Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis 2011

L II: 1 Thess 1, 1-5b / Ev.: Mt 22, 15-21
Evangelientext:

15 Damals kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. 16 Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen; denn du siehst nicht auf die Person. 17 Sag uns also: Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? 18 Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum stellt ihr mir eine Falle? 19 Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin. 20 Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? 21 Sie antworteten: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!

Schwestern und Brüder!
Wenn Sie sich mal die verschiedenen Evangelienstellen, die Sie Sonntag für Sonntag so hören oder die Ihnen von hohen Festtagen her vertraut und geläufig sind, durch den Kopf gehen lassen, welche Eigenschaften Jesu fallen Ihnen da ganz spontan ein? Welche Eigenschaftswörter würden Sie denn auf Anhieb mit Jesus verbinden? Der gütige, der barmherzige und überaus freundliche Jesus? Der heilende oder auch der selbst leidende Jesus? Oder denken Sie bei ihm eher an Mut, an Anstoß nehmen? Ich bin mir ganz sicher, dass die Eigenschaft, die mir beim heutigen Evangelium zu Jesus in den Sinn gekommen ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dabei ist – Es ist die Eigenschaft: listig. Ja, ich halte Jesus durchaus für listig.
Wenn Sie mich jetzt fragen: Ja um Himmels willen, wie kommen Sie denn auf so etwas? Dann kann ich Ihnen nur sagen, dass das heutige Evangelium für mich der Auslöser dazu war. Sicherlich könnte ich jetzt anhand dieses Evangeliums auch ganz schwermütig über die derzeitige Finanzkrise predigen oder darüber, ob sich die Kirche aus der Welt und dem Steuersystem wie es in Deutschland und mit Abstrichen auch in der Schweiz und Österreich gehandhabt wird, herausziehen soll. Schließlich wird ja die Aussage Papst Benedikts im Freiburger Konzerthaus, die er da bei seinem Deutschlandbesuch geäußert hat, von vielen genau so interpretiert. Aber zum einen bin ich nicht der Papst und lebe somit auch nicht in einer Welt, in der das Geld in meinem Portemonnaie keine Rolle spielt, zumindest nicht subjektiv, weil sich sowieso immer alle bzw. fast alle Staatstore und Küchentüren wie von selbst öffnen. Zum anderen merke ich, dass die Kirchensteuer mir auch eine gewisse Unabhängigkeit dahingehend schenkt, dass ich nicht auf das Wohlwollen einzelner Großspender angewiesen bin und somit frei – oder sagen wir zumindest „fast frei“ über meinen Glauben und die Erkenntnisse sprechen kann, die ich für mich persönlich daraus ziehe.
Eine solche Erkenntnis ist nun z.B. die Tatsache, dass ich bei Jesus durchaus die Eigenschaft „listig“ wahrnehme. Mir ist das beim Lesen dieser Stelle so eigentlich zum ersten Mal richtig bewusst geworden, wie er mit einer klugen Gegenfrage und einer vieldeutigen Antwort der Falle entgeht, in die ihn die Pharisäer locken wollen. Hätte er auf die eindeutige Frage, ob man dem römischen Kaiser nun Steuern bezahlen solle, eine klare Antwort gegeben, dann wäre er sofort erledigt gewesen. Bei einem eindeutigen „Nein“ hätte man ihn beim römischen Statthalter des Hochverrats angezeigt; Bei einem gleichfalls eindeutigen „Ja“ hätte er alle seine Freunde im Volk verloren, das ja vehement gegen die Besatzungsmacht eingestellt war.
Genau genommen kann man sagen, begegnet uns ein solch listiger Jesus doch in vielen seiner Geschichten und Gleichnisse: So z.B. wenn er von einem Tagelöhner erzählt, der auf dem Acker seines Arbeitgebers einen Schatz entdeckt und – statt den Fund zu melden – schnell den ganzen Acker kauft. Oder wenn er den cleveren Verwalter als Vorbild hinstellt, der von seinem Herrn entlassen werden soll und sich durch das Fälschen von Schuldscheinen schnell noch einige Freunde erkauft, um nachher ja nicht im sprichwörtlichen „Regen“ zu stehen.
Ein solch listiger Jesus begegnet uns auch in so manchen seiner Ratschläge: „Setz dich, wenn du zu einem Gastmahl eingeladen bist, immer auf die untersten oder die hinteren Plätze“, gibt er da einmal zum Besten. „Dann holt dich der Gastgeber ganz sicher in seine Nähe und das wird dir Ehre einbringen.“ Oder er sagt: „Seid klug wie die Schlangen und ohne jegliche Falschheit wie die Tauben“ – mit genau diesem Satz schickt Jesus seine Jünger auf Missionsreise und empfiehlt ihnen damit, in einem guten Sinne listig zu sein.
