Predigt zum 16. Sonntag im Jahreskreis 2013 (21.07.)

L I: Gen 18, 1-10a / Ev: Lk 10, 38-42
Schwestern und Brüder!

Wie sagte mal jemand: „Wenn Jesus seine Mutter schon so abweisend behandelt hat, dann ist das mit Marta doch kein Wunder.“ Merkwürdig finde ich es aber schon, wie Jesus mit dieser Frau umgeht. Schließlich ist er mit einer Gruppe von Frauen und Männern in ihr Haus eingefallen und sie hat jetzt alle Hände voll damit zu tun, das uralte Gesetz der Gastfreundschaft zu erfüllen. Das aber wiederum bringt nicht wenige Prediger ganz schnell dazu, den Wortwechsel von Bethanien auf eine höhere Ebene zu schieben. Frei nach dem Motto: Das Spirituelle ist eben wichtiger als das Irdische. Und genau dafür hat sich die Schwester von Marta – Maria – entschieden. Sie will uns sagen: Das Wort von Gott aus dem Mund Jesu ist entscheidend, der Hunger kann warten.
Nur – das haben schon die Missionare immer wieder erfahren: Erst kommt der Reis oder der Mais und dann das Evangelium. Oder wollten Sie sich heute Morgen mit knurrendem Magen auf das Reich Gottes vertrösten lassen? Noch dazu von Predigern, die alles andere als zu den Unterernährten zählen?   
Sie spüren schon, dieser Evangelientext enthält immens viel Spannung. Und ich möchte nicht wissen, wie viele Predigten über diese beiden Schwestern schon gehalten worden sind und auch heute wieder gehalten werden. Predigten, die ganz unterschiedlich sind, die aber genau diesen Aspekt: „Wenn Jesus spricht, dann hat alles andere zu warten“, in aller Regel in den Vordergrund stellen. Deshalb möchte ich es heute anders machen. Ich möchte einfach die biblische Situation mal aus der Sicht der Marta schildern – nein, ich möchte sie erzählen. Wie sie das wohl empfunden hat? Hören Sie einfach zu:
Wutentbrannt knallt Marta die Tür hinter sich zu und verlässt das Haus. Das
war jetzt wirklich zu viel. All ihre Energie legt sie in kräftige, schnelle Schritte. Jeder Muskel ist angespannt, ihr Blick beinahe tödlich. Wie gut, dass niemand auf der Straße ist. So kann sie ungeniert so sein, wie sie gerade ist. Und gehen. Die Straße hinunter, am letzten Haus des Dorfes vorbei, den Weg zwischen Schafweide und Feigenbäumen entlang. Sie geht. Nein: Ihre Füße gehen, ihre Beine, ihr ganzer hochgeladener Körper. Ihre Wut geht. Ihre Wut geht mit ihr durch. Sie geht, ziellos, gedankenlos – angetrieben von einer Kraft, die sie so nicht kannte. Noch nie hatte sie jemand so in Rage versetzt. „Maria hat die bessere Wahl getroffen.“ „Maria hat klüger entschieden.“ „Maria macht es besser als du.“ „Schau, was Maria tut.“ Maria, Maria, Maria. Sie kann es nicht mehr hören. Und doch dröhnt ihr ganzer Kopf von diesem unerträglichen Namen. Maria! Nie war es anders. Immer ihre liebe, hübsche, kluge und aufgeschlossene kleine Schwester.
Marta ist an dem kleinen Steinbruch angekommen, ein paar Kilometer vom Dorf entfernt. Sie bleibt stehen, die Steine schreien sie an: „Maria, Maria, Maria!“ Marta nimmt einen Felsbrocken auf, wiegt ihn in der Hand und presst ihren ganzen heißen Zorn in den kalten Stein hinein. Marta holt aus und wirft, soweit sie kann. Das kleine Echo vom Aufprall klingt, als hätte der Stein sich gebrochen.
