Predigt zum 2. Advent 2012 (09.12.)

L : Tob 5, 1-17 / Ev: Lk 3, 1-6
– Begleiter im Auftrag Gottes – Schutzengel –
Schwestern und Brüder!

„Da hast du aber einen mächtigen Schutzengel gehabt!“, eine Aussage, die uns allen wahrscheinlich nicht fremd ist. Wobei ich ehrlicherweise gesagt – und wer mich kennt, kann das bestätigen – mit solchen Äußerungen mehr als vorsichtig bin. Denn ich sehe ja eben auch viele Dinge passieren, bei denen anscheinend kein Schutzengel auszumachen ist. Warum z.B. hat sich der Mann im Zuge eines depressiven Schubes aufgehängt?
Warum fand die Frau ihn fünf Minuten zu spät, als sie vom Einkauf zurückkam? Situationen und Erlebnisse, die Zweifel an einem Schutzengel aufkommen lassen. Und doch glaube ich genau an diese machtvollen Wesen, die Schutzengel, die für mich so etwas wie die verlängerten Arme Gottes sind und die über mich ganz persönlich ihre „Flügel“ halten.
Begegnet ist mir das Bild eines Schutzengels – wie wahrscheinlich vielen von Ihnen auch – im Schlafzimmer meiner Großeltern. Da war auf einem überdimensional großen Bild ein Engel mit Flügeln abgebildet, der ein Kind begleitend und beschützend über eine Brücke führte. Zurück geht eine solche Sichtweise eines beschützenden Engels auf die heutige Lesung aus dem Buch Tobit. Da haben wir ja gehört, dass die Engel in der Geschichte Gottes mit uns Menschen eine ganz wichtige Rolle spielen. Sie werden zu Vermittlern Gottes, der mit uns Menschen immer auf dem Weg ist. Und die Engel tragen die Botschaft Gottes auf ganz unterschiedliche Weise zu uns Menschen. Am letzten Sonntag, da war es der Traum von der Himmelsleiter, auf der die Engel die Verbindung zwischen Gott und uns Menschen deutlich machen. Im Buch Tobit begegnet uns nun heute der Engel Gottes als Reisegefährte, als Begleiter auf einem sehr unsicheren Weg. Und Matthäus spricht sogar in seinem Evangelium davon, dass jedes Kind einen persönlichen Engel im Himmel hat, also gewissermaßen einen Schutzengel besitzt. (Mt 18,1-5.10)
Nun sind wir alle im Zeitalter von Harry Potter sicherlich wieder empfänglicher geworden für die Dinge, die wir vom Kopf her nicht erklären können. Aber trotzdem muss die Frage doch erlaubt sein: Passen diese geheimnisvollen Geistwesen in diese Welt, in der doch schlussendlich alles erklärt und bewiesen werden muss? Gibt es vielleicht auch in unserem Leben solche Engel, die uns begleiten, die uns manchmal still und unerkannt zur Seite stehen und uns helfen, wenn sich unser Leben mal wieder in ausweglosen Situationen verstrickt hat? Sind uns in unserem Leben nicht auch Menschen begegnet, die wir als Engel bezeichnen könnten; Menschen, die uns ihre Liebe geschenkt haben oder immer noch schenken, und die uns mit Rat und Tat zur Verfügung stehen, wann immer wir nicht mehr weiter wissen? Haben wir nicht alle auch schon einmal von einem Schutzengel gesprochen, wenn wir im Straßenverkehr oder bei gefährlichen Arbeiten einem brenzligen oder gar lebensbedrohenden Augenblick entkommen sind? Dürfen wir nicht auch – wie in der Lesung der junge Tobias – einen Engel von Gott für unser Leben erbitten oder uns sogar dessen gewiss sein, dass er – Gott selbst – uns schon längst einen oder gar mehrere Engel zur Seite gestellt hat, die uns helfen, die uns schützen und begleiten? Die uns aus so manch enger Sackgasse unseres Lebens herausführen?
Im Psalm 34 heißte es: „Der Engel des Herrn umschirmt alle, die ihn fürchten und ehren, und er befreit sie.“ Und im Psalm 91 wird ausgeführt: „Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.“ Aus genau dieser Sichtweise schreibt der Philosoph und Publizist Uwe Wolff in einem seiner vielen Bücher über Engel: „Schutzengel und Mensch sind das Urbild einer innigsten Verbundenheit. Der Dienst des Schutzengels ist wohl erst dann beendet, wenn er seinen Menschen wieder zum Paradies geführt hat und ihm die Pforte dazu öffnet. Dann treten Schutzengel und Mensch Hand in Hand ein.“ Deshalb beten und singen wir auch bei jeder Begräbnisfeier: „Zum Paradies mögen Engel dich begleiten…“ Das macht noch einmal deutlich: Wir alle stehen unter einem ganz besonderen Schutz. Jeder Mensch – und zwar zu allen Zeiten – ist so wertvoll, so kostbar, dass er bis zum Schluss durch Gottes Hand begleitet wird. Erinnern Sie sich an das vorhin erwähnte Bild im Schlafzimmer? Es macht, wenn auch auf sehr kindliche Weise, genau diese Zusage Gottes anschaulich und deutlich: Ich bin immer bei dir. Die Allgegenwart Gottes wird durch seine Engel greifbar; in ihn ist er uns nahe.
