L I: Am 6, 1a.4-7 / Ev.: Lk 16, 19-31
Schwestern und Brüder!
Nachdem die Wahl gelaufen ist und die nächsten Tage und Wochen zeigen werden, was daraus in Deutschland nun werden bzw. was Österreich heute wohl wählen wird, ist es für mich – so denke ich doch – jetzt völlig unverfänglich, einen Spruch ins Spiel zu bringen, der in der Werbung von der Post schon lange verwendet wird: Unterm Strich zähl ich! Aber: fast so lautet eben auch der Titel des Buches, welches der Kanzlerkandidat und frühere Finanzminister Peer Steinbrück vor geraumer Zeit herausgebracht hat. In „Unterm Strich“, berichtet er von der Finanzkrise 2008 und wie er sich damals – höflich ausgedrückt – von den Managern der Bankenwelt desinformiert und an der Nase herumgeführt gefühlt hat. Ganz offensichtlich gab es in diesem internationalen Bank-Business Akteure, die abgehoben von der Real-Wirtschaft, in einer eigenen Schattenwelt ein „riesiges Rad“ gedreht haben und die somit, weil sie die Bodenhaftung mit der realen Wirtschaft, den Sparern, den Bürgern und Handel-Treibenden total verloren hatten, zu einem riesigen Vertrauensverlust in bestimmte Eliten unseres gesellschaftlichen Lebens geführt haben.
Aus der Gedankenwelt solcher realitätsferner Banker und Ihrer Werbepartner entstanden Werbeslogans wie: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot!“ und es wurde den Menschen damit suggeriert, wie glücklich sie doch sind, wenn sie sich bestimmte Dinge finanziell einfach leisten können. Und genau das möchte ich jetzt einfach mal in Beziehung setzen zu dem Gleichnis, welches uns Jesus heute erzählt hat. So wie die Bankenwerbung könnte auch der Reiche in unserem Evangelium sagen: „Meine Kleidung, mein Essen, meine Freunde!“ Und der arme Lazarus? „Meine Geschwüre, mein Hunger, meine Schmerzen!“ Provokation pur, ich weiß, aber ist das nicht auch genau das, was Jesus mit diesem Gleichnis will? Er will die Finger in die Wunden der Gesellschaft damals und der Gesellschaft von heute legen: Auf der einen Seite sind da jene, die in Geld und Besitz im wahrsten Sinne des Wortes „schwimmen“ – auf der anderen Seite jene, die in Not und Elend untergehen. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich, wenn ich das so sage. Weshalb?
Weil ich deutlich spüre, wie gefährlich dieser Text doch ist. Gefährlich, weil er natürlich mich und meinen Lebensstil unmittelbar betrifft und in Frage stellt. Gefährlich aber auch, weil ich ihn so lange interpretieren und an ihm herum deuten kann, bis er seine Schärfe verliert und so harmlos und flach geworden ist, dass er dann ganz bequem in mein Leben passt, ohne dass ich viel darüber nachdenken muss. Und gefährlich zum Dritten, weil ich den Text unreflektiert und unkritisch benützen kann. Das Ergebnis davon wäre entweder eine drohende Moralpredigt gegen Reichtum und Freude am Leben, oder eine salbungsvolle Vertröstung der Armen auf eine bessere Zukunft nach dem Tod, vielleicht auch ein „dogmatischer Reiseführer ins Jenseits“, der ganz genau vorgibt zu wissen, wie es da drüben wohl aussehen wird. Kann ich mich, im Wissen um all diese Gefahren, wirklich mit so einem Schwarz-Weiß-Blick – hier die Reichen – da die Armen – an diese „Frohe Botschaft“ Jesu herantasten?
Ich denke schon. Vor allem aber sollten wir fragen, ob es da etwas zwischen Reich und Arm gibt, was dazwischen steht. Und da fällt mir beim Text ins Auge: „Vor der Tür des Reichen lag ein armer Mann namens Lazarus.“ Die Tür steht dazwischen und genau die sollten wir uns doch mal genauer anschauen. Wir kennen ja nun viele Türen in unserem Leben: Offene und verschlossene; Türen, bei denen wir ahnen, was sich dahinter verbirgt und solche, bei denen wir erst nach dem Öffnen sehen, was oder wer sich dahinter versteckt. Diese Tür im Evangelium verhindert, dass der Reiche die Not des Lazarus wahrnimmt. Sie engt seinen Blickwinkel und auch seine Wahrnehmung ein. Und ich meine, solche Türen gibt es heutzutage viele. Sie tragen Schilder wie Globalisierung, Gewinnmaximierung, Bonuszahlungen, Rationalisierung, Verschlankung von Organisationsstrukturen und selbst vor unserer Kirche macht sie nicht halt mit der Gründung von Pastoralverbänden oder Seelsorgeeinheiten. Was allerdings wichtig ist: Der reiche Mann kennt diese Tür seines Hauses und er weiß auch wo der Schlüssel dazu liegt bzw. wie man den Schlüssel nennen könnte. Und wie?