Verletzt. Zersprungen. Zerstört. Marta gefällt das Geräusch. Sie nimmt einen zweiten Stein und wirft noch einmal. Und noch einmal. Die Würfe werden weiter. Das Echo braucht länger, das knirschende Geräusch wird lauter. Marta tut das gut. Ihren ganzen Schmerz, ihre Wut, all die Demütigungen legt sie in die Bewegungen, die immer runder und kraftvoller werden. Da fliegt ihre ganze Wut. Aber sie verfliegt nicht. Marta schaut mit leerem Blick in das Zielgebiet ihres Bombardements; sieht, wie sie da liegt, ihre Wut, ihre Herabsetzung – nur einen Steinwurf entfernt. Dann setzt sie sich auf einen Stein, und es dauert ein bisschen, bis die Tränen kommen. Aber bald schüttelt es sie so, dass ihr Hören und Sehen vergehen. Minutenlang bricht es aus ihr hervor, als wäre sie selbst gerade vom Steinhagel getroffen worden.
Maria, Maria, Maria. Was hat sie sich gesehnt, ebenso geliebt zu werden wie ihre kleine Schwester. Wie hat sie sich angestrengt und um Anerkennung gekämpft. Hat ihre Sache als älteste Tochter im Haus so gut es irgend ging gemacht, war eine fleißige und verlässliche große Schwester, hat getan, was zu tun war. Immer von dieser Sehnsucht getrieben, auch einmal etwas Besonderes sein zu dürfen. Hübsch. Oder klug. Beliebt und begabt. Einmal wirklich voll anerkannt sein. Einfach weil sie da ist. Weil sie Marta ist. Nicht, weil sie alles im Griff hat. Einmal gesagt bekommen: Du bist toll, Marta! Was für ein Glück, dass es dich gibt und dass du hier bei uns bist.
Ich brauch das nicht, hat sie bisher immer gedacht, wenn Maria mal wieder die volle Aufmerksamkeit bekam. Ich brauch das gar nicht, hat sie sich selbst gesagt, wenn die Wut schon früher einmal ihre Vorboten gesandt hat. Was für ein Irrtum! Wie sehr sie doch auch da sitzen möchte, vor Jesus, den sie so verehrt. Ihm einfach nur zuhören. Seine sanfte Stimme hören und seine Worte wie wärmende Sonnenstrahlen spüren. Ihn ansehen und vor allem: von ihm angesehen werden. Seine ganze Aufmerksamkeit spüren und eintauchen in die Welt, aus der er erzählt. Was hat er gesagt: „Da war die Stimme vom Himmel: ‚Du bist mein geliebter Sohn‘; dir gilt meine Liebe, dich habe ich erwählt.‘ Das war Gottes Stimme, Maria. Und das sagt Gott zu jedem Menschen. Auch zu Dir: ‚Du bist meine geliebte Tochter, Maria.‘“
Marta hatte das aufgeschnappt, kurz bevor sie Jesus um Hilfe gebeten hat. Hätte er nicht ‚Marta‘ sagen können? Müsste Gott nicht auch sagen: „Du bist meine geliebte Tochter, Marta, dir gilt meine Liebe“? Sieht er denn gar nicht, wie ich mich abmühe? Schon mein ganzes Leben lang? „Herr, kümmert es dich denn gar nicht, dass mich meine Schwester die ganze Arbeit allein tun lässt?“ Interessiert es dich überhaupt nicht, was mit mir ist? Jesus, ist dein Gott so ungerecht?!
