Predigt zum 1. Fastensonntag 2014 (09.03.)

L I: Gen 2, 7-9; 3, 1-7 / Ev.: Mt 4, 1-11
Schwestern und Brüder!
Es gibt wahrscheinlich keine Bibelstelle, die so bekannt ist wie die mit dem Apfel und der Schlange – oder anders gesagt: Wer kennst sie nicht, die Geschichte von Adam und Eva, dem Baum und dem sprechenden Kriechtier. Allüberall tauchen Bilder dieser Erzählung immer wieder auf – in der Autowerbung, im Dschungelbuch und in Theaterstücken, auch in Zeitungsartikeln, in denen es vor allem um zwei Dinge geht: um Fehltritte und um Frauen. Auch wer sonst nicht allzu sehr in der Bibel bewandert ist – und das finde ich schon interessant –, der weiß aber doch um diese Geschichte von Eva und der Schlange. Und vor allem wird diese Geschichte immer nur in einer Version und Interpretation gekannt: nämlich in der, in der die Frau als Verführerin rüberkommt. Sie, so die Schlussfolgerung, hat die Sünde in die Welt gebracht. Einzig und allein Eva, oder wie es früher despektierlich hieß, das Weib, ist also schuld. Richtige Stereotype sind das, aus welchen sich vielfache Klischees entwickelt haben. Und mit denen lässt sich natürlich vortrefflich spielen und sicherlich auch mal herzhaft lachen. Trotzdem: Die Sache mit der Schlange ist nicht nur witzig. Sie hat auch eine ernste, eine sehr ernste Seite. Denn mit Blick auf diese Geschichte, da wurden Frauen eben auch erniedrigt, ausgenutzt und beherrscht. Es war nicht zuletzt genau diese Vorstellung der sündigen Eva, die dazu geführt hat, dass Frauen zu Hexen gemacht wurden, dass man Frauen für weniger wert hielt und sie deshalb in die zweite Reihe verwies, immer und immer wieder.
Das Spannende aber ist: Diese Vorstellungen von der sündigen Eva, die stecken gar nicht in dieser Bibelstelle. So manches, was für uns heute ganz selbstverständlich zur Paradiesgeschichte gehört, steht dort so gar nicht zu lesen. Deswegen lohnt es sich, einfach mal einen genaueren Blick auf diese Geschichte zu werfen. Einiges Neue und auch Unbekannte lässt sich so leichter entdecken. Das fängt bereits mit der Frage an: Wie ist das eigentlich mit dem ersten Menschen, von dem hier im ersten Buch Mose die Rede ist? War das am Anfang der männliche Adam? Steckt also bereits in den ersten Kapiteln der Bibel eine Reihen- bzw. Rangfolge? So frei nach dem Motto: Erst der Mann, dann die Frau? Selbst im Neuen Testament findet sich diese Idee und wird dazu gebraucht, Frauen zum Schweigen zu bringen. Da heißt es nämlich im ersten Timotheusbrief: „Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht; auch nicht, dass sie über ihren Mann herrscht. Sie soll sich vielmehr still verhalten. Denn zuerst wurde Adam erschaffen und dann Eva.“ (1 Tim 2,12-f)
Bei allem Respekt vor dem neutestamentlichen Briefeschreiber, aber das ist natürlich ein falsches Argument für eine zusätzlich falsche Anweisung. Im zweiten Kapitel der Genesis wird nämlich nicht gesagt: Gott, der Herr, formte den Mann aus Erde, sondern: Er formte den Menschen. Adam, das war im Hebräischen nicht die Bezeichnung für den Mann, sondern ganz allgemein für die Gattung Mensch. Der Mensch, adam, wurde aus der Erde, adama, geschaffen. Er ist deshalb ganz eng mit ihr verbunden. Das ist die Kernaussage der Bibel in diesen Versen über den ersten Menschen.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Aber was ist dann mit der Rippe? Eva ist doch aus der Rippe des Adam geschaffen. Also lässt sich nicht vielleicht von daher ableiten, dass die Frau eben doch nur zweitrangig ist? Hand aufs Herz an alle, die gerne die Männer vorne sehen – auch da lohnt sich ein Blick in die ursprüngliche Geschichte. Gen 2 gibt selbst den Hinweis darauf, was dieses Bild mit der Rippe im Grunde bedeutet. Adam sagt da ja: „Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.“ Mann und Frau sind gleich – das ist das, was da drin steckt. Sie sind zwei Seiten des ursprünglich einen Menschen; denn „Rippe“ kann im Hebräischen, so
hab ich mir sagen lassen, auch mit „Seite“ übersetzt und gedeutet werden.
Doch damit nicht genug. Es gibt ja da immer auch noch die Aussage, dass
Eva für Adam eine „Hilfe“ sein soll. Auch das wurde im Laufe der Jahrhunderte gerne missverstanden bzw. in der Männerwelt so ausgelegt, als müsste die Frau dem Manne immer zu Diensten sein – und zwar in allem, was zu tun ist bzw. was dieser begehrt. Auch ein Grund weshalb über Jahrhunderte viele Frauen die eigene Sexualität nicht als etwas Schönes oder Lustvolles empfunden haben, sondern als etwas, was dem Manne dient bzw. was dieser sich nimmt. Allerdings hat diese Sichtweise mit der ursprünglichen Bedeutung nichts, aber auch gar nichts zu tun. Wie heißt es im Psalm 33 und auch an anderen Stellen des Alten Testamentes: „Gott ist für uns eine Hilfe!“ Damit ist aber keine untergeordnete Tätigkeit gemeint, sondern eine Hilfe im herausgehobenen, ja fast schon göttlichen Sinne. Als von wegen: Mal einfach nur das tun sollen, was Man(n) begehrt.
