Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis 2012 (30.09.)

L II: Jak 5, 1-6 / Ev: Mk 9, 38-43.45.47f
Schwestern und Brüder!

Ist Ihnen gerade dieses „Lob sei Dir Christus“ nicht auch etwas schwer über die Lippen gegangen angesichts dessen, was wir da gehört haben? Man sollte es ja kaum für möglich halten, aber die Sprache des heutigen Evangeliums ist doch schon sehr gewalttätig; der Hinweis auf die Hölle mit dem Höllenwurm und dem ewigen Feuer reif für einen Gruselfilm. Apropos Film: Vielleicht ist ja mein Filmerlebnis überhaupt der Aufhänger, um hier einen besseren Durchblick zu bekommen. Vor kurzem hab ich mir nämlich abends mal einen Film angeschaut und bin darüber wohl auf dem Sofa kurz eingenickt.
Nachdem ich wieder bei mir war, hab ich natürlich versucht, Anschluss an den Film zu bekommen. Doch es hat lange gedauert, bis ich die Zusammenhänge tatsächlich entdeckt habe, weil mir viele der vorausgegangenen Handlungen und Szenen einfach nicht geläufig waren.
Ähnlich – so denke ich – kann es uns mit dem heutigen Evangelium ergehen. Würden wir es in all seinen Einzelheiten wörtlich nehmen, dann müssten wir wohl nachher statt des Opferkörbchens die Knochensäge kreisen lassen oder besser noch einen Chirurgen an meiner Stelle platzieren. Ich werde den Eindruck nicht los, als gehe es mir mit diesem Evangelium ähnlich wie bei dem erwähnten Film. Man hat zwischendurch etwas verpasst und es fällt einem nun verdammt schwer, einen inneren Zusammenhang herzustellen. So will ich also mal versuchen, genau diese fehlenden Szenen und Handlungen zu ergänzen und zwar so, dass wir uns eben Säge und  Chirurgen sparen können.
Das Evangelium gliedert sich in zwei Abschnitte. Der erste berichtet uns von einem Fremden, der nicht zu den Jüngern Jesu gehört, aber dennoch im Namen Jesu auftritt und wirkt. Johannes – einer der Zwölf – berichtet Jesus darüber und teilt ihm mit, dass man ihn an seinem Tun gehindert habe, weil „…er uns“ – ich sag’s jetzt mal mit meinen Worten, „ja schließlich auch nicht nachfolgt.“ Zumindest auf den ersten Blick ein mehr als legitimes Anliegen. Aber auf den zweiten wird schnell deutlich, dass sich die Jünger Jesu hier als geschlossene Gruppe begreifen, welche ihre Privilegien und Vorrechte knallhart verteidigen. Dazu hat der Schriftsteller und Dichter Johann Gottfried Seume an anderer Stelle mal geschrieben: „Privilegien aller Art sind das Grab der Freiheit und der Gerechtigkeit.“ Oder anders gesagt: Dort, wo Einzelne, Gruppen, Gemeinschaften oder Gesellschaften sich auf Privilegien berufen, dort gibt es in der Folge dann eben auch Unterprivilegierte, Ausgrenzung und Unterdrückung.
Genau auf diesem Hintergrund sind nun aber die klaren Worte Jesu zu sehen. Ganz pragmatisch gibt er zwei Antworten im Sinne einer Nutzen-Schaden-Abwägung: 1. Wer in seinem Namen, also im Namen Jesu Gutes tut, der wird nicht so schnell zu einem Gegner. Denn 2. „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“ Jesus spürt, dass aus dem Handeln und den Worten der Jünger die Angst spricht, auf einmal wieder weniger zu gelten, ja vielleicht sogar zu kurz zu kommen. Die Psychologie spricht da vom sogenannten „Minderwertigkeitskomplex“. Und die Jünger versuchen genau diesen auszugleichen, indem sie sich abschotten, abgrenzen und anderen die Würde und den Wert absprechen. Und wie ist das heute? Der Ausspruch der Jünger: „Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns“, der spaltet auch heute Menschen, verursacht Streit, ruft sogar Kriege hervor. Und er gilt leider auch für die Kirche und so manche Kirchengemeinde. Da wird festgelegt, wer dazugehört und wer nicht – z.B. wer Kirchensteuer bezahlt, wie wir es jetzt seitens der deutschen Bischofskonferenz schriftlich und vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt bekommen haben –; und dann wird häufig genug in den Gemeinden darüber geurteilt, wie jemand seinen Glauben lebt, wie oft er in die Kirche geht und wie stark er oder sie sich engagiert. Wer nicht mitspielt in diesem, in unserem kleinkarierten Sinne; wer nicht in diese Schablone passt, der hat da auch keinen Platz. So wird aber alles eng und feindselig.
