L II: 1 Kor 1, 1-3 / Ev.: Joh 1, 29-34
Schwestern und Brüder!
Vor kurzem las ich in einer renommierten Zeitschrift einen Artikel, der sich mit dem Gemütszustand unserer Gesellschaft befasste. Als Schlussfolgerung kam dabei unter Strich heraus, was man wohl mit dem einfachen Wort „Gleichgültigkeit“ beschreiben könnte. Dem Autor zur Folge scheinen heutzutage viele Menschen bedrückt und niedergeschlagen zu sein. Sie funktionieren zwar in ihrem Alltag, aber es fehlt ihnen irgendwie die Leidenschaft. Ein direktes „Burn-out“ wird Gott-sei-Dank nicht diagnostiziert, aber von der Lust einfach zu sein, da zu sein und sich am Leben zu freuen, ist eben auch nicht allzu viel zu spüren. Es scheint zwar nichts Wichtiges zu fehlen, aber gleichzeitig ist irgendwie auch alles zu wenig; bei jungen Leuten kommt das dann in Sprüchen zum Ausdruck wie: „bock auf nichts“ und bei Erwachsenen heißt die Antwort auf die Frage: „Wie geht’s?“ – „Na wie schon – ganz gut!“ Aber was heißt denn in diesem Fall „gut“?
Jetzt gibt es aber nicht nur diese offensichtliche Gleichgültigkeit und leidenschaftslose Grundstimmung, nein – es gibt auch eine gehörige Portion Glaubensmüdigkeit. Zwar können wir als Kirche derzeit feststellen, dass uns das Pontifikat von Papst Franziskus einen positiven Schub – und das nicht nur in den Medien – beschert hat und dass die religiöse Grundstimmung in unserer Gesellschaft durchaus immer noch positiv geprägt ist; aber was da teilweise alles geglaubt wird, das ist doch bei vielen recht diffus. Irgendwie werd’ ich das Gefühl nicht los: Der Geschmack am Kirchlichen und am Christlichen ist bei vielen weder Fisch noch Fleisch, ist einmal einerseits – dann aber auch wieder andererseits und im Grunde genommen doch recht substanzlos. Mal ehrlich: Wer von uns rechnet denn wirklich noch damit, dass Gott in sein Leben eingreift? Dabei hat er uns von Anbeginn an zugesagt: Dein Leben hat einen Auftrag, einen Sinn – Du bist wichtig, unverwechselbar und deshalb auch durch niemanden anderen vertretbar! Tut eine solche Botschaft aber nicht unsagbar gut? Sie müsste die Menschen doch aus dem alltäglichen Einerlei, aus der sogenannten Normalität und auch der kirchlich-christlichen Routine herausreißen. So beim Namen gerufen zu werden, unverwechselbar und wirklich persönlich angesprochen zu sein, das muss doch beflügeln und anspornen. Zu wissen: Ich bin kein Zufallsprodukt der Evolution, kein Durchlauferhitzer in der Geschichte der Menschheit sondern einmalig, das müsste doch aus der Lethargie befreien und deutlich machen, wie wichtig man ist und dass es auf jede und jeden von uns ankommt! Gott meint schon jede und jeden Einzelnen von uns, wenn er uns in seine Nachfolge ruft; wenn er uns einlädt, auf sein Wort zu hören und seinen Auftrag zu erfüllen. Es klingt unglaublich, aber genau das ist doch schlussendlich die Frohe Botschaft, das Evangelium Jesu Christi an uns. Und ich bin mir sicher: wenn uns das nicht doch noch irgendwo freudig und positiv in den Knochen stecken würde, dann wären wir alle wahrscheinlich heute auch nicht hier.
Schauen wir deshalb mal auf die kleine Christengemeinde in Korinth, von der die Lesung berichtet hat. Die war – ich sag’s mal salopp – ein kleiner verrückter Haufen. Paulus hatte die Menschen dort motiviert und für die Sache Jesu gewonnen. Und seitdem kommen sie ständig zusammen, denn die Botschaft Jesu hatte sie gepackt. Auch in der langen Zeit der Abwesenheit ihres Gründers blieben sie zusammen und ganz entschieden bei der Sache. Das war mit Sicherheit in dieser bunten Mittelmeermetropole kein Pappenstiel und in einer St. Pauli-Mentalität wie dieser Hafenstadt eben auch keine Selbstverständlichkeit.
Entsprechend ruft Paulus ihnen motivierend zu: „Ihr Heiligen von Korinth“!
Ja geht’s noch etwas verrückter? Die Mitglieder dieser kleinen Gemeinde –
Hafenarbeiter, Putzfrauen, Hilfsarbeiter, Seeleute, Prostituierte und kleine Ganoven – sie alle werden von Paulus als „Heilige“ angesprochen. Natürlich sind damit keine moralischen Qualitäten gemeint, keine besonderen sozialen Vorzüge – im Gegenteil! Es kommt ja auch nicht auf die Werke und Leistungen an und mögen sie noch so fromm sein. Nicht die Erfolgreichen, nicht die Mächtigen, nicht die religiös oder moralisch Anständigen stehen hier im Mittelpunkt, sondern die kleinen Leute, die sich schlicht und einfach auf Jesus einlassen und die in ihm die Chance ihres Lebens erkennen. Wer nämlich der Frohen Botschaft Jesu glaubt, der weiß sich herausgerufen aus dem ständigen Rivalisieren und Konkurrieren: Bist du besser als ich, wer ist die Schönste, wer bringt mehr Leistung auf die Waage, kann ich mich noch sehen lassen usw. Nichts von all dem hat im Blick auf Jesus noch irgendeine Bedeutung. Durch ihn ist jede und jeder Einzelne herausgerufen aus diesen Teufelskreisen – gesegnet und berufen ohne Vorleistung, ohne Blick auf das, was sie oder er zu leisten im Stande ist – einfach erwählt und berufen, so wie man ist! Ja, bei Jesus darf ich sein, wie ich bin.
