Predigt zum 32. Sonntag im Jahreskreis 2011

L I: Weish 6, 12-16 / Ev.: Mt 25, 1-13
Schwestern und Brüder!
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“ Wir alle kennen diese Lebensweisheit des russischen Politikers Michael Gorbatschow, die im Zusammenhang von Perestroika und Glasnost zu einem mehr als geflügelten Wort bis auf den heutigen Tag geworden ist: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“ Doch diese Weisheit gilt nicht nur für die große Weltpolitik, nein – wir müssen sie auch immer wieder in unserem Alltag erfahren – oft ärgerlich, unangenehm und schmerzlich. Zu spät an der Haltestelle – und der Bus ist weg. Widrige Witterung, ellenlanger Stau – und die Tür zum Kunstgenuss an der Oper ist verschlossen. Zu spät an die Abgabe gedacht – und schon ist sie weg, die interessante Stelle auf dem Arbeitsmarkt. Solche und ähnliche Erfahrungen kennen wahrscheinlich die meisten von uns. Und wenn man sie des Öfteren macht, dann kann sich schon ein Unbehagen dergestalt einstellen, dass man sich fragt: Kommen immer nur die Schlauen, die Schnellen und die Fitten weiter? Und muss jetzt das Evangelium noch eins drauflegen? Muss es in die gleiche Kerbe hauen?