Er heißt „Augen auf!“ Was nämlich den reichen Mann in Schwierigkeiten bringt ist die Tatsache, dass seine Augen nur teilweise geöffnet sind und er mit seiner „Sicht-Weise“ auch nur seine eigene Welt wahrnimmt. Seine Kleidung, sein Essen, seine Freunde. Er lebt sehr gut in seiner aus materiellen Gütern gezimmerten Welt und ist wohl eingewickelt in seinen Reichtum und Besitz. Mit all dem ist er so beschäftigt, dass er darüber seine „Um-Welt“ aus den Augen verliert. Es passt auf ihn sehr wohl das Stichwort: „Aus den Augen – aus dem Sinn!“ Und so übersieht er, dass er mit Reichtum bekleidet, der arme Lazarus aber mit Geschwüren und Elend ausgestattet ist.
Wenn wir die Schriftstelle jetzt weiterverfolgen, dann entdecken wir, dass sich der Reiche im Jenseits plötzlich für den Armen interessiert. Er sieht ihn in Abrahams Schoß sitzen und es überfällt ihn eine späte „Ein-Sicht!“ Eine Einsicht, die ihn auch deutlich spüren lässt: Nicht weil er reich ist, sitzt er hier in der Unterwelt – was wäre das auch für ein liebender Gott, der einen Menschen einfach aufgrund seines Vermögens in die Hölle, sprich in die Gott-Ferne schicken würde. Nein, er fühlt diese Ferne zu Gott, weil er mit seinem Reichtum die Not des Lazarus und die Not der vielen anderen Armen nicht wahrgenommen hat. Das Problem ist also nicht der Reichtum an sich, sondern dass der Reichtum ihm den Blick auf die Armut verstellt hat. Und das ist mehr als realistisch. Denn eine große Gefahr und Versuchung liegt einfach darin, dass der Reichtum einen Großteil der Realität ausblendet. Genau das ist im Herbst 2008 passiert, deshalb hab ich auch die Anmerkungen Steinbrücks aus seinem Buch „Unterm Strich“ eingangs erwähnt. Es kommt im Reichtum häufig zu Wahrnehmungsstörungen und Wahrnehmungstrübungen. Für den Reichen im Gleichnis kommt diese Einsicht zu spät, aber seine spät gewonnene Einsicht wird zur Aufforderung Jesu an uns, eben rechtzeitig die Augen zu öffnen und zu helfen.
Und wie kann nun seine Aufforderung, in unserem Leben es doch anders und besser zu machen, konkret umgesetzt werden? Ich entdecke da durchaus ein paar wichtige Denk- und Gesprächsangebote, die uns Jesus heute mit auf den Weg gibt:
Zum einen sollten wir mit diesem Evangelium keine „Neidkampagne“ gegen die Reichen und Mächtigen dieser Welt starten, sondern ihnen ihren Wohlstand durchaus gönnen. Was wir aber tun können ist, dass wir die Reichen ermutigen, über den eigenen Tellerrand zu schauen und die Armen dieser Welt im Blick zu behalten, ihre Not zu sehen und dann zu helfen, diese Not zu lindern oder zu beseitigen. So finde ich die Initiative von Bill Gates und Warren Buffet grandios, die sich selbst – und über einhundert andere Milliardäre haben sich ihnen angeschlossen – dazu verpflichtet haben, die Hälfte ihres Vermögens gegen den Hunger und die Armut in dieser Welt zu spenden.
Zum anderen: Wir sollten auch immer vor der eigenen Türe kehren. Warum? Das will ich Ihnen gerne sagen. Mir fällt nämlich auf, dass der Reiche im Evangelium – ganz im Gegensatz zum Armen – keinen Namen hat. Ist der Reiche also einer, der die Namen aller Mächtigen und Reichen aller Zeiten trägt? Etwa auch meinen Namen? Sicherlich: Einen Vergleich mit Milliardären oder Millionären kann ich mir getrost ersparen. Aber bin ich nicht in vielen Bereichen meines Lebens mit zu viel gesegnet? Manchmal sogar schon überladen? Machen uns – wenn wir ehrlichen Herzens eine Bestandsaufnahme machen – nicht häufig genug alltägliche Verpflichtungen, Hobbies, Beziehungen und Freizeitstress nicht blind für Notleidende? Nehmen wir die „Lazaruse“ wahr, die auch heute vor unserer Haustür liegen: Menschen, die als Flüchtlinge leben müssen, verfolgt von Machthabern, die lieber den eigenen Wohlstand fördern, als den des Volkes zu mehren. Menschen, die nicht das Existenzminimum haben und sich schämen, Hilfe anzunehmen. Diejenigen, die mit Hartz IV nicht mehr auskommen und auf die gespendeten Reste des Wohlstands angewiesen sind; ganz zu schweigen von denen, die einfach abtauchen und auf der Straße leben, weil sie für sich selbst keine Zukunft mehr sehen. Armut vor der Tür ist kein Bild von gestern, sondern Realität und der Graben zwischen Arm und Reich scheint sich täglich zu vergrößern.
Dabei ist mir auch klar: Selbst wenn wir den globalisierten Blick und den Blick vor die Haustür haben, wir werden das gesamte Elend nicht abschaffen. Aber jede und jeder von uns sollte den Lazarusen vor der eigenen Tür mit Augen des Mitgefühls, des Mitempfindens und des Mitleidens begegnen. Dann bin ich sicher, heißt unser Wahlspruch nicht: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“, sondern: „Mein Besitz, meine Verantwortung, meine Nächstenliebe“. Das aber eröffnet uns eine gute „Aussicht“ darauf, dass wir Jesus verstanden haben und „unterm Strich“ bleibt für uns alle dabei das ewige Leben. Amen.
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Erstellt am: 04.10.2013 11:32 Uhr