L II: Hebr 4, 14-16 / Ev: Mk 10, 35-45
„Was Jesus wirklich wollte“; „Die verborgene Lehre des Jesus von Nazareth“ und auch „Die Jesus Dynastie“. So oder ähnlich, Schwestern und Brüder, lauten seit Jahren die Buchtitel, die auf Messen oder in den großen Verlags- und Buchversandhäusern für kräftige Verkaufszahlen sorgen. Demnächst kommt wohl noch umsatzfördernd hinzu: „Jesus hatte eine Frau; wer war sie?“ Regelmäßig wird auf diese Art und Weise einer interessierten Leserinnen- und Leserschaft eine neue Sensation in Aussicht gestellt. Zwischen einem teils reißerischen Boulevard-Journalismus und dem gemäßigten Ton eines theologischen Sachbuches sollen so einer breiten Öffentlichkeit neue Erkenntnisse vermittelt werden. Endlich soll Licht in jene Geschichte gebracht werden, die seit knapp zweitausend Jahren erzählt wird. Endlich soll sie auf den Tisch, „die verborgene Lehre des Jesus von Nazareth“ und seines geheimnisumwitterten Lebenswandels.
Aber zwischen den Buchdeckeln so verheißungsvoller Titel findet man dann doch immer nur dieselben – oder zumindest ähnlich lautenden – Geschichten: Dass die Bibel Jesus total verfälscht darstelle bis hin zur Überlegung, dass der Vatikan selbst die Bibel entsprechend gefälscht habe und in seinen Archiven Dokumente schlummern, die genau das belegen und uns das Bild eines ganz anderen Jesus zeichnen würden. Die Autorin bzw. der Autor hat das natürlich alles sehr genau recherchiert und ausgewertet und kommt deshalb zu dieser bzw. jener Überzeugung. Was der Leserschaft so als Ergebnis einer detaillierten Jesus-Forschung präsentiert wird, spiegelt oft nicht mehr wider, als die Vorlieben und Überlegungen der Autoren selbst – und damit dann das Ganze wenigstens noch etwas fundierter oder wissenschaftlicher rüberkommt, belegt man die Aussagen mit Entdeckungen in Schriftrollen aus Qumran oder anderen Papyrusfragmenten. Was aber ist das Ende vom Lied – oder besser gesagt von solchen Veröffentlichungen? Es wird uns ein Jesusbild präsentiert, das vom politischen Räuberhauptmann bis hin zum sanftmütigen Vegetarier und Brot backenden Familienvater reicht und das alle, aber auch gar alle Facetten menschlichen Denkens und Meinens bedient. Vielleicht weiß man ja am Ende etwas mehr über den Autor; aber über Jesus selbst weiß man in aller Regel nicht mehr als zuvor. Die versprochene Sensation – sie bleibt in steter Regelmäßigkeit aus.
Und doch gibt es sie tatsächlich, „die verborgene Lehre des Jesus von Nazareth“. Im Evangelium haben wir heute wieder von ihr gehört: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken, und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein.“ Diese Lehre ist in der Bibel festgehalten und sie wird seit nahezu zweitausend Jahren verkündet und weitergegeben. Also ist sie alles andere als geheim und doch hab ich den Eindruck: sie ist fast so verborgen wie eine Schriftrolle im Wüstensand. Sichtbar allerdings – und das ist vielen heutzutage genauso wenig fremd wie damals – sichtbar und hautnah spürbar ist vielmehr die Tatsache, dass die beiden Zebedäussöhne ihr „Vitamin B“ bei Jesus ausspielen wollen, um die guten Plätze neben dem Herrn und Meister zu ergattern. Was steckt dahinter?
Jakobus und Johannes wollen sich eine Machtposition sichern, und liebend gerne gegenüber den anderen, vor allem den anderen Jüngern, am längeren Hebel sitzen. Dieses, wie wir Schwaben sagen, „ehrenkäsige“ Verhalten zeugt davon, dass die beiden nichts, aber auch gar nichts von dem kapiert haben, was Jesus seinen Freunden auf dem langen, gemeinsamen Weg eigentlich nahebringen wollte. Ihm ging es nicht darum, Ehre und Macht oder sonst einen Vorteil einzuheimsen, sondern den Anbruch des Reiches Gottes zu verkünden. Dieses Reich Gottes funktioniert aber nun mal nicht
nach den Spielregeln der Macht, nicht nach den Gesetzen der Politik und auch – das muss man einfach so sagen – nicht nach den Mechanismen kirchlicher Hierarchie.
An Jesus selbst können wir ablesen, was es mit dem Reich Gottes auf sich hat: es ist ein einziger Abstieg, eine Karriere nach unten. Es beginnt damit, dass Gott selbst in diese Welt herabsteigt, ja in sie einsteigt in dem Menschen Jesus von Nazareth. Es setzt sich fort in dessen Herabbeugen zu den armen, den ausgestoßenen und notleidenden Menschen, und es führt über sein Kreuz sogar zum Hinabstieg in das Reich des Todes. Erst dort, am untersten, am – menschlich gesehenen – tiefsten Punkt, da erst beginnt die Herrlichkeit der Auferstehung. Aber in dem Gott in Jesus so tief hinabsteigt und sich so erniedrigt, können andere aufstehen; können andere wieder aufrecht gehen, befreiter atmen und sich als gleichberechtigte Menschen fühlen.
