L II: 2 Tim 1, 6-8,13f / Ev.: Lk 17, 5-10
„Danken? – Nein, danke!“ – das liebe Schwestern und Brüder, ist jetzt nicht der Erguss meiner Erkenntnis aus dem eben gehörten Evangelium, welches ich zum heutigen Erntedankfest doch recht unglücklich empfinde. „Danken? – Nein, danke“, mit diesen Worten, so denke ich, könnte man am ehesten zusammenfassen, was eine Umfrage in der Heilbronner Fußgängerzone unlängst ergeben hat. Da wurden Passanten mit der Frage konfrontiert: „Was halten Sie eigentlich vom Danken?“ Und zwei Antworten, die mich persönlich sehr nachdenklich gestimmt haben, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Da sagte ein Passant: „Warum denn danken? Ich habe mir mein Geld doch sauer verdient. Und wenn ich etwas brauche, kaufe ich es ein. Punkt. Schluss.“ Und eine Mutter erzählte: „Wissen Sie was mein Sohn zur Verkäuferin gesagt hat, als er eine Scheibe Wurst von ihr geschenkt bekam? Nein, nicht danke. Sondern: Ist das auch bio?“
Danken scheint, wenn man diese Antworten so hört, wirklich nicht „in“ zu sein. Und ich glaube auch, dass mehr und mehr Menschen der Ansicht sind, dass man auch ganz gut ohne Dank durchs Leben kommen kann. Nur: Ich für meinen Teil stelle fest, dass die Zufriedenheit der Menschen dadurch in den letzten Jahren nicht unbedingt größer geworden ist; ja, dass manche sogar alles andere als glücklich dabei sind – und christlich? Für christlich halte ich ein solches Verhalten sowieso nicht. Wie sagte Dietrich Bonhoeffer einmal: „Undankbarkeit beginnt mit dem Vergessen!“ Deshalb hat danken viel mit Erinnern und Nachdenken zu tun. Dankbar sein für das, was mein Leben ausmacht, was ich bin und habe, was – wenn ich jetzt an unser Altarretabel denke – uns eben auch gemeinsam möglich ist.
Genau dieses Erinnern und Nachdenken möchte ich jetzt aber in dieser Predigt auch gerne praktizieren. Und behilflich sind mir dabei jene Pizzastückchen, die wir hier an unserem Erntedankaltar finden. Sie haben mich dazu motiviert, mal genauer hinzuschauen, was und wer alles notwendig ist, bis wir eine solche Pizza essen können. Ich lade Sie also zu einer Erntedank-Betrachtung der etwas anderen Art ein, die bei mir zunächst einmal ein detektivisches Gespür dafür erforderlich machte, nachzuhaken: an was muss ich denn da alles denken? Und da sind mir ganz viele Dinge neu bewusst geworden.
Wenn wir also auf die glorreiche Idee kommen: Eine Pizza wäre heute doch nicht schlecht, dann greifen wir zum Telefon oder Handy, geben die entsprechende Nummer ein und unsere Bestellung ans andere Ende durch. Keine Stunde vergeht und wir haben die Pizza auf dem Tisch. Was ist da passiert? Zunächst hat der Lieferant die Pizza in einem Restaurant in eine Box gepackt; ein junger Mann hat sie in die Plastikbox seines Mopeds gegeben – zumindest ist das hier so – und düste dann in halsbrecherischer Weise durch die Straßen, damit sie ja auch ofenfrisch ihr Ziel erreicht. Gott sei Dank hat jemand irgendwann Straßenkarten angefertigt oder das Navigationsgerät erfunden, damit der Lieferant unterwegs nicht allzu viel Zeit verliert. Natürlich hat jemand die Pizza auch zubereitet und gebacken, andere haben das Lieferfahrzeug entworfen, gebaut, verkauft und gewartet. Irgendjemand hat den Holzofen konstruiert, der aber ohne Holz und Waldarbeiter nicht funktionieren würde; genauso wenig, wie wenn bei einem elektrischen Ofen kein Strom vorhanden wäre. Jemand hat die Annonce gestaltet und angefertigt, damit wir überhaupt wissen, dass es diesen Pizzaservice gibt; ganz zu schweigen von den vielen Menschen, die daran arbeiten, uns ein Telekommunikationsnetz zu ermöglichen, welches eine solche Bestellung per Telefon oder Handy möglich macht.
Es ist unwahrscheinlich viel, was da alles zu beachten ist; dabei haben wir über das, was gegessen werden soll, nämlich die Pizza selbst, noch gar nicht viele Worte verloren. Was ist mit deren Zutaten? Käse, Tomaten, Wurst und vieles andere mehr? Was ist alles erforderlich, damit dies alles ins Restaurant gelangt, angefangen vom Tomatensetzling auf einem Bauernhof, bis hin zum Belag auf der Pizza? Die Pflanzen wurden von Sonne und Regen genährt, von Arbeiterinnen und Arbeitern geerntet und von LKW-Fahrerinnen und –Fahrern angeliefert. Fabriken wurden gebaut und Menschen in diesen Fabriken verarbeiten all diese Zutaten und verpacken sie. Konservendosen sind notwendig oder Tetrapacks – auch hergestellt unter großem Aufwand und durch Maschinen oder vieler Hände Arbeit.
