Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis 2012 (23.09.)

L II: Jak 3, 16 – 4,3 / Ev: Mk 9, 30-37
Schwestern und Brüder!

Wenn in einem Land politisch gesehen vieles im Argen liegt oder wenn in einem Betrieb alles ins Schlingern gerät, dann werden – da stimmen Sie mir sicherlich zu – die Rufe ganz schnell laut nach einem, der alles „im Griff hat“ und für klare Verhältnisse sorgt. Alles im Griff haben, klare Verhältnisse, darin spiegelt sich für uns Menschen der Wunsch nach Sicherheit wider oder auch nach der Sehnsucht, in Ruhe leben und arbeiten zu können.

Genau diesen Wunsch nach einem starken Mann, den hatten auch die Menschen in der Zeit Jesu. Das Land war von den verhassten Römern besetzt, und darum lebte in vielen Menschen der Traum von einem neuen Reich in Israel. Auch viele aus dem Freundeskreis Jesu träumten diesen Traum und nachdem sie mit ihm die tolle Erfahrung gemacht hatten, wie er Kranke geheilt und Aussätzige rein gemacht, wie er Wunder und Zeichen gewirkt und vom Reich Gottes und davon gesprochen hat, wie anders dies alles sein wird, da sahen sie eben genau ihn als diesen neuen und starken Mann an. Ja, sie sahen ihn bereits als den neuen König und sich selbst dann –als seine engsten Freundinnen und Freunde – in seiner unmittelbaren Nähe. Wenn er König ist, so ihre logische Schlussfolgerung, dann fällt auch ein Stück des Glanzes von ihm auf sie oder zumindest auf ein paar von ihnen ab.
Diese Stimmung hat Jesus gespürt und weil er die, die ihm so eng ans Herz gewachsen sind, eben auch gut kennt, deshalb nimmt er sie in unserem heutigen Evangelium auf die Seite und will mit ihnen Klartext reden. Er will nicht, dass sie sich etwas vormachen, sondern will ihnen vielmehr noch einmal dezidiert deutlich machen, dass sein Weg so ganz anders sein wird, als sie es sich denken und in ihren Köpfen ausmalen. Deshalb spricht er eben auch von seinem Tod und seiner Auferstehung. Nur – die Freunde kapieren es nicht. Sie sind so von ihren eigenen Ideen und Wünsche gefangen genommen, dass es ihnen weit mehr um die Frage geht: Wer von uns ist nach ihm – nach Jesus – der Größte? Wem von uns steht wohl am meisten zu? Wer hat die bessere Position, das höhere Ansehen oder sagen wir ruhig auch: Wer darf Macht über die anderen ausüben und sagen wo’s lang geht?
Jesus spürt, dass seine Freunde sich mit seinen Gedanken immens schwertun; ja, er nimmt wahr, dass sie ihm überhaupt nicht richtig zuhören und so fragt er sie: „Worüber habt ihr auf dem Weg miteinander geredet?“. Dabei erzählt uns der Evangelist Markus nun nicht, ob Jesus gehört hat, was seine apostolischen Nachfolger hinter seinem Rücken geredet haben. Aber trotzdem ist ihm bewusst und spürt er deutlich: Die Zwölf führen hier keine Schriftgespräche, sie beten auch keine frommen Wegpsalmen und sie sinnen auch nicht über ihr Verhältnis zu Gott nach. Nein, die apostolische Kirche schmort bereits damals im eigenen Saft und hat sich – trotz seiner, trotz der unmittelbaren Nähe Jesu – in eifrige Selbstgespräche verwickelt. Das bringt die Kirche tatsächlich fertig; schon ganz an ihrem Anfang hat sie nichts Besseres zu tun, als darüber zu streiten, „wer von ihnen der Größte sei“ – und das alles im Beisein ihres Herrn, der sich an den letzten Platz gestellt und zum Diener aller gemacht hat. Das war damals.
Und worüber wird heute in dieser Kirche gesprochen? Womit sind wir heute beschäftigt? Personalpolitik, Machtgerangel, Flügelkämpfe und Postenge-schacher – Vatileaks zeigt es uns ganz eindeutig. Auch heute geht es um das anscheinend Natürlichste von der Welt: um Spitzenstellungen und Pöstchen, um Macht und Einfluss! Wer setzt sich durch? Auch in den Aposteln von heute und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steckt der Drang nach oben und nichts Menschliches ist ihnen – ist uns – dabei fremd. Da wird auf den Nebenmann oder die Mitschwester geschaut: Wie hänge ich die am besten ab? Schließlich habe ich so viel investiert: „Alles aufgegeben, Herr, dir nachgefolgt – und was hab ich davon?“ So lautet die etwas salopp umformulierte Frage an anderer Stelle des Evangeliums. Eine kleine Karriere bei dir oder in dem, was dein Reich ist, muss doch dabei herausspringen – oder nicht?
Peinlich, peinlich kann man da nur sagen. Aber hochnotpeinlich wird es eben dann, wenn man bedenkt, was Jesus innerlich bewegt – seine Not, die eigene Überzeugung und den eigenen Werdegang zu vermitteln – und die Freundinnen und Freunde haben nichts Besseres zu tun, als Rivalitäten und Grabenkämpfe auszutragen. Was seine Zumutungen anbetrifft, sein Leiden, davon wollen sie nichts wissen, da sind sie schwerhörig. Vielleicht sogar ganz bewusst schwerhörig, weil man ja sonst in denselben Sog geraten kann, den Sog nach unten. Auf die Idee nachzufragen, wie er denn das meine, kommen sie gar nicht. Es heißt nur lapidar: „Sie verstanden den Sinn seiner Worte nicht, scheuten sich jedoch, ihn zu fragen.“ Kurzum: Sie weichen aus, stellen sich taub oder was auch immer.
