Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis 2011 (25.09.)
L II: Phil 2, 1-5 (Kf) / Ev.: Mt 21, 28-32
Schwestern und Brüder!
Wenn wir uns in den Tagen des Urlaubs hier auf Teneriffa oder auch am Ende eines arbeitsreichen Tages ein Gläschen Wein genehmigen, dann genießen wir das und lassen auch schon mal alle Fünfe g’rade sein. Wer aber nun den Wein nicht nur als Endprodukt verköstigt, sondern sich mit dem Anbau von Trauben beschäftigt, derjenige weiß eben auch, dass mit einem Weinberg sehr viel Arbeit und Mühe verbunden ist. Eine Person allein kann das nie und nimmer bewältigen und Verzögerungen in der sogenannten Be- und Verarbeitung, würden zu enormen Qualitätsverlusten führen. Da gilt es Schädlinge zu bekämpfen, die Trauben vor den Vögeln zu schützen, die Ernte rechtzeitig zu lesen usw. Der Weinbauer ist also im Normalfall auf Hilfe angewiesen, das weiß auch Jesus, und genau deshalb erzählt er auch dieses Gleichnis.
Nun gehe ich mal davon aus, dass wohl die wenigsten von uns unmittelbar etwas mit dem Weinanbau zu tun haben;
aber ich glaube trotzdem, dass wir durchaus nachvollziehen können, wie verärgert der Vater in unserem Gleichnis wohl über den Sohn ist, der ihm noch am Morgen hoch und heilig versprochen hat, ihm zu helfen: „Ja, ich komme, du kannst ganz fest auf mich zählen.“ Fast hörbar klingen die Worte des Sohnes in unseren Ohren. Aber dann, dann ist er einfach nicht da und fehlt ohne jegliche Erklärung.
Ich glaube, diese Enttäuschung des Vaters können wir alle nachvollziehen, schon allein deshalb, weil sie in anderen Erlebnisbereichen durchaus auch zu unserer ganz persönlichen Lebenserfahrung dazugehört. Da gibt es Angebote, Einladungen, vielleicht auch Zusagen, die alle sehr ernsthaft und ehrlich klingen, die sich dann aber, wenn wir nach einigem Zögern vielleicht wirklich auf sie zurückkommen wollen, als zu leichtfertig dahingesagt erweisen. Wir alle kennen doch solche Situationen, in denen wir uns kläglich im Stich gelassen fühlten von Menschen, die uns eigentlich ihre Unterstützung, Solidarität, Freundschaft, ja vielleicht sogar die große Liebe versprochen haben; wir alle kennen Menschen mit großartigen und mitunter so verführerischen Worten, denen aber nachher keine Taten gefolgt sind. Kurz gesagt: Auch wir kennen Menschen, die zwar oft viel versprechen, aber wenig von dem Versprochenen tatsächlich halten.
Doch in gleicher Weise oder Gott sei Dank, ist uns eben auch der zweite Teil des Gleichnisses nicht fremd. Ich meine, die unverhoffte Hilfsbereitschaft durch Menschen, die gar keinen Grund dazu haben oder sich nicht dazu verpflichtet fühlen müssen. Es ist die überraschende Erfahrung von Offenheit, Einfühlsamkeit und Herzlichkeit durch Menschen, deren harte Schale uns vorher eher Ablehnung hätte vermuten lassen; manchmal auch eine Großzügigkeit, die wir so nie erwartet hätten und ein Verantwortungsbewusstsein, das wir eher anderen unterstellt hätten.
Aber schauen wir zurück auf das Gleichnis des heutigen Evangeliums. Jesus hat es den Pharisäern und Schriftgelehrten erzählt, weil er damit deutlich machen will, dass vor Gott eben nicht großartige Reden, Bekenntnisse, Versprechen und Gelübde zählen, sondern einzig und allein die Tatsache, wie Menschen ihr Leben gestalten und ob ihr Tun dem entspricht, was sie nach außen hin sagen. Und dann macht Jesus deutlich, dass eine solche Übereinstimmung eben nicht gegeben ist, wenn man zwar einerseits die Größe Gottes besingt, aber letztlich nicht mit seinem Handeln in dieser Welt und dieser Zeit rechnet. Sie ist auch nicht gegeben, wenn man die Liebe und Barmherzigkeit Gottes preist, aber gleichzeitig einen ganzen Katalog von hunderten von Verboten und Gesetzen erlässt, die genau diese Zuneigung Gottes zu den Menschen wieder einschränkt.