Und schließlich begegnet uns ein solch überaus listiger Jesus auch noch in einigen Streitgesprächen mit den Pharisäern und Schriftgelehrten: Als sie z.B. eine Ehebrecherin zu ihm schleppen und von ihm wissen wollen, wie er zu der gesetzlich vorgeschriebenen Steinigung stehe. Wir alle kennen diese Stelle, wie Jesus da lange schweigt, sich niederbückt und dann in den Sand schreibt. Auf ihr unnachgiebiges und hartnäckiges Nachfragen antwortet er dann ganz sonor und lapidar: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Wir spüren also: Auf viele Fragen, die Jesus gestellt bekommt, antwortet er – wie es im heutigen Evangelium eben auch der Fall ist – mit einer listigen Gegenfrage, die seine Widersacher entlarvt und sie auf diese Art und Weise ganz schnell verstummen lässt.
Diese Beispiele zeigen, dass die List im Leben Jesu alles andere als eine geringe Rolle spielt, ja dass man sie geradezu als eine seiner Grundeinstellungen bezeichnen könnte. Warum ist dann aber das Bild vom listigen Jesus ein über weite Strecken eher „unterbelichtetes“ Jesusbild geblieben? Warum bringen wir diese Eigenschaften so selten mit ihm in Verbindung? Ich denke, das liegt ganz einfach daran, dass das Wort „List“ für uns eher negativ besetzt ist. Wenn wir „List“ hören, dann denken wir dabei doch immer sofort an „Hinter-List“ oder „Arg-List“, also eine geschickte Täuschung. Wobei das germanische Wort „List“ überhaupt nicht negativ besetzt ist – im Gegenteil: Es bedeutet ursprünglich „Wissen“ oder auch „Kunstfertigkeit“. Und im Chinesischen steht dasselbe Schriftzeichen, welches man für die „List“ verwendet zugleich für die Weisheit. Genau das aber entspricht doch dem, was uns schlussendlich im Leben und in den Geschichten Jesu begegnet: Das Wissen wie man dem Druck der Mächtigen widerstehen oder auch ausweichen kann und zwar ohne die übliche Gegengewalt auszuüben. Es ist genau die Kunstfertigkeit, mit der man sich aus Fallen und schwierigen Situationen befreien oder auch die Weisheit, mit der man allen „Vertretern der Eindeutigkeit“ begegnen kann. Darunter verstehe ich jetzt all jene, die die Vieldeutigkeit der Welt nicht akzeptieren und nur ihre eigene Meinung gelten lassen; Jene, die immer Recht haben und alles ganz genau wissen und auch die Schwarz-Weiß-Maler, die blind sind für die Farbigkeit des Lebens und die alles in ihr Schema von Gut und Böse pressen.
Der listige Jesus rettet die Welt von der toten Eindeutigkeit und eröffnet neue  Spiel- und Lebensräume. Er befreit von dem Wahn, alles erkennen oder auch einordnen zu müssen und er hilft dabei, uns selbst nicht so wichtig zu nehmen und Gott anzuerkennen als den Schöpfer einer vieldeutigen und einer vielfältigen Welt.
Und wie ist das mit uns? Mit seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern, seinen Gemeinden, seiner Kirche? Käme man bei uns wirklich auf die Idee, uns Christen die Eigenschaft „listig“ zuzusprechen? Erkennt man uns als diejenigen, die sich mit Phantasie gegen die „Vertreter der Eindeutigkeit“ wehren; die Ideen haben, um Festgefahrenes aufzubrechen und die erlöstes und befreites Leben den anderen vorleben? Wie schön wäre es, wenn in Abwandlung des überaus bekannten Nietzsche-Wortes heute so mancher sagen würde: „Listiger müssten die Christen heute sein, dass ich an ihren Erlöser glauben könnte.“
Listiger müssten wir Christen sein, dann könnte man bei uns etwas spüren von der Freude, die der Glaube uns schenkt; dann könnte man bei uns endlich etwas vom Geist jener Freiheit ahnen, den Jesus in die Welt gebracht hat. Ja, listiger müssten wir Christen sein, dann könnten wir anderen die Augen öffnen für die Vision von der neuen Welt Gottes, die Jesus ausgemalt und vorgelebt hat und dann hätten eben auch nicht die „Vertreter der Eindeutigkeit“ in unseren Reihen das letzte Wort. Oh ja, listiger müssten wir Christen sein, dann könnten wir zu den anderen sagen: Lasst euch nicht entmutigen durch das, was scheinbar so klar und eindeutig euer Leben einengt – auch das Kleine hat Kraft und kann wachsen wie das Senfkorn. Auch die wenigen Samenkörner die auf guten Boden fallen, bringen doch mehr als reiche Frucht.
Wenn wir – wenn ich all das so betrachte, dann bleibt mir zum Schluss nur die Feststellung zu treffen: Wenn von uns Christen die Rede ist, dann fallen normalerweise in der Öffentlichkeit oder in Diskussionsrunden häufig so Eigenschaftswörter wie: altmodisch, brav, rückständig, verklemmt, altbacken, … Ich hätte wahrlich nichts dagegen, wenn sie alle durch „listig“ ersetzt werden würden.  

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Erstellt am: 16.10.2011 16:41 Uhr

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