L I: Ez 33, 7-9 / Ev.: Mt 18, 15-20
Schwestern und Brüder!
Wer sich im Fußball ein klein wenig auskennt weiß, es gibt bestimmte Regeln, die einzuhalten sind, damit so ein Spiel fair über die Bühne geht. Unter anderem gibt es deshalb auch gelbe und rote Karten die dazu dienen, Spieler zu ermahnen oder sie ggf. vom weiteren Spielverlauf auszuschließen. Wer sich nun zum Beispiel nicht an die allgemein verbindlichen Regeln hält oder wer einen Mitspieler allzu grob und unsportlich attackiert, der wird vom Schiedsrichter mit einer sichtbaren gelben Karte ermahnt oder mit einer roten Karte sofort des Feldes verwiesen. Jeder Spieler aber, der im Spiel schon eine gelbe Karte gesehen hat, weiß was ihm blüht, wenn er sich noch einmal daneben benimmt. Dann zeigt ihm nämlich der Schiedsrichter die sogenannte Ampelkarte – gelb-rot – und der Spieler ist dann – gleichfalls wie bei einem schweren Foul – vom weiteren Spielverlauf ausgeschlossen. Für einen der „rot“ sieht, ist das Spiel eben vorzeitig beendet. Genau aus diesem Grund aber wechseln Trainer sogenannte „Gelbsünder“ lieber vorsichtshalber aus, damit diese nicht Gefahr laufen, das Feld evtl. mit einer roten Karte vorzeitig verlassen zu müssen und so die eigene Mannschaft um einen Mitspieler zu schwächen. Sie beugen also vor.
Bin ich jetzt bei einem Kurs über Fußball oder im Gottesdienst? Was – bitte schön – haben denn all diese gelb-roten Kartenüberlegungen mit dem heutigen Evangelium zu tun? Vielleicht geht Ihnen das ja gerade durch den Kopf. Aber ich meine: Könnte man denn nicht auf den Gedanken kommen, dass das, was Matthäus in diesem Abschnitt seines Evangeliums von sich gibt, einer Art Anleitung zum Verteilen von gelben bzw. roten Karten innerhalb der christlichen Gemeinde gleichkommt? Wie war das denn noch mal: „Wenn dein Bruder – und ich denke wir dürfen die Schwester hier ruhig ergänzen – sündigt, dann gehe hin und weise sie oder ihn unter vier Augen zurecht.“ Mit anderen Worten: Zeig ihm oder ihr die gelbe Karte. Mach diese Person darauf aufmerksam, dass sein bzw. ihr Verhalten so nicht in Ordnung ist. In der kirchlichen Tradition nannte man das auch die sogenannte correctio fraterna, also die brüderliche bzw. geschwisterliche Zurechtweisung. Und Matthäus schildert dann sehr genau, wie diese vor sich gehen sollte.
Zunächst einmal ist da das Gespräch unter vier Augen zu suchen. Ein Ratschlag, den wir in unserem Alltag durchaus beherzigen. Nur liegt der kleine aber feine Unterschied bei uns oft darin, dass keines der vier Augen der oder dem Betroffenen gehört. Wir reden – Hand aufs Herz – doch viel lieber über jemanden, anstatt mit ihm. Genau das aber kann nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Genauso wenig ist mit diesem Hinweis gemeint, dass wir uns auf den Standpunkt stellen sollen: Der oder die andere ist doch alt oder auch erwachsen genug, die müssen selbst wissen was sie tun. Beide Verhaltensweisen führen letztlich nur dazu, eben nicht mit dem oder der Betreffenden ins Gespräch zu kommen. Ihm oder ihr gegenüber halten wir uns fein raus – schließlich leben wir ganz gern nach dem Motto: ich will mir doch nicht die Finger verbrennen.
Genau das aber ist mit der correctio fraterna, der geschwisterlichen Zurechtweisung nicht gemeint. Gott sagt, so haben wir es auch in der Lesung gehört: „Wenn du den Schuldigen nicht warnst, dann fordere ich von Dir Rechenschaft darüber.“ Wir sollten also einfach für uns erkennen: Jede und jeder von uns muss für sein Verhalten gerade stehen, da führt kein Weg dran vorbei und das ist uns allen auch durchaus plausibel. Was aber in unserem Glauben hinzu kommt, das ist die Aufgabe und Pflicht, eben auch der Schwester oder dem Bruder den rechten Weg zu weisen, sie im wahrsten Sinne des Wortes „zurecht-zu-weisen“ – und das meine ich, das ist uns so nicht immer bewusst.
Jesus sagt aber eindeutig: „Geh zu deinem Bruder hin!“ Und damit meint er:
Kanzel ihn nicht von oben herab ab, brich nicht den Stab über ihn oder ihr, sondern weise unter vier Augen zu recht! Mich erinnert dieser Ratschlag Jesu an das, was man heute in der Gesprächsführung unter einem „Feed-back“ versteht. Damit ist die kritische Rückmeldung gemeint, die man sich von anderen erbittet bzw. die man von anderen bekommt. Das eigene Handeln wird also von anderen kritisch beleuchtet und bewertet. Und ein solches, ehrlich gemeintes Feed-back kann durchaus Gold wert sein. Denn es gibt mir persönlich die Gelegenheit, mein Verhalten zu überdenken und es ggf. zu korrigieren.