Genau das aber fällt den beiden Zebedäussöhnen schwer zu verstehen, und ich glaube, mit ihnen auch vielen von uns. Deshalb versucht Jesus uns allen noch einmal zu erklären, dass seine Freundinnen und Freunde eine Alternative zur bestehenden gesellschaftlichen Ordnung sein sollen. Bei uns kann und darf es also nicht darum gehen, anderen die Köpfe zu waschen, sondern vielmehr die Füße. Und wer der oder die Größte unter uns sein will, soll Dienerin oder Diener aller sein. Damit das Reich Gottes glaubwürdig wird und wirklich weiter wachsen kann, bedarf es genau dieser Glaubwürdigkeit, bedarf es unserer Bereitschaft, mit Jesus eine Karriere nach unten zu machen.
Wir feiern heute den Weltmissionssonntag und wir feiern in diesen Tagen auch die Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren. Beim Nachlesen über dieses Konzil fiel mir auf, wie so manche Bischöfe ihre Mitbrüder ermahnt haben, dass das Gehabe der Kirche und ihrer Vertreter oft kaum einen Unterschied zur Politik und zur Gesellschaft darstellen würde. Dass Jesus aber doch gesagt habe: „Bei euch soll es nicht so sein, wie bei den Mächtigen dieser Welt.“ Und sie erinnerten an prophetische Frauen und Männer, die das gelebt haben: einen Franz von Assisi, eine Elisabeth von Thüringen, einen Martin von Tours und viele andere. Deshalb beschlossen 40 Bischöfe am Ende des Konzils einen sogenannten Katakombenpakt, dem sich nachher weitere 500 Bischöfe angeschlossen haben. Die Eckpunkte dieses Paktes helfen sicherlich auch uns – Ihnen und mir – gerade heute an diesem Missions-Sonntag bei der eigenen Gewissenserforschung und zum besseren Verständnis des Evangeliums. Da heißt es nämlich unter anderem:
-Wir wollen so leben im Blick auf Wohnung, Essen und Verkehrsmittel, wie die Menschen um uns herum.
-Wir verzichten darauf, in und durch unsere Amtskleidung als Reiche zu erscheinen. Deshalb lehnen wir allen bischöflichen Prunk ab.
-Wir wollen weder bischöfliche Immobilien besitzen noch nicht notwendiges Mobiliar.
-Wir lehnen es ab, mit Titeln angesprochen zu werden.
-Wir werden weder Reiche noch Nächtige in unserer Arbeit bevorzugen.
-Wir wollen uns vor allem den Benachteiligten und Unterentwickelten zuwenden.
-Unsere sozialen Werke, die wir unterstützen, sollen sich auf Liebe und Gerechtigkeit gründen und Frauen und Männer in gleicher Weise im Blick haben.
– Das Gleiche wollen wir durch unseren Einsatz bei den Verantwortlichen unserer Regierungen durchsetzen.
Der Katakombenpakt endet dann mit der vierfachen Verpflichtung:
-Wir werden das Leben mit unseren Geschwistern in Christus teilen und
gemeinsam mit ihnen unser Leben ständig kritisch hinterfragen und prüfen.
-Wir bemühen uns darum, menschlich präsent, offen und zugänglich zu werden.
-Wir wollen uns Menschen gegenüber offen erweisen, gleich welcher Reli
gion sie auch angehören mögen.
-Nach unserer Rückkehr werden wir diese Verpflichtung öffentlich machen und darum bitten, dass die Menschen uns durch ihr Verständnis, ihre Mitarbeit und ihr Gebet helfen, diesen Verpflichtungen im Sinne Jesu nachzukommen.
Bezeichnend ist, dass die große Mehrheit der unterzeichnenden Bischöfe aus den Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens gekommen sind und zu den Erstunterzeichnern nur wenige europäische Bischöfe – aus Deutschland nur ein einziger – gehörten. Bezeichnend ist aber auch, dass gerade in den Ländern die Kirche heute lebt und für viele Menschen ein Zeichen, ja das Zeichen der Hoffnung schlechthin ist, in denen genau diese erst- und mitunterzeichnenden Bischöfe gewirkt haben.
Erinnern Sie sich? „Was Jesus wollte?“, dieser Buchtitel stand am Anfang meiner Gedanken. Versuchen wir, diese Frage nicht Sensationsschreibern zu überlassen, sondern lassen sie uns vielmehr den Katakombenpakt innerlich mitunterschreiben und so den Auftrag Jesu umsetzen: „Bei euch soll es nicht so sein!“ Dann wird seine Lehre, dann wird das, was er wollte, sichtbar und erfahrbar durch Sie und durch mich. Amen.
Infos unter:
Erstellt am: 21.10.2012 19:18 Uhr
