L I: Apg 4,32-35 / Ev: Joh 20, 19-31
Schwestern und Brüder! Kann man die Auferstehung Jesu einfach so für wahr halten? Sind Zweifel da nicht mehr als angebracht? Wenn man heute Menschen nach der Auferstehung fragt, dann ist da doch meistens nur noch ein Achselzucken angesagt oder ein mitleidig belächeltes Unverständnis. Selbst uns, die wir am Glauben an die Auferstehung festhalten, fällt es ja nicht unbedingt leicht, uns eine Vorstellung von dem zu machen, was wir da eigentlich glauben.
Deshalb möchten sich auch manche schon gar nicht mehr öffentlich zu ihren Gedanken diesbezüglich äußern. Im Angesicht unserer Wissenschaft und all unserer Kenntnisse und Erkenntnisse, die sich ja immer nur am Beweisbaren festmachen, da wirkt eben die Rede von der Auferstehung oft wie ein reines Wunschgebilde.
Dass dies alles aber nicht nur heute ein Problem ist, dafür steht nun eben der Apostel, der uns allen auch mit dem Beinamen „der Ungläubige“ bekannt ist und der heute eine umfassende Rolle im Evangelium einnimmt. Er macht meines Erachtens mehr als deutlich, dass es diese Schwierigkeit mit einem Glauben an die Auferstehung für manche bereits unmittelbar nach dem Ereignis selbst gab; sogar für einen „Eingefleischten“ wie ihn, der unmittelbar zum Freundeskreis Jesu dazu gehört hat. Deshalb möchte ich mit Ihnen diesen Thomas einfach mal etwas näher betrachten. Was wissen wir denn von ihm? Sicherlich zunächst einmal das, was wir heute gehört haben; das ist uns vertraut und fast wörtlich bekannt. Aber kennen Sie auch die drei anderen Stellen im Johannes-Evangelium, an denen Thomas zu Wort kommt? Und wissen Sie, dass er an allen vier Stellen genauso treffend fragt und genau das sagt, was auch uns oft beschäftigt und wie er uns damit aus der Seele spricht? Weil ich meine, dass genau diese Aussagen vielen vielleicht doch nicht so geläufig sind, möchte ich sie Ihnen gerne in Erinnerung rufen und so den Apostel etwas näherbringen.
Das erste Mal meldet er sich zu Wort, als Jesus die Nachricht erhält, dass sein Freund Lazarus im Sterben liegt. Jesus macht sich – ohne groß darüber nachzudenken – auf den Weg nach Jerusalem, obwohl er und seine Jünger wissen bzw. bereits erahnen, dass es dort Menschen gibt, die seinen Tod fordern und planen. Deshalb sagt Thomas zu den anderen: „Dann lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben!“ Gibt es solche impulsiven und überzeugenden Aussagen aber nicht aus in unserem eigenen Leben? Momente und Situationen, in denen die hoch- und wagemutigsten Entschlüsse gefasst werden. Sei es nun, dass man sich felsenfest sicher ist, den Weg mit der Partnerin oder dem Partner zum Traualtar und somit durch’s Leben zu gehen; oder man fühlt sich zu einer ganz besonderen Aufgabe berufen; oder man geht mit einem ungeheuren Elan, einer unbändigen Willenskraft oder auch Begeisterung ans Werk, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen nach dem Motto: Da setze ich alles daran; für diese Person tue ich alles; nichts und niemand wird mich davon abbringen… Ich glaube, jede und jeder von uns kennt solche Situationen aus dem eigenen Leben, indem als lohnendes Ziel aufgeleuchtet ist: Ja, dafür oder genau so will ich leben! Und nicht anders erging es eben Thomas. Und dann lernen wir ihn kennen als einen, der nachfragt, der in Zweifel zieht, der unsicher wird…
So z.B. auch geschehen im Abendmahlsaal, als die Jünger von Jesus über seinen weiteren Weg eingeweiht wurden. Da sagte er zu ihnen: „Ihr wisst doch, was mein Auftrag ist und ihr wisst auch, wohin ich gehe.“ Darauf sagt Thomas, was wohl allen anderen auf dem Herzen liegt: „Herr, wir wissen eben nicht, wohin du gehst – wie sollen wir da den Weg kennen?“ All das, was er sich überlegt und sich mit und durch Jesus vorgenommen hatte, all seine Hochgestimmtheit – oder auch sein Hochmut? – das ist an diesem Abend wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Was früher so selbstverständlich und glasklar war, das trägt auf einmal nicht mehr. Ja, es gibt auch für den Glaubenden solche Stunden, in denen plötzlich alles in Frage steht und alles nur noch dunkel ist. Vielleicht erlebt sogar die ein oder der andere von uns in diesen Tagen genau solche Stunden – trotz Heiterkeit, Ausgelassenheit und Urlaubsstimmung rundherum. Es gibt sicherlich ganz unterschiedliche Situationen, in denen sich eine solche Stimmung in einem auftun kann. Da hat man z.B. ein Leben lang geglaubt, sein Credo gesprochen, Ostern gefeiert und die Auferstehung geglaubt hat. Bis – ja bis dann auf einmal die Nachricht von der eigenen Krankheit im Raum steht; uns das Sterben eines lieben und wichtigen Menschen trifft oder das eigene Scheitern plötzlich alle Sicherheiten zum Einstürzen bringt und jeglichem Gottvertrauen der Boden entzogen wird: Herr, wir wissen eben nicht, wohin es gehen soll. Ich sehe den Weg nicht mehr, es bleibt mir alles dunkel und ohne Licht…
