Lesung: Phil 3, 20 – 4, 1 (Kf) / Evangelium: Lk 9, 28b – 36
Schwestern und Brüder!
Momentan nehme ich viele nachdenkliche Gesichter wahr – nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass wir gerade eine frohe Botschaft vernommen haben: Aber lassen wir doch einfach mal dahingestellt sein, was sich damals auf dem “hohen Berg” wirklich zugetragen hat. Eines ist doch klar: Es geschah – zumindest für die Beteiligten – Wesentliches. Fest steht für mich auch: Ein Fotograf heutzutage hätte nichts, aber auch gar nichts davon auf seinem Speicher festhalten können. Denn um was geht es denn? Wissen Sie, weiß ich wirklich wie es ist, wenn dunkle Wolken am Horizont aufziehen? Wenn sich Lebensbedrohliches zusammenbraut? Wenn z.B. plötzlich und unausweichlich die Diagnose “Krebs” im Raum steht? Sie haben richtig gehört. Ich will uns tatsächlich einen besseren Zugang zu diesem Evangelium ermöglichen, indem ich Sie mit hineinnehme in die Begegnung mit einer kranken Frau, die ich hier auf Teneriffa vor einigen Jahren gehabt habe:
Als ich Frau R. im Krankenhaus besucht habe, merkte ich deutlich, dass sie im Gegensatz zu ihrer sonst recht optimistischen Art – sehr verstört und aufgewühlt war. Bei der morgendlichen Visite hatte sie endlich die lang ersehnten und doch gleichzeitig gefürchteten Untersuchungsergebnisse erfahren: Gehirntumor an einer denkbar ungünstigen Stelle. Es gibt zwei mögliche Behandlungsweisen, hat man ihr mitgeteilt, und sie müsse sich rasch entscheiden. Bei der einen handelte es sich um eine risikoreiche Operation, die zu Lähmungen führen und im Extremfall lebensgefährlich sein kann oder aber – und das war die Alternative – eine Serie von Bestrahlungen in Kombination mit einer Chemotherapie. Garantien für eine Heilung gab es weder bei der einen noch bei der anderen Behandlungsart. Die Tatsache, dass der Tumor möglicherweise wiederkommt war nicht auszuschließen.
Ich spürte mehr als deutlich, wie es Frau R. hin- und hergebeutelt hat: Sie musste sich nicht nur einer schlimmen Diagnose stellen, sondern auch noch die richtige Entscheidung treffen. Wahnsinn! Warum? Weil eine solche Situation jede und jeden von uns doch einfach nur überfordert. Aber wenn die Zeit drängt, was soll man dann tun? Es ist eine beinahe unerträgliche Situation. Dieses Unklare lähmt; man bekommt den Kopf nicht mehr frei, der fehlende Schlaf raubt den letzten Nerv.
Eine Extremsituation. Gar keine Frage. Doch solche oder auch ähnliche Gefühle kenne ich auch bei mir selbst, und zwar unter weit weniger dramatischen Umständen. Es sind für mich vor allem die Zeiten, in denen ich mich nach Klarheit sehne, um mich z.B. einer bestimmten Situation zu stellen oder mit ihr umzugehen. Ich brauche Kraft, um mich zu entscheiden und dann auch die entsprechenden Konsequenzen durchzuhalten. Aber wie kann das gelingen? Was könnte mir dabei helfen?
Oft tue ich in solchen Situation einfach das, was naheliegend ist und was man mir schon als Kind immer wieder gesagt hat: Schalt deinen Kopf ein, besorg dir die nötigen Informationen und dann kannst du deine Argumente des „dafür“ oder „dagegen“ hin- und her überlegen. Schwierig wird es nur dann, wenn sich die Erleuchtung nicht einstellt und unterm Strich eben nichts Eindeutiges herauskommt. Nun „schickt“ uns aber das Leben ja mitunter Ereignisse, die uns ganz unvermutet dabei helfen, eine Sache vielleicht doch auf den Punkt zu bringen. So erzählte mir z.B. ein junger Mann beim Brautgespräch: „Wissen Sie, wir sind schon einige Jahre zusammen. Vieles hat immer super geklappt, aber wir haben oft auch heftig und wegen Kleinigkeiten miteinander gestritten. Deshalb war ich mir unsicher, ob ich Stephanie tatsächlich heiraten soll. Erst als ich einen Arbeitsunfall hatte und doch ziemlich krank war, da ist bei mir der Groschen gefallen. Denn sie hat sich wirklich unsagbar lieb um mich gekümmert und zu mir gehalten. Ja und da war mir dann auf einmal auch klar: ich will sie heiraten.“ Für mich war das sehr überzeugend; denn ich glaube schon, dass solche Ereignisse in uns all das wie in einem Brennglas bündeln, was wir bisher erfahren und mühsam überlegt haben; und dann wissen wir auf einmal, was zu tun ist. Dabei ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, dass man sich oft erst innerlich und vielleicht auch äußerlich bewegen und „seinen“ Ort suchen muss, damit sich tatsächlich etwas ereignen kann.
