Predigt zum 3. Adventssonntag 2013 (15.12.)

L I: Jes 35, 1-6b.10 / Ev.: Mt 11, 2-11
Schwestern und Brüder! „Gaudete – freuet euch“, so ist seit alters her der 3. Adventssonntag überschrieben. Und doch frage ich mich: Warum sollen wir uns freuen? Weil in knapp zehn Tagen Weihnachten ist? Das Evangelium schildert uns ja alles andere als einen Grund zur Freude. Da sitzt Johannes im Gefängnis und kommt ganz gewaltig ins Grübeln. Seine Frage: „Bist du es – oder sollen wir auf einen anderen warten?“, diese Frage klingt bis heute nach – auch als Frage an die Kirche und das Christentum: Ist durch die Kirche, ist durch das Christentum, die Welt wirklich anders oder gar besser geworden? Ist von der Kirche und ist vom Christentum wirklich die Rettung der Welt zu erwarten?
Ich spüre vielfaches Unbehagen, wenn wir heute sagen sollen, was das Christentum tatsächlich bewirkt hat. Nicht, dass man das Gute, das von Jesus ausgegangen und was alles in seinem Namen geschehen ist, nicht schätzen oder es gar übersehen würde; das meine ich nun weiß Gott nicht. Aber was ist das denn verglichen mit all dem Bösen, das nun in dieser Welt doch eher mehr als weniger wird? Und wir wissen ja auch, was von kritischen Zeitgeistern kommt, wenn über dieses Thema gesprochen wird: Dass es im Namen des Christentums zu Kreuzzügen, zu Ketzerverbrennungen und Konfessionskriegen kam; dass das Christentum die Sexualität verteufelt hat und die Lust des Menschen diesbezüglich bis heute anscheinend nicht gut heißen kann; dass die Frauen diffamiert wurden und werden – und auf den Zug der Menschenrechte, der doch eigentlich vom Christentum hätte angeführt werden müssen, da seien wir ja auch erst im Nachhinein aufgesprungen… Wenn man das alles so hört, ist es dann nicht witzlos, sich vom Christentum die entscheidende Hilfe für die Welt zu erwarten?
„Bist du es, der kommen soll – oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Jesus gibt uns im heutigen Evangelium dieselbe Antwort wie er sie gegenüber Johannes damals geäußert hat: „Geht und berichtet, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote werden auferweckt und den Armen eine gute Botschaft gebracht.“ Gleichzeitig sagt er aber auch zu all dem: „Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“ Und warum? Weil er spürt, wie Johannes und wahrscheinlich andere mit ihm – wir heutzutage vielleicht eingeschlossen –, sich das Eingreifen Gottes zur Umgestaltung dieser Welt ganz anders vorgestellt haben als es durch Jesus tatsächlich geschehen ist. Das Gericht Gottes, welches Johannes in seiner Umkehrbotschaft bildlich vor Augen hat, das ist so ganz anders als das, was Jesus sagt und auch Jesus selbst wirkt auf ihn so gar nicht wie der Vollstrecker, als den Johannes den Messias angekündigt hat. Deshalb auch seine bange Frage. Dass da einer Blinden die Augen öffnet und Lahmen auf die Beine hilft, dass Armen eine gute Nachricht gebracht wird – ja um alles in der Welt, dass verändert doch nicht wirklich den Lauf der Dinge – so denkt nicht nur Johannes. Und selbst das mit der Totenerweckung: Flächendeckend, umstürzend, ja weltbewegend war das alles nicht. „Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“ Wer das machtvolle Durchgreifen Gottes von oben erwartet hat, die Beseitigung alles Krummen und Ungeraden, der muss an Jesus und seinem Wirken, und der muss am Wirken der Kirche und noch dazu ihrer Unzulänglichkeiten natürlich Anstoß nehmen. Denn ganz offensichtlich ist Gottes Wirken anders. Er regiert nicht über die Köpfe der Menschen hinweg, sondern er sucht ihr Herz zu gewinnen. Das ist der Weg Jesu und das ist der Weg des Evangeliums. Die Erlösung, die wir quasi im Großen vermissen, die findet im Detail ständig statt. Mikro-Realisation – sagen die Franzosen zum Vorgehen Gottes: Verwirklichung im Kleinen.
Und schlussendlich ist es ja wahr. Um wie viel dunkler wäre es denn in dieser Welt, wenn es das Evangelium nicht geben würde. Wie viele Menschen hat es aufgerichtet, wie vielen Kraft zum Aufstehen und zum Hinstehen gegeben? Wie vielen hat es Trost im Loslassen geschenkt, Befreiung aus Herzensverhärtungen und wie viele hat es auferweckt aus dem Tod der Liebe? Und selbst wenn diese Kirche ihre eigene Botschaft – das frohmachende Evangelium – oft genug verraten hat; es ist trotz allem eben auch die Kirche, ohne die das Evangelium nicht verkündet worden wäre; ohne die Sie und ich wahrscheinlich nichts von dieser Botschaft nie etwas vernommen hätten.