Ein anderer Spruch, der uns genauso bekannt ist, lautet: „Die Hoffnung stirbt immer zuletzt.“ Auch so eine Aussage, die vielen leicht von der Zunge geht, vor allem, wenn Katastrophenmeldungen um sich greifen. Das hören wir bei Naturkatastrophen wie in Thailand oder in der Türkei, bei der Krise um den Euro, aber auch in ganz kritischen Momenten unseres persönlichen Lebens. „Die Hoffnung stirbt immer zuletzt.“ Nur, ich glaube, dass dieser Spruch im Gegensatz zum ersten, nicht immer ganz stimmig ist. Fürs nackte Überleben mag er ja noch gelten, aber letztendlich ist er doch ganz stark davon abhängig, worauf sich diese Hoffnung gründet oder wohin sie sich richtet. Und da, so ist meine Befürchtung, stirbt manche Hoffnung doch recht früh.
Nun erzählt uns aber das heutige Evangelium von einer Hoffnung, auf die unser ganzes Christentum basiert: nämlich die Hoffnung auf das Reich Gottes. Und so beginnt ja auch das Evangelium: „Mit dem Himmelreich, also dem Reich Gottes, ist es wie…“Und dann erzählt es von einem vergleichenden Bild; von Jungfrauen, die eine brennende Lampe haben, weil sie auf etwas warten. Sie warten auf die Begegnung mit dem Bräutigam, um mit ihm ein Fest zu feiern.
Das Bild, das dieses Gleichnis verwendet, ist in der biblischen Sprache durchaus üblich und deshalb sehr vertraut. Eine hochzeitliche Feier, das Kommen des Bräutigams – es ist, wenn wir es auflösen, ein Bild für das Entgegenkommen Gottes, für die erhoffte und ersehnte Zeit des Heils. Es geht hier also um Menschen, die auf die Begegnung mit Gott warten; die darauf warten, dass sie in dieser Begegnung mit ihm etwas erfahren, was ihr Leben mit Freude, mit Glanz oder auch mit Heil erfüllt. Oder anders gesagt: es geht um Menschen, in denen die Hoffnung lebt, dass eines Tages ihre ganz eigene Lebenswelt zum Reich Gottes verwandelt werden wird. Deshalb ist das Licht, das diese Jungfrauen mit sich tragen, ein Bild für genau diese Hoffnung. Ein Bild, das die Hoffnung immer wieder vor Augen führt: Gott wird auch in mein Leben treten, ich werde ihm begegnen und es wird ein Festtag für mich sein, ein Tag der Freude.
Es wäre mehr als schön, wenn ich von dieser Hoffnung für mich sagen könnte: „Sie stirbt immer zuletzt.“ Es wäre schön, wenn ich sagen könnte: Was immer auch in meinem Leben geschieht, dieses Hoffnungs-Licht in mir, es wird nie ausgehen. Wie gesagt: es wäre schön – aber so ist das Leben nicht immer, auch nicht das Leben eines Christen. Das Evangelium erzählt uns nämlich nicht nur eine Geschichte von Jungfrauen, von brennenden Lampen und dem Licht, welches solange brennt, bis sie Gott begegnen und mit ihm feiern, sondern es erzählt uns auch die Geschichte von verlöschenden Lichtern. Es erzählt uns auch die Geschichte von Menschen, deren Hoffnung, Gott zu begegnen, zu früh gestorben ist.
Dabei kann ich sehr wohl durchaus nachvollziehen, dass sich selbst Christen – vielleicht sogar hier unter uns – eher in diesen fünf „törichten“ Jungfrauen wiederfinden als in den klugen. Es könnte sein, dass ich in mir selbst entdecke: Meine Hoffnung auf Gott, auf die Begegnung mit ihm brennt nicht mehr; meine Hoffnung, von ihm mit Freude und mit einem Fest beschenkt zu werden, ist verloschen – ja vielleicht hat sie sogar gar nie richtig gebrannt. Und wenn es so ist?
Das Evangelium sagt uns, dass dieses Licht, diese Hoffnung auf Gott und sein Reich nicht von selber brennt. Diese Lampe der Hoffnung braucht Nahrung, sie braucht Öl. Wenn sie das nicht hat, geht sie aus – logisch. Bleibt also die Frage, was dieses Öl sein kann? Was kann es sein, das meine Hoffnung auf die Begegnung mit Gott zum Brennen bringt und am Brennen hält? Auf diese Frage antworten uns die frühen Mönchsväter: Schau in dein Herz! Welche Hoffnungen sind es denn, die in deinem ganz persönlichen Leben lebendig sind? Schau sie ganz genau an, denn sie sind vielleicht mehr, als es für dich den Anschein hat; ja, vielleicht sind sie genau die Tropfen Öl, die du brauchst, damit deine Hoffnung nicht erlischt.
Da ist zum Beispiel die bange Hoffnung im Sprechzimmer des Arztes, dass sich eine schlechte medizinische Diagnose doch nicht bewahrheiten möge: Vielleicht zeigt sich ja darin etwas von jener tiefen menschlichen Hoffnung nach einem heilen Leben. Nicht ohne Grund hängt ja das christliche Grundwort „Heil“ mit dem Wort „heilen“ zusammen. Vielleicht hat die konkrete Hoffnung nach medizinischer Heilung viel tiefere Wurzeln. Vielleicht spüre ich darin, tief in meinem Herzen, eben auch etwas von der Sehnsucht nach jenem Heil, das nur von Gott kommen kann. Oder da ist die ganz konkrete Hoffnung vieler Eltern, dass aus ihren Kindern doch „etwas werden“ möge. Und vielleicht gibt es genau darin eine Ahnung von dem, was gelingendes Leben ist. Vielleicht ist darin tief in der Seele etwas von dem verborgen, was wir Vertrauen und „Erlösung“ nennen. Oder nehmen wir die Hoffnung so vieler junger Menschen, Karriere zu machen, angesehen, wohlhabend und reich zu werden. Vielleicht steckt darin ja etwas von dieser tiefen Sehnsucht nach einem Leben in Fülle, nach dem, was die Bibel mit dem Bild des Hochzeitsmahles, beschreibt.
Verschiedene Hoffnungen, aber vielleicht geht es ja gar nicht immer nur um Hoffnungen, sondern auch um die Ängste. Weisen diese, meine Ängste, vielleicht über sich hinaus auf das, was Gott für mich an Erfüllung und Heil bereithält? Dann müssten wir uns aber fragen: Was sind unsere Hoffnungen? Was sind unsere Sehnsüchte und was unsere Ängste? Was bringt Ihr Herz zum Brennen und was meines?
Ich für meinen Teil möchte meinen, dass Jesus uns mit dem heutigen Evangelium den Rat gibt, mit unseren Ängsten, Sehnsüchten und Hoffnungen achtsam umzugehen. Sie als etwas Kostbares anzusehen, als etwas, was das Licht meiner Hoffnung nähren kann und es brennen lässt als eine tief in mir sitzende Sehnsucht, eines Tages Gott selbst zu begegnen und dann zu erfahren, wie sich meine ganz persönliche Lebenswelt in das Reich Gottes, die Welt der Freude und des Glücks verwandelt. So wie bei jener Ordensfrau von der folgendes erzählt wird:
Als die hochbetagte Schwester fühlt, dass ihre Stunde des irdischen Abschieds gekommen ist, da äußert sie gegenüber ihren Mitschwestern den Wunsch: „Wenn ich sterbe, dann gebt mir bitte ins Grab zwei Dinge mit: einen Rosenkranz und einen kleinen Löffel.“ Die Mitschwestern sind erstaunt darüber: „Einen Rosenkranz – ja, das passt! Aber was bitte schön, willst du denn mit einem kleinen Löffel?“ – „Das ist mir ganz wichtig“, beharrt die Ordensfrau, „ denn als ich klein war und bei uns zu Hause der Tisch gedeckt wurde, da lag dann manchmal neben dem Teller und dem übrigen Besteck ein kleiner Löffel und der zeigte uns dann, dass es heute einen Nachtisch gibt. Das war für mich jedes Mal die Verheißung: Das Beste kommt noch! Darum gebt mir bitte einen kleinen Löffel in meine Hand, wenn ich verstorben bin. Denn für mein Leben gilt doch auch: Das Beste kommt noch!“
Ja, das Beste kommt noch. Weit über alles Vorläufige hinaus, mit dem wir uns oft allzu intensiv beschäftigen. Das Beste kommt noch: Das, worauf alles hinausläuft; das, worin alles sich erfüllt. Das Fest, zu dem Gott uns einlädt und Erfüllung für unser eigenes Leben mit all seinen Dürftigkeiten. Nicht „wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“; nicht „die Hoffnung stirbt immer zuletzt“ – sondern: Das Beste kommt noch – für Sie und für mich! Amen

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Erstellt am: 06.11.2011 18:24 Uhr

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