L I: Sir 35, 15b-17.20-22a. / Ev.: Lk 18, 9-14
Schwestern und Brüder!
Wissen Sie was ein Pharisäer ist? Das ist ein gehöriger Schuss Rum, zur Tarnung etwas Kaffee darüber und zur Krönung eine Haube aus Schlagsahne. In der Regel kostet ein solcher Pharisäer 3,50 Euro und jede Küstenkneipe im Norden Deutschlands hat ihn auf der Getränkekarte. Als ich davon zum ersten Mal hörte, dachte im Stillen an unsere schwäbischen Maultaschen – die sogenannten „Herrgottsbscheißerle“ –, die deshalb so genannt, weil man das inwendig versteckte Fleisch nicht sieht. Was beiden also gemeinsam ist, liegt auf der Hand: Anderes scheinen als sein.
Dieses anders scheinen als sein, das haben viele Zeitgenossen in den
vergangenen Tagen und Wochen auch uns Kirchenleuten vehement vorgeworfen – frei nach dem Motto: „Ihr seid doch alles Pharisäer“. Auslöser für diesen Rundumschlag war vor allem das Verhalten eines Oberhirten, welches aber vielen mal wieder dazu gedient hat, generalstabsmäßig über alle in der Kirche herzuziehen. Schaut: Wasser predigen sie bei der Kirche, aber Wein trinken sie. Oder um es mit den Worten besagter Tageszeitung mit den 4 Buchstaben zu sagen: Protzbau für den Bischof, aber kein Geld für die Gemeinden.
Auf diesem Hintergrund war denn auch mein erster Gedanke bei diesem Bibeltext: Gut, dass Jesus den Pharisäern eine gewaltige Abfuhr erteilt hat und gut, dass so auch die ganze Unaufrichtigkeit in unserer Kirche und unserer Gesellschaft mal an den Pranger gestellt werden kann. Diese Frömmigkeit, die oft nur sich selbst und das eigene Seelenheil im Blick hat, die geht mir eh gewaltig auf die Nerven. Ich kann also mal wieder so richtig vom Leder ziehen und auch den eigenen Leuten die Leviten lesen.
Doch wie ich so darüber nachgedacht habe, was ich sagen will, habe ich
gemerkt: Hoppla, der Text wendet sich ja auch gegen mich. Hier geht es gar nicht so sehr ums Keulen schwingen gegen andere, sondern wie oft hab ich denn selber schon gesagt: „Danke, Herr, dass ich nicht so bin, wie diese oder dieser da!“ Und es hat sich für mich mal wieder glasklar bewahrheitet, dass man so manchen Bibeltext eben auch „gegen sich selbst“ lesen muss, um ihn am Ende tatsächlich richtig zu verstehen. Also wechseln wir doch mal den Standort und verlassen wir den so scheinbar sicheren Boden unserer Überzeugungen und nehmen wir die beiden Hauptakteure dieser Geschichte in den Blick.
Die Sympathien der meisten von uns gehören zweifellos dem Zöllner, der auch bei Jesus überraschend gut weg kommt. Außerdem wirkt es fast sogar rührend, wie er da so verloren im Tempel rumsteht und kein Wort herausbekommt. Dabei sollten wir aber nicht außer Acht lassen, dass Zöllner in Israel Kollaborateure der römischen Besatzungsmacht waren. Viele bereicherten sich schamlos auf Kosten ihrer Landsleute und hatten deshalb ein ähnlich miserables Ansehen wie heutzutage die Manager, die ganze Banken ins Trudeln, dabei aber ihre eigenen Scheinchen ins Trockene gebracht haben. Oder wie Politiker, die doppelte Bezüge erhalten und deshalb der Steuerzahler dran glauben muss. Oder eben der Bischof, der sich gedacht hat, wenn wir schon bauen, dann richtig fürstlich, Geld ist genug da.
Auf der anderen Seite ist der Pharisäer. Für uns ein Urbild des aufgeblasenen Frommen; arrogant und selbstgerecht, ohne jegliche Barmherzigkeit. Sicherlich: das stimmt. Aber was bitte schön ist dagegen einzuwenden, wenn jemand strenggläubig ist und seinen Glauben ernst nimmt? Wenn jemand betet und fastet? Und außerdem: Die Pharisäer waren es, die dafür Sorge getragen haben, dass die Menschen in Israel auch unter der römischen Besatzung ihre Identität wahren konnten. Dass sie wussten: Das ist unsre Tradition, unsere Geschichte, unser Glaube, der uns Halt gibt. Übrigens hatte Jesus ja auch Freunde unter den Pharisäern. Denken wir nur an Nikodemus, der ihn bei Nacht aufgesucht und ihn später gegen seine Pharisäerkollegen in Schutz genommen hat. Es ist also alles gar nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint.