So stehen wir also im Advent. Vielleicht ist er für viele entleert und zu einer bloßen Wartezeit auf Weihnachten hin geworden – einer Wartezeit, die eigentlich keine mehr ist, weil es ja schon wochenlang in den Geschäften und Medien weihnachtlich säuselt und dudelt. Wenn wir aber den Advent ernst nehmen, dann ist er – ich habe das schon am ersten Advent gesagt – weit mehr als nur ein Vorspann auf Weihnachten hin; dann öffnet er uns nämlich die Augen dafür, dass unser ganzes Leben im Advent steht – ja dass unser ganzes Leben ein Leben im Advent ist. Denn die letzte Erfüllung, die werden wir erst am Ziel unseres Lebens finden, wenn die große Vision auf der letzten Seite der Bibel für jede und jeden von uns wahr wird: „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde….“
Die Erlösung im Großen steht also noch aus, aber im Detail beginnt sie jeden Tag neu – und zwar überall dort, wo wir Gott in unserem Leben Platz machen. Zum Beispiel, in dem ich hin höre, was der andere mir sagen will und ein Feingespür für den anderen entwickle – und: in dem ich sehe, was Not tut. Wir brauchen unsere Augen vor der Wirklichkeit dieser Welt nicht zu verschließen – rosa Brillen sind endgültig passé! Oder ich mache Gott Platz in meinem Leben, in dem ich auf Kritik achte, ohne gleich zurückzuschießen und zu verurteilen. Oder in dem ich lerne mit meinen Fehlern oder auch meinen Unzulänglichkeiten zu leben; Schwächen gehören zu mir, Fehler darf ich mir eingestehen und durch Schuld, derer ich mir bewusst bin, brauche ich mich nicht zu verachten. Oder in dem ich lerne und zulasse, das Leben und die Menschen zu lieben; dass ich all das, was Gefühle und Gedanken in mir lähmt ablege, weil das Leben in all seinen Facetten auf mich wartet. So kann ich vielleicht auch anfangen, das Stachlige eines Menschen nicht nur unausstehlich, sondern vielleicht sogar sympathisch zu finden. Und: All das, was ich gefühlsmäßig in der Vergangenheit begraben habe, das darf aufstehen zu neuer Hoffnung. So kann ich mich dann auch weiterhin engagiere, selbst wenn kein Dank zurückkommt…. Ja, adventlich leben heißt: Gott gerade in den kleinen Zeichen ankommen zu lassen und auch im Unvollkommenen den Charme Gottes zu erkennen.
Und noch ein Gedanke: Auch an Weihnachten werden wir wieder beten, „Dein Reich komme!“; doch das Fest wird leicht zur Enttäuschung, wenn es von unseren Übererwartungen erdrückt wird. Den Übererwartungen, als müsse da der Himmel so auf die Erde herabkommen, dass sich alles in Wohlgefallen und Harmonie auflöst. Weihnachten aber wird umso wahrer und echter, je mehr es eben eine Station im Advent Ihres und meines Lebens ist; eine Station, die uns von Neuem die Augen öffnet für die Zeichen Gottes mitten in unserem Lebensgedränge. Sicherlich: Manchmal scheinen uns diese Zeichen Gottes allzu klein zu sein und im Blick auf das, was Menschen in dieser Welt oft durchmachen müssen, bleibt der Zweifel stehen, ob die Verheißungen Gottes nicht doch kraftlos und leer sind. Gerade deshalb bleibt dem Glaubenden von heute eben weder die Frage des Johannes: „Bist du der, der kommen soll…?“ erspart, noch die Frage von Maria: „Wie soll das geschehen?“
So gesehen glaube ich sogar, dass die Situation der Kirche und unsere
ganz persönliche in mancher Hinsicht der des Johannes im Gefängnis gleicht. Nur fragen wir eben ein klein wenig anders: Hat Gott das Heft wirklich in der Hand? Können wir seinen Verheißungen trauen? Stehen wir als Christen und als Kirche nicht auf verlorenem Posten in dieser Welt? Sind wir nicht wie gebunden und gefesselt, immer in Beweisnot, wenn wir die Hoffnung hochhalten wollen?
Aber nicht nur persönlich stehen wir im Advent, sondern auch als Kirche. Und vielleicht müssen wir als Kirche wie Johannes lernen: Nicht um unseren Platz in dieser Welt geht es, sondern darum, Gott Platz zu machen. Darum ist es auch so eine Sache mit dem Nachweis, wie wichtig und wertvoll die Kirche, das Christentum, für die Gesellschaft ist. So richtig durchschlagend sind die Argumente nicht; schon gar nicht, wenn sie so formuliert werden, wie es ein Bischof mal getan hat, indem er sagte: „Denken Sie daran, Sie brauchen die Kirche, nicht die Kirche Sie!“ Da war der gute Hirte einfach schief gewickelt. Denn was wäre ein Bischof, eine Kirche, ohne Volk? Deshalb darf sie auch nicht mehr nur von oben herab Vorgaben machen, sondern sie muss wie Jesus geschwisterlich denken und handeln. Nicht auf ihre Unentbehrlichkeit für das Wertebewusstsein darf sie verweisen, sondern sie muss Gottes verborgenes Wirken öffentlich und deutlich machen: „Blinde sehen, Lahme gehen, Gebeugte werden aufgerichtet und den Armen eine frohe Botschaft verkündet.“
Dazu aber bedarf es Menschen, die eine geschwisterliche Kirche bilden, die einander das freie und offene Wort einräumen und die das Evangelium immer wieder neu in diese Zeit übersetzen und leben. Dann – und nur dann – haben wir allen Grund diesen Sonntag zu feiern: „Gaudete – Freuet Euch!“ Amen!

Infos unter:

Erstellt am: 22.12.2013 12:47 Uhr

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