Wenn wir mal darauf schauen, wie wir selbst oft kritisieren oder auch auf die Kritik anderer reagieren, wird uns das vielleicht ein klein wenig bewusster. Wenn mich z.B. jemand von oben herab anmacht und sagt: „Das müsstest du doch wissen…“ also belehrend, besserwisserisch oder gar moralisierend, dann bewirkt das bei mir überhaupt nichts; höchstens, dass ich auf den Kritiker stinksauer bin. Anders fühl ich mich aber, wenn mir jemand unter vier Augen sagt: „Du, horch mal, mir ist da aufgefallen…“ oder auch „Es fällt mir schwer, Dir das zu sagen…“. In solchen Worten spüre und erkenne ich eine liebevolle Sorge um meine Person und ich habe die Freiheit, mich zu ändern. Und genau darauf kommt es doch an: Auf die liebevolle Sorge gegenüber dem anderen und die Freiheit, die ich ihm dabei lasse.
Solch eine geschwisterliche Zurechtweisung ist für ein gutes Zusammenleben in Beruf und Familie, in Kirche und Gesellschaft eigentlich unverzichtbar. Offen und ehrlich miteinander zu reden, dazu lädt uns der erste Teil des Evangeliums ein. Aber was kommt dann? „Hört er auf dich“ so heißt es da weiter, „hast du den Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm ein oder zwei Männer mit…Hört er auch auf sie nicht, dann sage es der Gemeinde. Hört er auch darauf nicht, dann sei er für dich wie ein Hei-de oder ein Zöllner.“ Also im ersten Moment könnte es einem darüber fast die Sprache verschlagen. Darf man so miteinander umgehen? Sind das die Spielregeln einer christlichen Gemeinschaft? Und wird da nicht all das vorher Gesagte ad absurdum geführt?
Matthäus hat hier Jesus Worte in den Mund gelegt, die auf den ersten Blick wirklich recht drastisch und wenig barmherzig oder gar versöhnlich klingen. Wer Jesus nur oberflächlich kennt, für den könnte es sich auch anhören wie: „Wenn alles nichts nutzt, dann schmeiß ihn halt aus dem Haus und brich alle Kontakte zu ihm ab.“ Im Laufe der Kirchengeschichte wurde deshalb genau dieser Satz auch zum Beleg dafür, dass man Menschen aus der Gemeinschaft der Kirche ganz bewusst ausgeschlossen hat. „Anathema sit“ – „der sei ausgeschlossen“ hieß es ab dem 4. Jahrhundert vor allem für diejenigen, die als Abweichler vom wahren Glauben angesehen wurden. Was so mitunter der unausweichliche Härtefall zur Wahrung der eigenen kirchlichen Identität war, wurde mit der Zeit mehr und mehr zur Kampfformel gegen alle Kritiker und Querdenker in der Kirche. Erst das II. Vatikanum und das neue Kirchenrecht aus dem Jahre 1983 haben mit dieser Praxis Schluss gemacht. Jetzt trat vielmehr der biblische Gedanke der Communio, der Gemeinschaft aller Glaubenden in den Vordergrund. Und das ist auch richtig so. Denn Communio – Gemeinschaft – setzt doch immer Kommunikation, Verständigung, Gespräch und Dialog voraus. Oder anders gesagt: Kommunion braucht Kommunikation und nicht Exkommunikation.
Mit diesem Communio-Gedanken im Kopf, der ja für Jesus ganz wesentlich und grundlegend war, lese ich aber dann seine Worte im heutigen Evangelium nichts als Dialogbruch und Ausschluss. Er selbst hat sich doch Zeit seines Lebens der Zöllner, Sünder und Heiden angenommen; ist ihnen nachgelaufen, um sie in die Gemeinschaft zurückzuholen oder sie neu in sie aufzunehmen. All diesen sogenannten „schwarzen Schafen“ in der Gesellschaft, galt seine ganz besondere Zuneigung und Liebe. Könnte es da aber nicht sein, dass wenn er sagt: „Der sei für dich wie ein Heide oder ein Zöllner“, er uns damit eben gerade keinen Ausschluss des oder der Betreffenden nahe legen will, sondern vielmehr eine noch intensivere, noch liebevollere Sorge und Annahme dieser Person?
Eines jedenfalls ist für mich ganz eindeutig: Jesus ermutigt uns zum offenen Dialog mit offenem Visier. Er hat sich ja selbst nicht gescheut, dem ein oder anderen Zeitgenossen mal die gelbe Karte zu zeigen – wie z.B. letzten Sonntag dem Petrus, als er ihm sagte: Weg von mir! Doch eines ist eben auch klar: Einen Platzverweis im Sinne des Dialogabbruchs oder des totalen Ausschlusses hat es bei Jesus nie gegeben. Und genau das müsste eigentlich auch für uns Grund genug sein, in unseren Familien, im Zusammensein mit anderen, im Beruf, in der kleinen wie in der großen Politik und vor allem auch in unserer Kirche, niemandem vorschnell die gelbe oder gar die rote Karte unter die Nase zu halten. Amen!
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Erstellt am: 08.09.2014 19:06 Uhr