Was eindeutig ist, das ist der Ort, an dem die Geschichte spielt. Der Tempel – und das war unstrittig – das ist für die Israeliten die Wohnung Gottes. Also dürfen wir davon ausgehen, dass sowohl den Pharisäer als auch den Zöllner der gleiche Gedanke beschäftigt hat: Mit Gott reden, ihn erfahren, ihm auf die Spur kommen – das geht wohl nur hier im Tempel. Nun macht Jesus allerdings mit dieser Geschichte auch deutlich: Der Ort allein ist nicht ausschlaggebend. Natürlich kann er ein religiöses Empfinden auslösen oder auch eine weihevolle Handlung in Gang setzen. Aber der Glaube, so wie ihn Jesus versteht, der bewahrheitet sich im Umgang mit den Menschen, mit denen ich zu tun habe. Und da treten die Unterschiede unserer beiden Akteure doch ganz offen zutage:
Der Pharisäer, Stammgast im Tempel, ist hier mit Gott auf du und du. Er weiß, wann man sich im Gottesdienst setzt, wann man aufsteht; er weiß, wann aus der Schrift gelesen wird, wann welche Gebete gesprochen werden usw. Aber trotz allem scheint da mit seinem Glauben etwas nicht zu stimmen. Denn immerhin hält es dieser routinierte Fromme für nötig, Gott zu erinnern und ihm auf die Sprünge zu helfen im Stil von:“Herr erinnerst du dich? Ich bin’s. Ich faste zweimal am Tag und geb den Zehnten von meinen Einnahmen.“ Spüren Sie etwas? Hinter all dieser Rechtgläubigkeit verbirgt sich eine große Unsicherheit; ja vielleicht sogar die Angst, man könnte es Gott eben doch nicht recht machen. Und das ganze Fasten, Opfern und Gebote befolgen – ja vielleicht sogar das Beten ist für ihn nichts anderes als eine Krücke, an der er durch sein Glaubensleben humpelt. Genau in dieser Unsicherheit greift der Pharisäer zum rabiatesten aller Mittel: Er vergleicht sich mit dem Zöllner, dem er doch haushoch überlegen ist. Dieser Schmalspurgläubige, der nicht mal weiß, wie man sich hier benimmt, der kann mir doch nicht das Wasser reichen.
Genau dieses Vergleichen mit anderen, das steckt irgendwie in uns allen. Und je nachdem, mit wem wir uns vergleichen, stürzt uns das in einen Anfall von Depression oder es beschert uns einen Höhenflug. Und warum das alles? Weil unsere Leistungsgesellschaft Siegertypen verlangt. Menschen, die schön, stark, kreativ, reich oder wenigstens erfolgreich sind. Nur – da wo es Sieger gibt, gibt es immer auch Verlierer. So ist die Welt und so funktioniert die Gesellschaft. Jesus war Realist genug, um genau das zu wissen. Deshalb hat er auch seinen Freundinnen und Freunden immer wieder gesagt: „Arme habt ihr immer unter euch.“ Oder: „Die Kinder der Welt sind doch um einiges klüger als die Kinder des Lichts.“ Trotzdem gilt: Bei Gott gelten andere Maßstäbe. Er urteilt anders, als es eben in unserer Welt zu urteilen üblich ist: „Der Zöllner kehrt als Gerechter nach Hause zurück“, soll heißen: Der war Gott recht, so wie er war.
Bleibt die Frage: Hat Gott hier beide Augen zugedrückt angesichts der Tatsache, dass dieser seinen Lebensunterhalt mit Wucherei und Korruption bestritten hat? Das wiederum glaube ich nicht. Vielmehr war der Zöllner unglücklich mit seinem Leben. Er wusste, dass er vor Gott nichts vorweisen kann: Weder Glauben und schon gar nicht gute Taten. Aber er wendet sich trotzdem an Gott, von dem er doch so wenig weiß. Er macht es schüchtern, zögernd, tastend – wohl wissend, dass er keinerlei Ansprüche geltend machen kann. „Sei mir Sünder gnädig“, das ist alles, was er rausbekommt, und Gott genügt es vollkommen.
Nun wird ja – wie eingangs erwähnt – der Kirche und dem himmlischen Bo-
denpersonal oft der Vorwurf gemacht: „Ihr predigt den Menschen Wasser
und lasst es euch selbst mit Wein gut gehen.“ Oder anders gesagt: „Ihr legt
es doch darauf an, das Selbstbewusstsein der Menschen in Frage zu stellen oder gar zu brechen. Erst durch eure Predigt macht ihr doch die Leute zu Sündern vor Gott. Und wenn die Leute erniedrigt sind, dann könnt ihr die moralische Keule schwingen.“ Ich gebe gerne zu, dass wir alle – auch und gerade die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – in der Versuchung stehen, sich über andere Gläubige zu erheben. Und unsere Kirche hat in der Tat Phasen erlebt, in denen sie der Versuchung der Machtausübung nicht widerstehen konnte. Damit hat sie das Evangelium pervertiert und mit dem Glauben an Jesus und seine Botschaft hat das nichts zu tun. Aber dem Zöllner hier in unserer Geschichte, dem hat keine religiöse Instanz ein schlechtes Gewissen gemacht, sondern sein eigenes Leben. Es geht ihm da also kein Haar anders wie Ihnen und mir:
Unser Leben ist die Folge von Entscheidungen, manchmal auch von Zwängen, Denkmustern und Bedingungen, die wir vorfinden. Und wer mit offenen Sinnen durchs Leben geht, dem dämmert schnell: Wir werden immer jemandem etwas schuldig bleiben – aus Schwäche, aus Unkenntnis, aus schicksalhafter Notwendigkeit. Aber Jesus sagt uns mit dieser heutigen Geschichte: „Ihr müsst doch Gott nichts vormachen oder vorrechnen. Vertraut ihm, ohne Angst. Er liebt euch und ihr seid ihm wichtig.“ Der Zöllner hat gesagt: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ Für uns klingt das altbacken, nach Strafe, nach Betteln um Gnade. Dabei könnten wir doch auch sagen: „Ich will dir vertrauen“, „ich setze meine Hoffnung auf dich“, „lass mich nicht im Stich, ich brauche dich, Gott“. Vielleicht sind uns solche Worte näher, verständlicher. Für mich drücken sie dasselbe aus, was der Zöllner gesagt hat.
Nehmen wir diese, seine Geschichte, als eine Einladung zum Glauben; als eine Einladung, die Freundlichkeit, die Großzügigkeit und die Liebe Gottes für unser Leben immer wieder neu zu entdecken. Amen.
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Erstellt am: 28.10.2013 11:21 Uhr