Lesung: Dtn 4, 1-2,6-8 / Evangelium: Mk7, 1-8.14-15.21-23
Schwestern und Brüder!
Im ersten Moment mag man denken: Mein Gott, darüber lohnt es sich doch gar nicht zu streiten. Was soll denn daran falsch sein, sich vor dem Essen die Hände zu waschen? Wir selbst setzen uns doch auch mit sauberen Händen an den Tisch und verlangen dies auch von unseren Kindern und Enkeln. All unsere Anstandsregeln, Tischsitten und Konventionen zeugen doch nur von einer gewissen Achtung voreinander oder gestalten zumindest das tägliche Miteinander erträglich und gesittet. Vieles in unserem Leben tun wir schließlich nicht aus purer Lust oder aus reinem Vergnügen, sondern weil wir es im gesellschaftlichen Zusammenhang so gelernt haben. Und da gehört das Händewaschen vor dem Essen einfach dazu, vor allem, wenn man vom Markt oder vom Bau kommt, wo man sich die Hände schmutzig gemacht hat.
So gibt es Traditionen und Bräuche, die gut und hilfreich sind, auch im religiösen Leben. Zu wissen, wie man sich in einer Kirche verhält, welche Gesten und Haltungen angebracht sind oder auch welche Bräuche zu welchem Fest dazugehören – all das ist gut und hilfreich für die eigene Glaubenspraxis und zeugt auch von einer gewissen Vertrautheit mit dem kirchlich-religiösen Geschehen. Nur – alles Vertraute kann auch ganz schnell zur Routine werden, in der dann etwas nur noch aus bloßer Gewohnheit passiert oder nur rein äußerlich geschieht. Wenn wir das dann auch noch in einer Beziehung erleben, dann ist das mehr als verletzend; so z.B., wenn man sich zu bestimmten Gelegenheiten oder Festen nur deshalb besucht und beschenkt, weil das schon immer so war – oder im anderen Extremfall, wenn das Intimleben in einer Partnerschaft oder Ehe zum reinen Pflichtgeschehen degradiert wird.
Aber schauen wir mal gezielt auf das, was da im heutigen Evangelium passiert. Das Geschehen spielt sich in der Gegend um den See Genezareth ab. Durch die vorausgegangenen Krankenheilungen und Speisungswunder, ist der Bekanntheitsgrad Jesu ganz enorm gestiegen. Die Menschen werden neugierig auf ihn und aus Jerusalem kommen extra Pharisäer und Schriftgelehrte angereist, die sich stetig in seiner Nähe aufhalten. Was sie dabei umtreibt? Interesse? Neugierde und Kontrolle? Auf alle Fälle sind sie in Sachen Glauben und Glaubenspraxis keine Laien, sondern sie gehören innerhalb des Judentums zu jenen Gruppierungen, die sich mit größter Mühe und mit nur allen erdenklichen Anstrengungen um ein gottgefälliges Leben im Glauben bemühen. Um sicherzustellen, dass genau dieser rechtmäßige Weg nicht verlassen wird, weiteten sie in ihrer Lehre viele Vorschriften, die ursprünglich nur Priestern und Leviten galten – also jener Spezies, die sich für den Tempeldienst verantwortlich zeichnen und Gott so besonders nahekommen – auf alle Gläubigen aus. Dazu zählen vor allem jene Gesetze, die Bestimmungen auf die Erhaltung der Reinheit beinhalten. Denn Reinheit bedeutet im religiösen Kontext immer auch Kultfähigkeit. Ergo: nur als reiner und damit kultfähiger Mensch darf man in Gebet und Gottesdient vor den Herrn treten. Genau deshalb aber nehmen sie Anstoß am Verhalten der Jünger Jesu und äußern mit ihrer Frage indirekt Zweifel an seinem Anspruch, im Namen Gottes zu sprechen und zu wirken.
Was Jesus nun andererseits so in Rage bringt, das ist nicht das Bemühen der Pharisäer und Schriftgelehrten um ein gottgefälliges Leben – überhaupt nicht; sondern was ihn so erzürnt ist die Tatsache, dass sie mit dieser Denkweise der Gefahr erliegen, sich nur an reinen Äußerlichkeiten festzuhalten bzw. sich in gesetzlichen Spitzfindigkeiten zu verstricken und damit aber am Sinn der Gesetze und Gebote Gottes vorbei zu leben. Dabei wollen Gottes Gebote ja Leben ermöglichen, erleichtern, seine Liebe zeigen und nicht das Leben der Menschen verkomplizieren oder gar den Blick auf Gott selbst verstellen. Die vielen Gesetzesvorschriften haben sich mit der Zeit verselbständigt und bei manchen zu der irrigen Meinung geführt, dass anscheinend nur der, der sie peinlichst genau einhält, seine Pflicht vor Gott erfüllt und damit auch ein Anrecht auf eine dementsprechende Belohnung hat. Sicherlich ging damit auch ein gewisser Hochmut gegenüber den kleinen Leuten einher, die sich in diesem Gesetzeskatalog nicht so gut auskannten. So gesehen ging es Jesus und seinen Jüngern aber weder um eine reine Provokation noch darum, einen Streit vom Zaun zu brechen. Vielmehr ging es ihnen um die Chance, über die Bäume hinaus wieder den Wald zu erkennen, sprich das Gebot der Liebe, das die Pharisäer ja auch als das wichtigste Gebot Gottes kannten, wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Was im Namen Gottes geschieht und für ihn getan wird, das soll von Herzen kommen und nicht nur äußerlich sein. Deshalb kann man Jesus auch nicht vorhalten, er wolle die Gebote abschaffen. Nein, er will nur die Prioritäten richtig stellen, wenn er z.B. bei einer anderen Gelegenheit am Sabbat einen Menschen heilt.