Nun malen oder schnitzen fast alle Künstler, gleich, wo sie auf dieser Erde zu Hause sind, die Engel immer mit Flügeln. Das kommt wohl daher, dass es schon lange vor dem Christentum die Darstellung geflügelter Wesen als himmlische Boten gab – bei den Sumerern, den Babyloniern, den Ägyptern, Griechen und auch den Römern. Es gibt sie übrigens auch bei den Muslimen und den Hindus. Flügel sind die beste Möglichkeit, die Boten als von den Göttern – also von oben kommend – zu kennzeichnen. Und genau darum wurde und wird diese Möglichkeit immer wieder genutzt, obwohl noch nie jemand einen anderen Menschen mit angewachsenen Flügeln gesehen hat. Vielleicht ist darin ja auch die Sehnsucht von uns Menschen versteckt, ganz anders zu sein, nämlich frei und unabhängig; sich vom Boden abhebend und frei bewegend wie ein Vogel. Und noch etwas anderes ist in den Flügeln verborgen: Denken wir einfach mal an eine Henne, die ihre Küken unter den Flügeln versammelt. Dort fühlen sie sich sicher, warm und geborgen. Flügel können etwas Beschützendes haben – eben so, wie bei der Vorstellung vom Schutzengel.  
Nun fragen Sie sich aber vielleicht schon geraume Zeit: Ja und was ist mit all den Menschen, die – wie eingangs erwähnt – ein schweres Leid zu tragen haben? Haben die denn keinen Schutzengel? Ich habe darauf keine Erklärung – im Gegenteil, es bleibt auch für mich, wie Sie vielleicht gespürt haben, eine offene Frage. Aber ich weiß eben auch, dass selbst Jesus diese Erfahrung machen musste. 40 Tage lang wurde er in der Wüste von einem Engel begleitet. Doch wo war dieser Engel in seiner Todesstunde am Kreuz? Wir wissen es nicht. Aber vielleicht war er ihm ja so nah, dass er ihn an der Hand nahm und ihm die Pforte des Himmels öffnete.
Engel greifen ja nie direkt ein, sondern sie lenken uns. Deutlich gemacht hat mir das eine Erzählung eines Mannes in der ARD-Sendung: „Unglaublich, aber wahr“, die vor vielen Jahren lief, mir aber unvergesslich ist. Da hat ein Mann mit Bildern von einer Unfallstelle berichtet, was ihm dort widerfahren ist:
Er hatte gerade sein Medizinstudium abgeschlossen und geriet mit seinem Vater in eine Auseinandersetzung darüber, ob er nun praktizierender Arzt oder lieber Wissenschaftler werden solle. Der Vater verlangte von ihm, sich endlich mal festzulegen. Verärgert über diese Drängelei, entschloss sich der junge Mann übers Wochenende in die Berge zu fahren. Er kam in eine ziemlich abgelegene Gegend. Irgendwo am Straßenrand sah er ein Kind stehen – schätzungsweise sieben, acht Jahre alt – das ihm ein Stoppzeichen gab. Der Mann hielt an und das Kind stieg wortlos ein. An der nächsten Abzweigung deutete dieses Kind in eine bestimmte Richtung. Obwohl der Mann eigentlich anders fahren wollte, folgte er der Weisung des Kindes. Auch an weiteren Kreuzungen zeigte das Kind dem Fahrer, wohin es gefahren werden wollte. Wie unter einem magischen Zwang – so die Aussage des Mannes in dieser Sendung – hat er gehorcht. Nach längerer Zeit, bereits hoch oben in den Bergen, deutete das Kind, das kein einziges Wort gesprochen hatte, dem Fahrer, er möge anhalten. Das Kind stieg aus, ging auf die andere Straßenseite und zeigte hinunter. Auch der Mann stieg aus und trat neben das Kind – und da sah er unten am Abhang einen verunglückten Bus. Der Mann holte seine Arzttasche aus dem Wagen, kletterte hinunter und konnte vielen Verletzten helfen. Am Ende der Rettungsaktion war nur ein Toter zu beklagen. Als er die Bahre mit dem toten Körper sah, der an ihm vorbeigetragen wurde, da war sich der Mann sicher, dass es das Kind war, welches ihn zur Unfallstelle gelotst hatte.
Ich weiß, ich weiß – es klingt unglaubwürdig und es bleiben viele Fragen. Aber: Wenn alles aufzurechnen wäre, so wie 2×2=4 ist, dann bräuchten wir auch nicht mehr zu glauben, dann könnten wir es ja beweisen. So aber gilt für mich: Ich glaube, dass Engel uns in Freude und Leid zur Seite gestellt sind, damit sie Gottes manchmal unergründliche Wege mit uns gemeinsam gehen. Ich glaube, sie wohnen sowohl bei Gott, als auch auf der Erde. Mit einem Flügel berühren sie in meinen Augen den Himmel, mit dem anderen Streifen sie unsere Seele. Engel sind für mich der Himmel auf Erden und sie haben immer etwas mit unserer je eigenen Lebensgeschichte zu tun – und: sie machen die Liebe und Zuneigung Gottes für unsere Vorstellungskraft sichtbar und erfahrbar. Beweisen kann ich das, wie gesagt, nicht. Denn dann wären ja alle dazu gezwungen, die Wirklichkeit der Engel zu akzeptieren. So aber bleibt das Angebot Gottes von unserem Ja abhängig: Vertraue ich auf die Flügel, die mich beschützen wollen, oder will ich ohne Schirm durch die Stürme und Regengüsse dieser Welt und meines Lebens ziehen?

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Erstellt am: 09.12.2012 19:24 Uhr

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