Paulus selbst outet sich in diesen wenigen Zeilen als berufen und geheiligt, und genau so partnerschaftlich redet er auch seine geliebte kleine korinthische Gründungsgemeinde an: Ihr seid berufen, erwählt und geheiligt. Das, was euch Würde gibt, Recht und Freiheit, das ergibt sich nicht aus Leistung und Profit, nicht aus Position und Kapital, nein – das kommt woanders her. Es leuchtet auf in der Tatsache, dass die Gegenwart Gottes in dieser Welt jeden Menschen würdigt. Wie sagte das letzte Konzil: „In Jesus Christus hat sich Gott mit jedem Menschen gleichsam vereinigt“*. Wohlgemerkt: Mit jedem Menschen, nicht nur mit jedem Christen. Auch nicht nur angenähert oder beschnuppert, sondern vereinigt!!
Also spricht Paulus seine kleine Truppe in Korinth an: „An die Geheiligten in Christus Jesus, berufen als Heilige mit allen, die den Namen Jesu Christi anrufen…“. Und so wie diese Gemeinde damals, so werden auch wir heute angesprochen als kleine Gemeinde von San Telmo. Auch wir – Sie und ich – sind „berufen als Heilige“. Damit sind aber keine kirchlichen Ehrentitel gemeint, die uns berechtigen würden, einen nicht vorhandenen Heiligenschein zu tragen, sondern vielmehr ist es eine Herausforderung mit ganz diesseitigen Aufgaben. Wenn wir vom Heiligen Gott reden und von uns, als zur Heiligkeit Berufenen, dann muss uns das nicht erschrecken. Meister Eckhart, der bekannte Mystiker des 13. Jahrhunderts, sieht genau in dieser Heiligkeit die Gleichheit von Gott und Mensch, also seine Gegenwart, die Gegenwart Gottes in uns. Ein großartiger und vielleicht manchmal auch erschreckender Gedanke, der uns vielfach viel zu wenig bewusst ist. Eckhart sieht also den Menschen, uns alle, mit einem großen Optimismus – im Gegensatz zu den engen und kleinlichen Positionen, die von kirchlicher Seite aus vom Mittelalter an bis heute teilweise vertreten werden.
Ein besonders negatives Beispiel – die Schweizer unter uns mögen mir das verzeihen – liefert dieser Tage Bischof Vitus Huonder aus Chur. Der hat allen Ernstes vorgeschlagen, dass Homosexuelle, wiederverheiratete Geschiedene, in eheähnlichen Verhältnissen Lebende, sowie künstliche Empfängnisverhütung praktizierende Katholikinnen und Katholiken künftig mit vor der Brust verschränkten Armen zur Kommunionbank treten sollten, um anstelle des Leibes Christi einen Segen zu erhalten. Nur frage ich mich: Hat diese Art Segen, diesen Namen überhaupt verdient? Der Segen Gottes soll mich geleiten, soll seine Nähe und Liebe zu mir deutlich machen, aber mich nicht bloßstellen oder beschämen, wie das vor Jahren durch bestimmte zu tragende Zeichen schon einmal bei uns passiert ist. Das kann man doch nicht allen Ernstes praktizieren wollen.
Mir ist es da weitaus lieber, dass wir uns einfach in Erinnerung rufen, was Paulus seiner korinthischen Gemeinde sagt: Heilig ist nicht das Ergebnis einer religiösen Anstrengung, einer Leistung oder vielfach dargebrachter Opfer. Nein, er erinnert alle Menschen an ihre Würde, die sie von Gott bekommen haben und ermutigt sie daraus zu liebevollen Beziehungen. Schließlich leben wir alle aus der Beziehung zu Gott, aus seiner Liebe und deshalb kann es doch gar nichts Schöneres geben, als diese Liebe selbstlos zu verschenken. Sollte das aber nicht auch bei Menschen möglich sein, die ein solch vorgeschlagener Segen bloßstellen würde?
Jesus hat die Heiligkeit des Ärmsten und des in der Gesellschaft Kleinsten vor Gott groß gehalten. Er hat nie geschwiegen, wenn die Würde eines Menschen angetastet oder religiöse Gesetze und Gebote über sie gestellt wurden. Diese Heiligkeit ist es auch, die von uns fordert, für eine Kirche einzustehen, die den Menschen keine unerträglichen lasten auferlegt, sondern ihnen zum und beim Leben hilft.
Lassen Sie mich enden mit einem Wort von Meister Eckhart. Der sagt: „Ich wurde gefragt, wie ich mir das Einssein mit Gott vorstelle. Und ich habe geantwortet: Wenn ein Regentropfen ins Meer fällt, verwandelt sich der Tropfen ins Meer, nicht das Meer in den Tropfen.“ Amen.
* Gaudium et spes 22
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Erstellt am: 20.01.2014 10:55 Uhr