Ein solches Verhalten geht natürlich ans Eingemachte, nämlich an das Gottesbild, das man hat. Ein Gott aber, dem man mit der Befolgung von weit über 600 Gesetzen zu gefallen sucht – oder auch mit knapp 1800 Paragrafen, welche wir im katholischen Kirchenrecht finden – ein solcher Gott gleicht vielfach jener Dame aus Berlin, die von einem kleinen Jungen nach dem Kurfürstendamm gefragt wurde und die, nachdem sie ihn eindringlich beäugt hatte, sagte: „Nun hör mal meine Junge, wenn du mich etwas fragst, dann nimm zuerst mal die Hände aus der Tasche, nimm die Mütze ab, putz dir die Nase, mach eine Verbeugung und dann sag schön „gnädige Frau“ zu mir.“ Worauf der Junge zu recht sagte: „Det is mir zu ville, da verloof ick mir lieber!“
Gott ist kein Anstandspedant; vielmehr hat sich der Gott der Bibel mächtig,
befreiend, erbarmend und über alles liebend in der Geschichte des Volkes Israel gezeigt. Ihm gefallen wir sicher dann, wenn wir uns von ihm lieben lassen und diese, seine Liebe, dann weiterschenken. Das Verhältnis zu ihm lässt sich nicht über einen Gesetzeskatalog regeln, sondern muss eine Herzenssache sein. Darüber lässt sich nicht streiten, sondern nur dafür. Bleibt die Frage: Was geht uns heute dieser Streit an?
Die Versuchung, in äußeren Gewohnheiten das Wichtigste zu sehen, ist auch uns nicht fremd. Auch unser Gebet kann zu einem bloßen Plappern entarten oder man kann meinen, mit einem gelegentlichen Kirchgang, einem Kruzifix zu Hause an der Wand oder einer Christopherusplakette im Auto sei man doch schon ein ganz passabler Christ. Oder wenn ich an viele Feierlichkeiten hier in der Kirche denke – ob nun Kommunion oder auch Eheschließung, wo man aus voller Brust am Festtag singt: „Liebster Jesu wir sind hier, dich und dein Wort anzuhören“ – um dann nur eine Woche später am Frühstückstisch zu flöten: „Liebster Jesu wir sind fort, wir pfeifen heute auf dein Wort“ – ja reicht das aus? Genauso ist es natürlich auch nicht ok, den Sonntag mit dem Besuch des Gottesdienstes zu heiligen und dann im Alltag draußen die Gottes- und Nächstenliebe ganz schnell wieder zu vergessen. Und es ist natürlich viel leichter, immer wieder für den Schutz des Lebens zu beten, als sich konsequent für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen, in der ein Leben für alle möglich ist.
Ich weiß, Gebote – auch religiöse Gebote können unfrei machen. Der Wille Gottes aber, so lehrt Jesus, will die Menschen frei machen. Wenn deshalb in unserer religiösen Praxis – der Ihrigen und der meinen –etwas nicht von Herzen kommt oder ich mich in meinem Inneren dabei verschließe, dann bleibt es schlussendlich eine sinnlose Gottesverehrung. Und an diesem Punkt wird Jesus deutlich: Gott will eben keinen blinden Aktionismus und keine religiöse Betriebsamkeit, sondern ich soll mich in meinem Inneren, in meinem Herzen von seinen Geboten, von seinem Willen und seinem Wort ansprechen und verändern lassen.
Jugendliche sagen heute, wenn sie sich voneinander verabschieden, etwas
salopp: „Bleib sauber!“ Dabei hat dieser Wunsch weniger mit körperlicher Hygiene als vielmehr mit der inneren Sauberkeit zu tun. Äußere und innere Reinheit müssen einander entsprechen, denn sonst läuft selbst der Glaubende, der all seine Pflichten erfüllt Gefahr, ganz weit von Gott entfernt zu sein. Vielleicht würde Jesus heute sogar diesen Spruch der jungen Leute übernehmen und ergänzen. Wenn es so wäre, dann würde er Ihnen und mir wahrscheinlich zurufen: „Bleib sauber!“ und „Achte darauf, dass der Glaube deine Herzenssache bleibt. Denn man sieht nur mit dem Herzen gut – alles andere ist Etikettenschwindel.“ Amen.
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Erstellt am: 02.09.2012 06:39 Uhr