Bliebe jetzt noch, schließlich und endlich, die Sache mit der Schlange. War es nicht Eva, die als erste von der verbotenen Frucht gegessen hat? Auch für den Verfasser des ersten Timotheusbriefes ist das noch einmal ein Argument dafür, dass die Frau schweigen soll: „Nicht Adam wurde verführt, sondern die Frau ließ sich verführen“, schreibt er in seinem zweiten Kapitel Vers 14, „und übertrat damit das Gebot.“ Doch bei genauerem Hinsehen hat er natürlich auch hier nicht wirklich Recht. Und man hat fast gar den Eindruck, er benimmt sich ein wenig wie Adam selbst, der auf Gottes Nachfrage hin sagt: Die Frau war’s! Tatsächlich gilt natürlich: Beide waren es; beide, Adam und Eva, haben sich dazu entschieden, vom verbotenen Baum zu essen, und nirgends steht in dieser Genesis-Erzählung irgendetwas davon, dass die Frau den Mann gedrängt oder gar verführt habe. Dass Adam nicht schuldlos ist, das lässt sich auch in anderen neutestamentlichen Briefen nachlesen. Und selbst Paulus, der ja nun nicht unbedingt als Frauenfreund verschrien ist, sieht in Adam den Typus des sündigen Menschen schlechthin: „Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.“ Von der Schuld Evas ist da nirgends etwas zu lesen.
Trotzdem könnte man jetzt natürlich fragen: Warum ist denn Eva die Aktive,
warum ist sie diejenige, die zum Baum greift? Vielleicht liegt das einfach an der damaligen Bildwelt des Orients: Baum und Frau sind da eng miteinander verbunden, weil die Frau diejenige ist, die zu essen gibt, die für die Ernährung zuständig ist. Deswegen muss die Frau auch unterm Baum stehen und nicht der Mann. Ich weiß, das klingt als Erklärungsversuch recht dürftig. Aber ist das auch überhaupt so wichtig? Im Grunde wird hier doch noch einmal etwas ganz anderes aufgezeigt.
Die Schlange fragt ganz unschuldig: „Hat Gott wirklich gesagt, ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“ Damit aber stellt sie die Aussage Gottes komplett auf den Kopf. Denn dieser hat klar gesagt: Ihr dürft von allen Bäumen essen – nur nicht von diesem einen. Eva meint es gut, will Gott und sein Wort verteidigen und übertreibt dabei sein Gebot. Nicht nur das Essen sei verboten, sondern bereits das Berühren. Spüren Sie, was da passiert? Mit einem einzigen Satz ist Gott für die Menschen ein anderer geworden. War er vorher derjenige, der für sie gesorgt hat, wird er urplötzlich einer, der verbietet. Das absolute Vertrauensverhältnis ist dadurch aber nachhaltig gestört. Aus dem liebenden und sorgenden Gott ist nämlich auf einmal der verbietende und strafende Gott geworden. Und mit genau diesem Verbot hat sich dann auch die Angst vor diesem Gott in die Herzen der Menschen geschlichen und macht sich dort bis zum heutigen Tag fest, auch wenn Jesus uns wieder ein ganz anderes Gottesbild zu vermitteln versucht hat. Aber nicht nur im Verhältnis der Menschen zu Gott gibt es nach diesem Sündenfall diese negative Erfahrung, sondern auch im Verhältnis der Menschen untereinander und zueinander. Liebevoll sorgende Eltern setzen zum Beispiel ihren Kindern Grenzen – und flugs sind sie verschrien als die, die einem alles verbieten, als die einem nichts, aber auch gar nichts gönnen. Wobei die menschliche Erfahrung beide Möglichkeiten beinhaltet: Weil der Mensch auch zum Bösen fähig ist, deshalb kann er auch den ihm Anvertrauten Böses antun. Wo der Mensch aber wirklich ein Liebender ist, da werden die Menschen, die er liebt, auch wieder spüren, dass es zu ihrem Besten gedacht war und dass die Liebe zueinander darunter nicht leiden muss, sondern über Konflikte hinweg tragen kann.
Lassen Sie mich am Schluss zusammenfassen: Ich für meinen Teil bin der Überzeugung, dass es sich immer wieder lohnt, sich auch mit solchen Texten der Bibel auseinanderzusetzen, die manche unserer Zeitgenossen am liebsten ganz aus der Bibel streichen oder sie zumindest aus der Liturgie der Gottesdienste verbannen möchten. Aber vielleicht haben Sie ja jetzt beim Nachdenken über diese Bibelstelle auch gespürt: Die Frau ist geschaffen worden als ebenbürtige Partnerin des Mannes, mit gleichen Rechten und Pflichten; auch wenn das nicht alle Theologen und alle Amtsträger in unserer Kirche so sehen – noch nicht so sehen. Aber Eva hat nicht den Tod, sondern das Leben gebracht. So wie Jesus uns ein neues Gottesbild, einen liebenden Gott, gebracht hat. Wer beides glauben kann, für den ändert sich nicht nur etwas im Denken über die Herren und Frauen der Schöpfung heute, nein – für den ergeben sich auch ganz andere Glaubensperspektiven auf Gott und das Wesen der Kirche hin. Amen.

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Erstellt am: 10.03.2014 18:59 Uhr

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