Nur können wir jetzt nicht hergehen und sagen: da hat Jesus ganz recht, dass er den Frommen seiner Zeit mal eindeutig die Leviten gelesen und darauf aufmerksam gemacht hat, auf was es wirklich ankommt. Nein, so einfach können wir es uns nicht machen, denn sind wir nicht auch Hörerinnen und Hörer dieses Gleichnisses? Sind wir mit diesen Zeilen etwa nicht angesprochen? Ich meine schon, denn ich bin der festen Überzeugung, dass Jesus auch uns damit einen Spiegel vorhält, in dem wir uns und unser Verhalten betrachten können. Und wenn wir dann wirklich ehrlich zu uns selbst sind, dann müssen wir doch unumwunden zugeben, dass auch wir sehr wohl Gefahr laufen, zu latenten Ja-Sagern zu werden, die meinen, die absolute Kenntnis über den Willen Gottes gepachtet zu haben. Als Kirche und Gläubige wähnen wir uns oft als Freundinnen und Freunde Gottes, die gar nicht spüren, wie oft sie mehr als weit von dem entfernt sind, was Gott wirklich den Menschen sein will. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Jesus genügt wenn wir sagen: Wir bilden deine Kirche und wir gehören zu dir, um uns gleichzeitig stolz über andere zu erheben, über sie zu urteilen, sie zu verurteilen oder gar ganz auszuschließen. Es dürfte ihm wohl auch kaum genügen, dass wir uns zwar am Anfang einmal ganz bewusst für Gott und die Erfüllung seines Willens entschlossen haben, aber heutzutage im Alltag seinen Anruf oft nicht mehr richtig wahrnehmen. Es dürfte Jesus wohl auch nicht genügen, dass wir hier miteinander Gottesdienst feiern oder uns zu Hause im stillen Kämmerlein der Nähe Gottes vergewissern, und dann aber genau den Schritt nicht tun, der dem anderen das versöhnende Wort zuspricht, ihm die Hand zur Aussöhnung reicht oder die Maßnahmen nicht in die Wege leitet, in denen Christus gerade für die Menschen von heute gegenwärtig und erfahrbar werden möchte und auch werden könnte. Z.B. in Fragen, die auch jetzt beim Papstbesuch angesprochen wurden: Die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten; die Teilnahme konfessionsverschiedener Paare an der Kommunion; eine stärkere Einbindung der Laien in verantwortliche Positionen von Kirche und Gemeinden…usw.
Muss es uns nicht zu denken geben, wenn ein kritischer Zeitgenosse dieser Tage schreibt: „Erstaunliche Taten von Hilfsbereitschaft, von Barmherzigkeit und geschwisterlichem Großmut, das habe ich in meinem Leben viel häufiger bei Nichtchristen wahrgenommen als bei denen, die sich Christen nennen bzw. sogar vorgeben, Christus in ihrem diakonischen, priesterlichen oder auch bischöflichen Amt zu verkörpern.“
Wem also gleichen wir? Dem ersten oder dem zweiten Sohn? Die Beantwortung dieser Frage ist jeder und jedem von uns ganz persönlich gestellt. Und dabei ist für mich an diesem Gleichnis mehr als tröstlich, dass Jesus keineswegs alle Pharisäer abgeschrieben und alle Dirnen auf einen Sockel gehoben hat. Denn genau genommen ist ja weder der erste, noch der zweite Sohn ein wirkliches Vorbild. Der frohe Neinsager ist es nicht, auch wenn er sich doch noch nachträglich zur Tat entschließt. Und der eifrige Jasager erst recht nicht, denn er hat ja überhaupt nichts getan. Also will uns Jesus eigentlich keine Vorbilder vor Augen stellen, sondern uns mit den beiden vielmehr ein Beispiel zeigen, dass niemand von uns davor gefeit ist, Ja zu sagen, und doch eigentlich Nein zu meinen.
Was wir meines Erachtens deshalb ganz dringend brauchen, das ist eine sogenannte „heilige Unsicherheit“. Damit meine ich keine Ängstlichkeit, sondern die Tatsache, dass wir uns in Sachen „Glaube“ und „Nachfolge“ nie zu selbstsicher sein sollten. Erinnern Sie sich? Altkanzler Kohl hat sich mal vehement dagegen ausgesprochen, dass die Kirchen meinten, einfach nur die höhere Moral vertreten zu können, während sich die Politik dagegen in den Niederungen eines moralfreien Pragmatismus abspiele. Wer einen solchen Anschein erweckt, der werde es immer leicht haben, den moralischen Zeigefinger zu heben, aber er werde die Lage der Menschen nicht verbessern. Ob er das heute, nachdem er selbst im Alter noch in die Schlagzeilen geraten ist, immer noch so sieht, ich weiß es nicht. Aber ich halte diese Einsicht durchaus für richtig. Denn was wir alle brauchen, das ist doch ein behutsames Nachdenken über unsere Mitmenschen – und zwar über alle und jeden. Über den ewigen Nörgler, der anscheinend nur nervt; die bauchnabelfreie, tätowierte und gepiercte junge Frau, die man ganz schnell in eine bestimmte Ecke stellt; den jungen Mann, der das Arbeiten anscheinend auch nicht erfunden hat und den Ausländer, der doch nur den Sozialstaat ausnutzen will.
Jesus sagt JA zu den Menschen – zu allen Menschen und er handelt entsprechend. Bei ihm hat jede und jeder eine Chance auf Umkehr und Neuanfang. Sein JA zu uns Menschen schafft den nötigen Raum für mein JA und für alle Menschen, denen es eng ums Herz ist oder die Angst haben. Dieser Jesus sucht aber auch Menschen, die nicht nur beten „dein Wille geschehe“, sondern die diesen, seinen Willen, auch tun. Amen.
Informationen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de
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Erstellt am: 26.09.2011 06:52 Uhr