Und genau davon erzählt nun das heutige Evangelium. Ähnlich wie Frau R. hat auch Jesus eine schlimme Prognose erfahren: Der Menschensohn wird vieles erleiden müssen, er wird gefangen genommen werden und sterben. Unmittelbar vor dieser Wanderung auf den Tabor spricht er genau dies gegenüber seinen Freunden zum ersten Mal aus. Dabei sagt er Rätselhaftes: „Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren“. Und dann erwähnt er das Kreuz, welches er selbst und all diejenigen tragen werden, die ihm nachfolgen. Ja, wir können sagen: Eine böse Vorahnung von dem, was ihn in Jerusalem erwartet, beschäftigt ihn. Und so wie die Angehörigen von Frau R. sind auch die Jünger geschockt: „Das darf doch nicht wahr sein!“ sagte die Schwester von Frau R. Und aus Petrus fährt es heraus: „Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen“.
Ich vermute, dass sich Jesus mit den gleichen Fragen plagte, die Patienten in solchen Situationen auch quälen: „Warum ich? Warum in so jungen Jahren? Warum überhaupt – ich habe mir doch nichts zuschulden kommen lassen? Warum verhindert Gott das denn nicht?“ Vielleicht hat ja auch Jesus sich gefragt: „Soll ich denn unter solchen Umständen wirklich nach Jerusalem gehen? Gibt es denn keine Alternativen? Wem nützt ein toter Messias?“ Er wäre mir viel zu wenig Mensch gewesen, wenn ihn genau solche Gedanken und Gefühle nicht umgetrieben hätten.
Frau R. hatte ich in den Tagen nach der Eröffnung ihrer Diagnose oft mit
ihrer Schwester spazieren gehen sehen. Manchmal saß sie auch mit geschlossenen Augen ganz in sich versunken hier in San Telmo. Ich stelle mir vor, dass Jesus in dieser, seiner Not, eben auch mit seinen engsten Vertrauten einem ähnlichen Impuls gefolgt ist: Raus aus dem Alltagsgeschäft, weg von den vielen Leuten, irgendwohin, wo er allein sein kann. Er geht nicht rein zufällig auf den Berg. Vielmehr kann er von dort oben die weite Sicht auf die umliegenden Ebenen genießen. Weitblick und Klärung wird er aber ganz „not-wendig“ gebraucht haben. Jesus betet – intensiv und lange – so lange, bis sich etwas verändert. Der Himmel öffnet sich, und er erfährt Gott ganz nah bei sich. So nah, dass sich manches in seinen Gedanken lichtet und klar wird.
Wenn sich aber letzte Unklarheiten klären, dann kann man von „Verklärung“ sprechen. Mitunter sieht man diese Veränderung im Gesicht von Menschen, die einen solchen Prozess durchgestanden haben: trotz des Schweren, das noch ansteht, sind sie erleichtert und gelöst, sind sie wie verwandelt. Das erleben die Jünger auch bei Jesus. „Sein Gesicht leuchtete“ heißt es. Warum? Weil er noch einmal bestätigt bekommt, wer er ist und wer er bleiben wird: der geliebte Sohn Gottes. Wer aber weiß, wer er ist, der weiß auch, wohin er gehen muss. Jesus braucht diese Klarheit, um letztendlich an seiner Mission nicht irre zu werden, die ihn als Gotteslästerer ans Kreuz führen wird. Bei seiner Taufe hat er ja ähnliches erlebt: der Himmel öffnet sich und eine Stimme spricht ihn an und sagt ihm wer er ist. Entschieden ging Jesus daraufhin seinen Weg in die Öffentlichkeit. Und jetzt auf dem Berg Tabor, da ist ihm gleichfalls klar geworden wie es weitergeht: in Richtung Jerusalem.
Die Bibel ist überzeugt: Krisensituationen klären sich nicht einfach von selbst und Klarheit kann man nicht einfach herbeizwingen. Vielmehr ereignet sie sich auf einer tieferen, inneren Ebene. Jesus lässt sich auf sie ein indem er bestimmte Orte aufsucht: den Berg, ein andermal die Wüste oder eine einsame Gegend. Dort öffnet sich für ihn der Himmel – der Himmel im eigenen Herzen – und es richtet sich vieles.
Wir alle brauchen solche Orte, sonst bleibt vieles, was wir leben oder glauben unklar und undurchsichtig. Für Frau R. waren es die Spaziergänge mit ihrer Schwester und die Stunden, die sie in der Kirche verbrachte. „Das war für mich wie eine schützende Höhle, in die ich mich immer wieder zurückziehen konnte“, sagte sie. Solche Orte muss jeder selbst finden – es wird dort sein, wohin ihn das eigene Herz zieht. Für die einen ist es vielleicht ein Aufenthalt in Taizé, für andere ein Konzert, eine Sabbatzeit, Exerzitien, eine Nacht im Gebet, eine Kirche oder ein Gottesdienst im Urlaub, oder sonst ein Ort, an dem man spürt: hier komme ich mit mir selbst und auch mit Gott in Kontakt.
Nach einigen Tagen wusste Frau R. was für sie dran ist. Sie entschied sich für die riskantere Version – die Operation. Mit „Gottvertrauen“, wie sie sagte, ging sie den Eingriff an. Und dieses Gottvertrauen verließ sie auch nicht, als sie ein knappes Jahr später starb, weil der Tumor wieder nachgewachsen war. Aber dieser Weg von Frau R. und der Weg Jesu auf den Berg zeigen mir, was „glauben“ bedeutet: in existentiellen Situationen nach Orten suchen, an denen mir Gott nahe kommen kann. Und dann hoffen, dass er auch für mich seinen Himmel auftut und ich zu einer größeren Klarheit für mich und mein Leben kommen kann. Das heutige Evangelium macht genau dazu Mut. Ich hoffe Ihnen genauso, wie mir.
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Erstellt am: 25.02.2013 14:37 Uhr
