diesem – zugegebenermaßen schwierigen – Abschnitt sage, muss ich Ihnen zunächst erklären, welches Ziel ich mit meinem gesamten Evangelium verfolge. Ich will meinen Leserinnen und Lesern, den Hörerinnen und Hörern nicht nur vermitteln, was Jesus in der Vergangenheit einmal getan oder gesagt hat, sondern ich möchte ihnen auch deutlich machen, was der lebendige Christus heute wirkt und was er den Gläubigen ans Herz legt. Mit anderen Worten: In den Geschichten von Jesus möchte ich ihn so zeigen, wie er den Menschen seiner Zeit begegnet ist und in seinen Worten will ich eher den auferstandenen Christus zu seiner Gemeinde sprechen lassen. Wir befinden uns ja um das Jahr 80 herum als ich diese Zeilen geschrieben habe, also rund 50 Jahre nach dem Tod Jesu. Seine Frohe Botschaft in diese unruhige, von Krisen, Irrlehren und Verfolgungen geprägte Zeit hinein, lässt sich meinerseits in zwei Stichworten zusammenfassen: Trost und Ermutigung. Beide spielen in der Passage meines Evangeliums, nach dem Sie fragen, eine entscheidende Rolle. Die Rede Jesu im Tempel, die ich – von einigen notwendigen Veränderungen abgesehen – von meinem Kollegen Markus übernommen habe, enthält für die Christen meiner Generation zwei Weisungen. Die Erste lautet: Legt die Zukunft ge-
trost in Gottes Hand!
Diese Weisung ist, das können Sie sich denken, bitter nötig in einer Zeit, in der einerseits noch viele Bilder und Vorstellungen vom nahen Weltende und der baldigen Wiederkehr Jesu im Umlauf sind. Andererseits hat sich aber bei vielen auch schon eine große Resignation und Enttäuschung eingestellt, weil die zweite Ankunft Jesu so lange auf sich warten lässt.
Legt die Zukunft getrost in Gottes Hand, meint dann für mich: Es hilft euch doch nicht weiter, Berechnungen über das Ende anzustellen. Die Zerstörung des Tempels, mit der man lange Zeit den Untergang der Welt verknüpft hatte, die liegt schon gut 10 Jahre zurück und die Welt existiert noch immer. Also: Verspielt doch nicht durch das Berechnen und Ausmalen der Zukunft eure Gegenwart. Außerdem hilft es euch doch auch nicht weiter, denen nachzulaufen, die predigen, dass das Heil jetzt schon in seiner ganzen Fülle da sei. Macht doch die Augen auf und ihr entdeckt an allen Ecken und Enden die Vergänglichkeit des Lebens und die Unzulänglichkeit der Menschen – Kriege, Aufruhr und andere Katastrophen: Das alles sind doch Zeichen dafür, dass das Heil noch nicht endgültig zum Durchbruch gekommen ist. Ihr spürt doch, dass Besitz und Glück nicht von Dauer sind und ihr seht doch überall, dass auch den Christen die Härte des Lebens nicht erspart bleibt. Allerdings hilft es euch auch nicht weiter, die Angst zu euren ständigen Begleiter zu machen und in jedem Ereignis den endgültigen Untergang zu wittern. Deshalb: Legt eure Zukunft getrost in Gottes Hand; das ist die eine Weisung, die durch eine zweite ergänzt wird:
Nehmt die Gegenwart mutig in eure Hand! Gerade jetzt, wo wir Christen vonseiten der Juden und vonseiten der Römer gewaltig unter Druck stehen, braucht es genau diese Ermunterung zum Handeln im Geist Jesu. Nehmt die Gegenwart mutig in eure Hand! Jetzt habt ihr die Chance, zu zeigen, wie wichtig euch die Sache Jesu geworden ist, wie sehr ihr euch gewandelt habt und anders zu leben versucht. Jetzt habt ihr die Chance an Widerständen zu wachsen und von eurem Glauben an Jesus weiterzuerzählen – nicht mit auswendig gelernten Glaubensbekenntnissen, sondern in der Sprache, die euch zu eigen ist und die andere anspricht und für andere verständlich ist. Jetzt habt ihr die Chance, wach und bewusst zu leben und anderen Menschen helfend, tröstend und ermutigend zu begegnen. Jetzt entscheidet sich, wie die Zukunft Gottes für euch aussehen wird – also: Nehmt die Gegenwart mutig in eure Hand!
Spüren Sie, wie wichtig es sein kann, einen Evangelisten in diesem Sinne zu befragen, was ihn an der Botschaft Jesu fasziniert, und was er seinen Leserinnen und Lesern, seinen Hörerinnen und Hörern besonders ans Herz legen will? Mir kann das jedenfalls helfen, mein eigenes Leben immer mehr auf die Grundlage der Bibel zu stellen und deshalb muss ich heute für mich auch nicht die Erkenntnis treffen: „Katholisch geboren worden zu sein, ist der größte Unfall meines Lebens!“ Mitnichten! Für mich persönlich ist vielmehr das Gegenteil der Fall, auch bei aller Unzulänglichkeit die ich in dieser, unserer Kirche antreffe. Doch ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und sage: Wenn ich die Erkenntnisse des Evangelisten auf mein Leben übertrage, dann kann im Blick auf das, was Christus uns – Ihnen und mir zutraut – sogar noch ein weiterer Schritt folgen. Der Schritt, in dem ich Jesus zu Ihnen und mir sagen höre: Schreibt ein 5. Evangelium – mit und durch euer Leben. Amen.

Infos unter:

Erstellt am: 18.11.2013 11:23 Uhr

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