Straßen, LKW’s, Autos, Mopeds, Fabriken, Telefonnetze, Pflanzen, Erde, Sonne, Wind und Regen, Kühe – das alles wird benötigt, damit wir eines Tages, wenn uns die Lust auf eine Pizza überkommt, mal die Tür öffnen können, um diese tischfertig geliefert zu bekommen. Jemand hat sie in eine Papp-Schachtel gepackt, den Teil eines Baumes. Und dann – dann setzen wir uns zu Tisch und essen munter drauf los: Lecker! Und was haben wir dafür getan? Telefoniert und Geld bezahlt, welches wir zuvor für eine Arbeit unsererseits bekommen haben. Spüren Sie, was für ein unglaublich komplexer Vorgang es ist, bis tatsächlich eine solche Pizza auf unserem Tisch landet? Und wie oft wird all das übersehen und nur der einzige Schwachpunkt bemerkt: „Das hat heute aber lange gedauert. Sonst geht das viel schneller!“ Oder: „Die ist ja gar nicht mehr richtig heiß!“ bis hin zu: „Ach herrje, grüne Paprika, das hat mir grade noch gefehlt. Jetzt muss ich das alles wieder rauspicken…“ und manche nehmen wieder den Telefonhörer in die Hand – nicht zum Bestellen, sondern zum Beschweren.
Ist das aber nicht alles wie ein Sinnbild unseres Lebens? Trotz aller Mühen, die es gekostet hat, uns eine Pizza zu verschaffen, bemerken wir einzig und allein, dass sie nicht perfekt ist. Unser Geist greift etwas auf, was unseren Erwartungen nicht 100%ig entspricht. Doch häufig genug ist es ja perfekt: Alles ist so geworden, wie wir es uns gewünscht haben. Und was machen wir dann? Haben wir schon einmal in einer Pizzeria oder wo auch immer wir etwas bestellt haben angerufen und gesagt: „Es war herrlich. Es hat super geschmeckt und ich wollte ihnen das einfach sagen. Danke!“ Aber wenn eben alles in Ordnung ist, dann tun wir meistens – nichts. Wir essen und nehmen die herrliche Pizza vor unserer Nase nicht mal richtig wahr. Denn wir sind zu beschäftigt mit dem Fernsehfilm, der nebenher läuft, der Zeitung oder sind zu sehr in ein Gespräch vertieft.
Vielleicht haben wir eine frisch zubereitete, schnell gelieferte, heiße und schmackhafte Pizza verdient. Vielleicht haben wir das Recht auf freundliches, zuvorkommendes Personal, das unsere Bestellung aufnimmt. Vielleicht haben wir einen Anspruch darauf, dass alles perfekt und unseren Wünschen entsprechend erledigt wird. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass wir unsererseits stets die Wünsche, Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen um uns herum erfüllt haben, dann haben wir vielleicht wirklich Grund genug, das gleiche von der Welt um uns herum zu erwarten. Wenn ich jedoch darüber nachdenke, auf welche vielfältige Art und Weise ich anderen Probleme bereitet habe, zu spät gekommen bin, Fehler gemacht und auch Schuld auf mich geladen habe; wenn ich mir wirklich vor Augen führe, dass ich und meine Arbeit eben oft alles andere als perfekt war, dann kann ich doch gar nicht anders, als einfach nur tief berührt zu sein von all der Mühe, die darin steckt, mir eine Pizza zu bringen. Und das erstreckt sich auf alle Menschen und Dinge, die für all die vielen „Pizzen“ – und das ist jetzt im übertragenen Sinne nicht nur essenstechnisch gemeint – die für alles Gute seit meiner Kindheit verantwortlich sind.
Wenn ich diese Gedanken bewusst vollziehe, komme ich ins Staunen: Wie doch alles in unserem Leben zusammenhängt, wie vernetzt wir alle doch sind. Wie vieles ich nutzen und genießen kann, weil andere arbeiten und mir dienlich sind. Vielleicht werde ich bei all diesen Gedanken auch ein klein wenig demütiger gegenüber dem Wunder des Lebens – gegenüber Gott selbst, unserem Schöpfer. Schauen Sie sich Ihr nächstes Essen hier im Hotel oder einem Restaurant, schauen Sie sich die nächste Pizza oder was immer Sie sich auch mal als Mahlzeit nach Hause bestellen einfach mal unter diesen Aspekten an: wie viele Menschen daran mitgewirkt haben um das herzustellen, was Sie da vor sich haben. Und danken Sie bei all dem Gott und mit ihm für die Menschen, die gearbeitet haben, für die Natur, die alles wachsen und gedeihen ließ und danken Sie für den Augenblick, in dem Sie das Essen dann genießen dürfen. Und – danken Sie ruhig auch für die gewonnene Zeit, in der Sie nicht kochen und abwaschen mussten, sondern die Dinge tun konnten, die für Sie wichtig waren oder die geschenkte Zeit, in der Sie sich einfach erholen durften. Amen.
Infos unter:
Erstellt am: 14.10.2013 19:13 Uhr