In eine solche Situation hinein spricht Thomas dann die Worte des heutigen Evangeliums. Nach der Katastrophe des Kreuzes, als er die ersten Stimmen über die Auferstehung Jesu hört, da sagt er die uns allen bekannten Worte: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe…und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht!“ Und wir selber würden wohl ergänzend hinzufügen: „Dann kann ich all die Mutmaßungen und all die Geschichten darüber nicht akzeptieren, geschweige denn glauben.“
„Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“, diese Worte des Dr. Faust aus Goethes gleichnamigen Stück, sind es nicht Worte, die auch aus unserem Mund stammen könnten? Aus unserem Mund, weil sie einfach auch unsere Gefühle wiederspiegeln? Da hören wir die Botschaft, da haben wir quasi das Ehrenwort der Zeugen, aber nein – wir möchten uns lieber selbst über-„zeugen“; wir wollen selber be-„greifen“, was doch letztlich gar nicht zu be-„greifen“ ist. Ist das aber nicht genau die Situation, die Gefühlslage des Thomas? Er verlangt ja keine Show, keine Sensation – nur die Wundmale will er sehen und berühren. Begriffen hat er da ja schon, dass man dem Auferstandenen nur begegnet, wenn man die Wunden sieht und mit ihnen in Berührung kommt. Er ahnt auch, dass man dem Auferstandenen nicht begegnen kann, ohne seine irdische Geschichte und die Spuren, die sie hinterlassen hat, ins Auge zu fassen und sich mit ihr auseinander zu setzen. Nicht von ungefähr sind es ja die Wunden, auf die Thomas seine Finger legt. Würden sie überspielt, dann wäre der Glaube flach und oberflächlich. Denn es sind ja gerade die Wunden, die uns das Leben schwer machen – all die erlittenen Verletzungen, das Unrecht, Krankheiten, Scheitern, das offene Grab. Warum das alles? Warum, o Gott? Das ist doch in den meisten Fällen unser einziger und lautester Hilfeschrei!
Aber wenn ich den Auferstandenen mit seinen Wunden sehe, dann spüre ich eben, dass dieser Gott nicht an den offenen Wunden unseres Lebens vorbeigeht, sondern dass er sie mitträgt … und dass er allein die Kraft hat, diese Wunden zu heilen und so zur Quelle eines neuen Lebens zu werden. Das erkennt auch Thomas. Und deshalb geht’s am Ende gar nicht mehr um’s Be-„greifen“. Nein, an den Wunden da geht ihm auf: „Mein Herr und mein Gott.“ Für ihn wird klar: die Auferstehung und den Auferstandenen kann man so wenig be-„greifen“ und letztlich im Griff haben, wie man auch die Liebe nie im Griff haben oder über sie verfügen kann. Und Thomas versteht auch: Die entscheidende Tat unseres Lebens, die leisten nicht wir, sondern die schafft Gott an uns. Und wer dies annehmen kann, den nennt Jesus dann auch selig: „Selig, die nicht sehen und doch glauben!“ Für mich heißt das: Selig sind die, die nicht meinen, die Welt und das Leben im Griff zu haben; selig sind, die sich nicht zufrieden geben müssen mit den Erklärungen dieser Welt die ihnen zumutet: Am Ende bist du allein. Nein, selig sind vielmehr die, die auf die Hoffnung und die Liebe Jesu setzen, denn sie werden das Leben haben – und es in Fülle haben.
So sind uns also vier Aussagen des Thomas überliefert – vier Aussagen, die seine ganze Glaubensgeschichte zusammenfassen. Es sind Erfahrungen, die auch uns nicht fremd sind; Erfahrungen, die auch in unserem Leben oft nebeneinander oder sogar gegeneinander stehen. Nicht immer wird auch unser Weg uns geradlinig von der zweifelnden Frage zum vertrauensvollen Bekennen führen. Im Gegenteil: auch das gläubige Bekenntnis kann einem ja wieder neu zur Frage und zur Anfrage werden. Es stimmt schon, was der heilige Augustinus über den Glauben gesagt und so ins Wort gebracht hat: „Unruhig ist unser Herz, o Gott, bis es ruht in dir!“
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Erstellt am: 15.04.2012 17:36 Uhr