So also war das bereits am Anfang – und all diese Ränkespiele, dieser Hickhack und ewige „Rangstreit der Jünger“ brachten der Kirche viel Misskredit ein und machten und machen sie oft unglaubwürdig bis auf den heutigen Tag. Viele Menschen können all das hierarchische Denken nicht mehr nachvollziehen, dieses Schielen nach Titeln und Ämtern, nach Prälaten und Ehrenprälaten, nach Eminenzen und Excellenzen. Ja, es darf da durchaus gefragt werden, weshalb es denn einen Titel „Heiliger Vater“ auf Erden gibt, wenn es im Evangelium doch eindeutig heißt: „Nur einer ist euer Vater, der im Himmel“?
Aber schauen wir zurück auf unser Evangelium und darauf, was Jesus seinen Freundeskreis zu lehren versucht. Denn er „ver-rückt“ hier im wahrsten Sinne des Wortes all die Gedanken seiner Jünger, wenn er sagt: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ Lassen Sie uns das mal aus unserer Sicht und aus unserem heutigen Verständnis heraus etwas näher betrachten. Da fällt mir nämlich auf, dass man „Dienen“ durchaus auf zweierlei Arten verstehen kann. Ich kann z.B. fragen: Was ist einer Sache dienlich? Und da kann es durchaus sinnvoll sein, wenn einer den Ton oder die Richtung vorgibt. Allerdings kann ich auch fragen – und da meine ich, komme ich dem erheblich näher, was Jesus meint: Wem diene ich? Und wie diene ich ihm?
Jesus stellt den Menschen in den Mittelpunkt seiner Gedanken und nicht eine Sache. Deutlich wird das am Beispiel mit dem Kind. Dadurch, dass es nur halb so groß ist wie ein Erwachsener, wird es im Alltagseinerlei häufig genug übersehen oder auch mit seinen Empfindungen übergangen. Wir alle wissen doch wie das ist, wenn man einem kleinen Kind zu helfen versucht; das funktioniert nicht, wenn man sich nicht selbst klein macht. Nehmen wir nur mal das Schuhe binden: Ich hab zwar als Erwachsener relativ lange Arme, aber so weit reichen sie dann doch nicht. Oder denken wir an das Tränen abwischen und trösten. Sicherlich – man kann es von oben herab tun, aber richtig trösten können wir einen Menschen doch nur dann, wenn wir ihn in den Arm nehmen. Wenn wir uns also im Falle eines Kindes nicht auf die Knie begeben, wenn wir uns nicht ganz tief hinunter bücken, dann können wir das Kind nicht umarmen, sondern zwingen es, sich an unserer Hüfte oder unseren Beinen festzuhalten. In den Arm nehmen geht nur, wenn wir uns auf Augenhöhe begeben. Und genau das verlangt Jesus von uns. Er sagt quasi allen Kirchendienerinnen und Kirchendienern, ja er sagt es zu allen, die ihm nachfolgen wollen: „Wenn Du meine Jüngerin, mein Jünger sein willst, dann steig herunter von Deinem Podest und schau Dir mal die Welt aus der Perspektive und mit den Augen derer an, die Tag für Tag in dieser Welt und dieser Gesellschaft übersehen werden. Und dann diene ihnen! Aber nicht so, dass Du sie Dir dienlich machst und auch nicht so, dass Du Dich jetzt nur noch duckst und Dir alles gefallen lässt, weil Du ja unbedingt Letzter sein willst. Nein, das meine ich nicht. Denn wenn Du so denkst, dann bist Du immer noch im Leistungsprinzip verhaftet. Nein, stell Dich viel mehr an die Seite dieser Letzten und wehr Dich mit ihnen gemeinsam gegen alles, was sie klein und zu Letzten dieser Gesellschaft macht.“
Logisch, dass wer so denkt und handelt, keinen Blumentopf gewinnen kann. Im Gegenteil: Die- oder derjenige hat mit viel Anfeindungen und Widerständen zu rechnen. Dafür ist Jesus selbst das beste Beispiel. Aber er hat uns eben an anderer Stelle auch aufgetragen: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit auch ihr handelt, wie ich gehandelt habe.“ Eine junge Studentin, die mit 25 Jahren an Krebs gestorben ist, hat das für sich erkannt und als Vermächtnis aufgeschrieben: „Was zum Schluss zählt, ist allein Menschlichkeit und Liebe. Strukturen, Hierarchien, Machtstreben, Titel und Eitelkeiten sind doch unwichtig. Wenn du in deinem Leben nur einem Menschen einen Augenblick lang eine Hilfe warst oder ihm Freude bereitet hast, dann bist du tiefer im Leben gewesen als alle, die nach oben streben und in den Augen der Menschen etwas sein wollen.“

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Erstellt am: 23.09.2012 17:39 Uhr

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