Marta sitzt auf ihrem Stein und schüttelt in sich versunken den Kopf. Nein, Jesus kann Gott auch nicht richtig verstanden haben. Das kann einfach nicht sein, dass sie eine solche Abfuhr verdient hat. „Das sagt Gott zu jedem Menschen“, hatte er doch gesagt, und Marta beginnt, die Worte Jesu leise vor sich hin zu sprechen: „Du bist meine geliebte Tochter, Marta.‘“ Immer wieder, so als würde sie ihren Klang ausprobieren wollen. „Du bist meine geliebte Tochter, Marta, dir gilt meine Liebe, dich habe ich erwählt.“
Minutenlang sitzt Marta da und hört sich selbst zu. Immer kräftiger werden ihre Worte, mit jeder Wiederholung mutiger, energischer, entschiedener. Bald hört Marta nicht mehr nur sich selbst sprechen. Die Stimme von Jesus mischt sich hinein, und nach einer Weile scheint es ihr, als hörte sie die Stimme vom Himmel. Wie Jesus, als er im Jordan getauft wurde. Er hat es ihrer Schwester doch erzählt.
„Du bist meine geliebte Tochter, Marta, dir gilt meine Liebe.“ Ich bin Gottes Kind. Jede und jeder ist Gottes Kind. Sogar Maria. Sogar Maria? Das tut ein bisschen weh, als Marta das denkt. Aber sie kann damit leben. Wer wohl jetzt gerade die Arbeit zu Ende macht, die sie vorhin einfach hingeschmissen hat, als sie Hals über Kopf davonrannte? Wer wohl Jesus nun bewirtet und die Gastgeberpflichten erfüllt? Marta muss ein bisschen schmunzeln. Was für ein schöner Tausch, denkt sie. Ich sitze hier und höre mir selbst zu und der Stimme vom Himmel. Ich lasse mich gehen. Und Maria hat Jesus zu Hause und die ganze Arbeit.
Man sollte öfter mal tauschen, denkt sie. Man sollte nicht immer nur arbeiten. Man sollte auch nicht immer nur sitzen und Gott oder Jesus zuhören und andere arbeiten lassen. Man sollte etwas tun, damit wirklich alle diese Stimme vom Himmel hören, dass sie geliebte Kinder Gottes sind, wertvolle, geachtete Menschen. Marta sieht auf die Steine, denen sie ihre Wut aufgezwungen hat. Sie sieht ihren Schmerz und sie sieht den Schmerz von dem Mädchen nebenan, der kleinen Sklavin aus dem Nachbarhaus. Und sie sieht den Schmerz von den vier Kindern am anderen Ende des Dorfes, die heute schon wieder nichts zu essen bekommen haben. Sollen die nicht auch hören dürfen? Genießen dürfen, dass sich jemand ihnen zuwendet, ihnen eine Geschichte erzählt? Sollen sie nicht auch wissen, dass sie Gottes geliebter Sohn, Gottes geliebte Tochter sind – wie Maria, und wie sie selbst, Marta, und wie all die anderen Leute, die Jesus so gern zuhören? Und ihr fällt ein, was sie einmal in der Synagoge aus dem Buch des Propheten Jesaja gehört hat:
Seht doch euer Fasten an! Ihr fastet zwar, aber ihr seid zugleich streitsüchtig und schlagt sofort mit der Faust drein. Ist das ein Fasten, wie ich es liebe, wenn ihr auf Essen und Trinken verzichtet, euren Kopf aber hängen lasst und euch im Sack in die Asche setzt? Nennt ihr das ein Fasten, das mir gefällt? Nein, ein Fasten, wie ich es haben will, sieht anders aus! Löst die Fesseln der Gefangenen, nehmt das drückende Joch von ihrem Hals, gebt den Misshandelten die Freiheit und macht jeder Unterdrückung ein Ende! Ladet die Hungernden an euren Tisch, nehmt die Obdachlosen in euer Haus auf, gebt denen, die in Lumpen herumlaufen, etwas zum Anziehen und helft allen in eurem Volk, die Hilfe brauchen! Dann strahlt euer Glück auf wie die Sonne am Morgen.
Marta geht wieder ins Dorf. Das will sie gleich Jesus vorlesen und hören, was er dazu sagt. Amen.

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Erstellt am: 22.07.2013 16:12 Uhr

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