Doch Jesus verwendet den Satz genau anders herum: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“ Ein gewaltiger Unterschied. Denn hier entscheide nicht ich, ob jemand dazugehört, sondern die anderen entscheiden, ob sie sich zugehörig fühlen möchten. Nicht ich setze die Messlatte, ob und wie jemand glaubt, sondern solange nicht ausdrücklich jemand sagt: Ich bin gegen euch, solange gehört er dazu. Solange – und das ist der eigentliche starke Tobak dieser Aussage – solange jemand nicht in die Kirche kommt, sich am Gemeindeleben auch nicht so beteiligt, wie wir es gerne hätten; solange jemand seine eigene Religiosität sucht und nicht ausdrücklich sagt: „Ich bin gegen euren Gott“, solange muss eben gelten: Dieser Mensch gehört in unser Blickfeld, weil Gott ihn nicht ausgrenzt. Ergo gehören zu unserer Kirche und Kirchengemeinde schlussendlich weit mehr Menschen, als wir heute in diesem Gottesdienst sehen – denn: Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. Gottes Geist hält sich nicht an durch Menschen gemachte Grenzen oder Formen und ich finde, das ist unsagbar entlastend für uns alle – für mich als Seelsorger, aber auch für uns, die wir uns als Gemeinde verstehen. Niemand von uns muss groß nachforschen, ob da jemand noch katholisch, evangelisch oder schon gar kein Christ mehr ist. Und wir brauchen auch keinen Seelenfang zu betreiben wie das so manche sektiererische Gruppierung versucht, um Menschen zu gewinnen. Nein, nicht einmal aufdringliche Überzeugungsarbeit ist notwendig. Einzig und allein unsere Offenheit und Freiheit wird überzeugen und die Menschen zu uns führen, die unserer Gemeinde guttun und denen unsere Gemeinde andererseits guttut. Der Maßstab ist doch ganz einfach: Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. Wer Gutes tut im Namen der Nächstenliebe, der ist uns Verbündete oder Verbündeter. Denn das Herz Jesu ist ein weites, ein sehr weites und offenes Herz.
Doch wie lassen sich jetzt all die drastischen Bilder und scheußlichen Verstümmelungen erklären, die wir im Evangelium gehört haben? Erinnern wir uns: Wenn so gedacht wird, wie die Jünger damals dachten, dann hat dies Folgen. Und genau diese Folgen werden in der heutigen Lesung deutlich. Darin werden nämlich soziale Missstände aufgegriffen und Mahnungen ausgesprochen. Hintergrund ist dabei die wachsende Kluft zwischen den armen und den neu hinzugekommenen reichen Mitgliedern der ersten Gemeinden. In einer leidenschaftlichen und damals durchaus üblichen Bildersprache verleiht Jakobus seinem Anliegen einen festen Nachdruck: „Euer Reichtum verfault, und eure Kleider werden von Motten zerfressen.“ Dabei geht es ihm keineswegs grundsätzliche um eine Absage an Besitz und Reichtum. Überhaupt nicht. Aber er wehrt sich vehement gegen eine Bereicherung auf Kosten anderer. Deshalb versucht Jakobus die Botschaft Jesu und deren inneren Zusammenhang wieder ins Bewusstsein zu bringen, weil sie – vielleicht wie bei einem spätabendlichen Film – verschlafen wurde. Und Jesus legt dann im Evangelium sogar noch eine Schaufel drauf, wenn er sagt: „Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt…“
Also heißt das doch: Dort, wo Menschen – unabhängig von Hautfarbe, Religion, politischer Gesinnung, Beruf… – einander gastfreundlich und respektvoll auf Augenhöhe begegnen, da nimmt die Botschaft Jesu ganz konkret Gestalt an. Und weil es Jesus um das Leben und dessen Sinn geht, wird dies dann im zweiten Abschnitt mit nachdrücklichen Bildern anschaulich gemacht. Es ist die Erzählform des Orients und es geht hier – das darf man in aller Deutlichkeit sagen – nicht um Selbstverstümmelung. Vielmehr geht es darum, das ich mit Hand und Fuß anstelle und wie ich etwas sehe. Die Bilder sind quasi sein Aufruf zur Reflexion darüber, wie wir als Einzelne, als Gruppe, als Kirche oder auch Gesellschaft mit unserer Mitwelt umgehen. Wenn ich z.B. mein Gegenüber betrachte: Sehe ich da nur meinen eigenen Vorteil oder zuerst einmal ein wertvolles, von Gott geliebtes Wesen? Reiche ich meine Hand zum Frieden, zur Versöhnung, oder bevorzuge ich eher die Ellbogenmentalität? Gebe ich durch meine Füße jenen Stütze, welche nicht auf eigenen Beinen stehen können, oder lasse ich sie einfach stolpern? Dort, so meint Jesus mit diesen Bildern, wo Solidarität zu einem Fremdwort geworden ist, dort wird das Leben zur Hölle.
So dürfen wir also das heutige Evangelium durchaus als Aufruf, als Auffrischung oder auch als Standortbestimmung unseres christlichen Glaubens und Handelns verstehen. Jesus macht uns deutlich: Du bist nicht etwas wert, wenn du im Vorteil bist oder was vorzuweisen hast, sondern du bist wertvoll weil du von Gott geliebt und angenommen bist, weil du von ihm eine einzigartige Würde erhalten hast. Genau diese Würde aber lässt uns sagen: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ – und wir sollten es nicht nur sagen, sondern auch so handeln. Amen.

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Erstellt am: 30.09.2012 18:45 Uhr

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